“13./14. Oktober. Riesiger Siegesjubel! „Die Festung Lille gefallen!“ Den Rasttag (Aufmarsch 26. Inf.-Div.) benützen wir zu einer Besichtigung der nächsten Forts, die von sächsischen Jägern genommen und besetzt sind. Ihre Unterhaltung belauschend hören wir den klassischen Ausspruch: „Aber am Reformationsfest wollen wir wieder daheeme sein!“ Das seitherige schöne Wetter weicht dickem Nebel und Regen. Vormarsch der 26. Inf.-Division auf Ypern, Ul. 20 voraus. Als Patrouille vor der Spitze trabe ich durch den Rayon der Festung Lille, die Städte Tourcoing, Roncq bis zur Kanal-Zugbrücke in Meenen, wo ich als stehende Patrouille die Brücke zu halten und das Regiment zu erwarten habe. Vom Feind wird berichtet, daß englische Panzerautos die Straßen abfahren und unsere Kavalleriepatrouillen mit M.-G.-Feuer abschmieren. Gegen Mittag am Kanal und der Brücke in Meenen (Menin) angelangt, ohne daß vom Feind eine Spur zu sehen, ja nicht einmal ein Anzeichen von Krieg bei der dichten Bevölkerung zu fühlen ist, stelle ich wie im Manöver an die Ziehbrücke einen Doppelposten und setze mich mit einer Zigarre auf die Straße auf einen Rohrstuhl im Regen, das Weitere abwartend. Aus allen Fenstern glotzen die Einwohner, die Straße vor und hinter uns ist schwarz von „Manöverbummlern“, die der Dinge harren, die da kommen sollen. In Gedenken an die Telephonverbindungen der Belgier mit dem Feind eine unbehagliche Situation! „Ist hier eigentlich Krieg oder Frieden?“ erwäge ich in Gedanken, als auch noch in meinem Rücken das Bimmeln der Dampfstraßenbahn ertönt und langsam ein Zügle um die nahe Straßenkurve biegt. Zu meinem wachsenden Staunen sehe ich Ulanen aus den Fenstern winken, der Zug hält, Oberleutnant v. Sick springt heraus. Ich melde meinen Auftrag und freue mich der Unterstützung in der peinlichen Lage, mit 6 Mann in diesem Janhagel als stehende Patrouille länger ausharren zu müssen. Doch Oberleutnant v. Sick erklärt, er wolle bis zum Nordausgang von Meenen noch weiterfahren. Unter Gelächter wird zum „Einsteigen“ gebimmelt, das Zügle fährt los und verschwindet an der nächsten Kurve, begleitet von Trompeter Grünewald zu Pferde. Eine Stunde später treffen die Handpferde der 4. Ulan. 20 von hinten bei mir ein unter Führung des Wachtmeisters. Gleichzeitig passiert von vorn kommend als Meldereiter Trompeter Grünewald und berichtet auf Anruf: Oberleutnant v. Sick sei bis Gheluwe weiter gefahren! Ein Blick auf die Karte zeigt mir, daß die Kleinbahn bis Ostende gehe, und lachend erkläre ich dem Wachtmeister, daß ich glaube, daß Oberleutnant v. Sick die 50 Kilometer vollends bis ans Meer fahren werde. Inzwischen war Ul. 20 nach Meenen nachgerückt, dem wieder nach vorne trabenden Trompeter gebe ich als Begleitsmann noch einen Ulanen mit. Dann vergehen Stunden ohne Nachricht von vorne, während wir die Brückensperre ausbauen und in Sorge um die 4. Ul. 20 geraten. Endlich sehe ich von links am Kanal entlang zu Fuß 2 Ulanen, Oberleutnant v. Sick und Vizewachtmeister d. R. Steinenbronn herankommen und berichten. Die Schützen fuhren (Kriegstagebuch der 4. Esk.) von der Brücke in Meenen weiter bis Gheluwe mit Bahn. Dieser Ort wird besetzt. Posten an Ausgängen, durch einen nachgekommenen Meldereiter auch Aufklärung in nächster Umgebung. 1 Unteroffizier mit 2 Mann wird mit Zug zurückgesandt für etwa nachfolgende Infanterie, neuer Zug bereit gestellt. Offensichtlich durch Einwohner benachrichtigte englische Kavallerie (1 Eskadron oder mehr) kommt auf Schleichwegen an die Schützen heran und eröffnet auf sehr nahe Entfernung Feuer auf Posten. Da wir auf 3 Seiten von stark überlegenem Gegner beschossen werden, Rückzug aus dem unübersichtlichen Gelände auf die Höfe südöstlich des Bahnhofs. Es fallen hierbei Trompeter Grünewald, Unteroffizier d. R. König, Schmidt, Ulan Kicherer. Ulan Burkhardt I, sein Nebenposten, gefangen. Verluste der Engländer (vom Regiment der 1. Life Guards) 1 Wachtmeister („colour sergeant“) tot; Verwundete nicht bekannt, da mitgenommen. Ein hinausgesandter Zug unserer Infanterie, der mit dem Bahnzug herkam, zwang die feindliche Eskadron zu eiliger Flucht. Die Engländer schossen schlecht, meist zu hoch.“
aus: „Bilder aus der
Geschichte des Ulanen-Regiments König Wilhelm I. (2. Württ.) Nr. 20“, Stuttgart
1934
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