„Am 6. September von 6.30 Uhr vormittags ab sammelte sich das Regiment nordwestlich Nubécourt bei dem Wald Heronnière, wo unsere Artillerie auffuhr und Angriffsbefehl ausgegeben wurde. Schon im Auffahren erhielt die Artillerie gut gezielte feindliche Granaten aus so weiter Entfernung, daß sie das Feuer nicht erwidern konnte. Trotz ihrer eigenen Verluste nahmen unsere Batterien auf circa 3000 Meter feindliche Infanteriekolonnen erfolgreich unter Feuer, bis sie von der überlegenen französischen Artillerie zum Schweigen gebracht wurden. Unsere Vorpostenkompagnie am Südrand von Nubécourt (3./119) hatte schon am frühen Morgen Bekanntschaft mit feindlichen und leider auch mit deutschen Granaten gemacht, worauf sie sich an Bulainville heranzog. So gut es ging deckten sich die Bataillone gegen das feindliche Artilleriefeuer. Während der Kommandeur des II./119, Major Frhr. v. Hügel, in der Nähe der Artillerie mit seinem Adjudanten, Leutnant Fischer von Weikersthal, den Feind beobachtete, wurde letzterer durch Schrapnellschuß verwundet. 7.30 Uhr vormittags hatten sich die Bataillone in sehr breiter Front, II. links, III. rechts, zum Teil noch westlich des Waldes Heronnière im Anschluß rechts an 125 entwickelt. In den Waldstücken daselbst wurden einzelne französische versprengte Infanteristen aufgegriffen. Das I./119 hatte Weisung, zunächst in 2. Linie hinter dem II. zu folgen. Später wurde es der südlich Bulainville vorgehenden 68. Inf.-Brigade zur Verfügung gestellt und rückte nach Bulainville. 8.20 Uhr begannen unsere vordersten Schützenwellen die deckenden Höhen- und Waldränder zu überschreiten, worauf sofort heftiges Schrapnellfeuer auf sie niederprasselte. Doch in mächtigen Sprüngen gingen die Grenadiere unaufhaltsam vor. Da und dort sank einer zu Boden. Der tapfere Leutnant Grobler, Führer der Zwölften, blieb schwer verwundet liegen; der Führer seines Unterstützungszuges, Leutnant d. R. Alfons Treß, erhielt 8.40 vormittags beim Vorgehen die tödliche Schrapnellkugel in die Brust. Noch stehend und nach dem neben ihm befindlichen Bataillonskommandeur schauend, erstarrte sein Blick. So rasch war er, der noch Sekunden zuvor seinen Zug zum Angriff kommandiert hatte, den Soldatentod gestorben. Um seinen Leichnam am Waldrand aufzufinden, steckten Kameraden seinen Degen in den Boden und den Helm darauf. Ein pflichtgetreuer Offizier, ein lieber, prächtiger Kamerad schied von uns. Beim sprungweisen Vorgehen des II. Bataillons war bei der 7. Kompagnie der tapfere Leutnant d. R. Christian Haag gefallen und der Kompagnieführer Leutnant Fritz v. Graevenitz schwer verwundet worden. Die feindliche Artillerie – für uns meist unsichtbar – feuerte ununterbrochen aus Front und besonders aus linker Flanke von Richtung Verdun sehr sicher und anscheinend unbehelligt, da die Aufstellung der feindlichen Geschütze für unsere Feldartillerie zu weit war. Bei und östlich Evres traten unsere Schützen mit feindlichen ins Feuergefecht und gingen dann sprungweise zum Angriff vor. Gegen 11 Uhr waren die Grenadiere bis an den Südrand von Evres, auf die Höhe östlich des Orts und die Höhen südlich des Bois de la Heronnière vorgedrungen, wo sich ein lebhafter Feuerkampf gegen den auf den gegenüberliegenden Höhenwellen eingegrabenen, hinter Strohgarben und am Waldstücksüdöstlich Evres eingenisteten, schwer sichtbaren Feind entspann. Verräterisches Glockenläuten in Evres hat dem Feind unser Einrücken in den Ort angezeigt; seine Artillerie beschoß Evres von diesem Augenblick an mit Granaten. Schwere und leichte feindliche Artillerie hielt dauernd unsere Infanterielinie unter Feuer, doch zum Glück meist 100 Meter zu weit, so daß wir hier durch ihr Feuer weniger Verluste hatten als durch das feindliche Infanterie- und Maschinengewehrfeuer aus den Schützengräben. Dies änderte sich jedoch, als zu unserer Erleichterung auch die Schützengrabenbesatzung unser Artilleriefeuer zu spüren bekam. Bald konnte man erkennen, daß einzelne Franzosen unter dem Schutze aufgestellter Getreidegarben nach rückwärts zu entwischen suchten. Es sind nur wenige heil davongekommen. Unser Infanteriegeschoß war schneller als sie. Gegen 12.30 Uhr hatte man den Eindruck, daß das feindliche Infanteriefeuer nachließ, und so trat dann um diese Zeit das am weitesten vorne befindliche III. Bataillon zum Sturm an, den der Feind aber nicht annahm. Er räumte zuerst seine Stellung am Waldstück östlich der Straße Evres–Pretz, welches vom nachdrängenden III./119 und Teilen von 125 durchstoßen wurde. Von 1.20 Uhr nachmittags an nahm die feindliche Artillerie dieses Waldstück mit allen Kalibern unter Feuer, auch feindliches Infanteriefeuer setzte ein. Bäume krachten und stürzten, Äste brachen und deckten die Grenadiere zu, Holz und Erde flog in die Luft. Im freien Felde sind die Kampfeindrücke nicht so stark wie an einem Waldrand. Die Verluste steigerten sich schnell; der Kommandeur des III. Bataillons, Major Frhr. v. Gemmingen, blieb, an beiden Beinen schwer verwundet, liegen und mußte durch das dichte Holz zurückgebracht werden. Auch Hauptmann d. R. Henninger (9.) wurde schwer verwundet. Die Straße Evres–Pretz lag dauernd unter feindlichem Strichfeuer. Westlich der Straße hielt der Feind auf Höhe 259 noch länger stand, bis er auch hier – wohl in Besorgnis um seine rechte Flanke – zurückging, vom Feuer verfolgt. Vor dem II. Bataillon, bei dem die M.-G.-K. kräftig mitwirkte, auch Teile des XVI. Armeekorps eingeschoben wurden, war mittlerweile der Feind auf der östlichen Höhe ebenfalls zum Rückzug gezwungen worden. Auf den Höhen von Beauzée zeigten sich am Nachmittag feindliche Infanteriekolonnen im Rückmarsch, von unserer Artillerie leider zu weit, um gefaßt werden zu können; von der feindlichen Artillerie war nichts zu sehen, nur ihre Wirkung zu spüren. Insbesondere wurden von ihr die Straßen und Wege dauernd unter Feuer gehalten. Bis gegen Abend gelang es dem Regiment im Verein mit den Nachbartruppen bis in die Linie Pretz–Beauzée vorzudringen, wo in Gefechtsstellung biwakiert wurde. Ein Wunder war es, daß unsere sehnlichst herbeigewünschten Feldküchen sich noch am Abend bzw. in der Nacht bis zum Regiment durchgefunden und durch das feindliche Streufeuer durchgewunden hatten. Soweit möglich wurden in der Dunkelheit die stark gemischten Verbände geordnet. Die Größe der Verluste war noch nicht genau festzustellen, immerhin waren sie bedeutend.“
aus: „Das Grenadier-Regiment Königin Olga (1.
Württ.) Nr. 119 im Weltkrieg 1914-1918“, Stuttgart 1927
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