„Am 2.
November begann der Angriff mit einer bald nach Tagesangruch einsetzenden
gewaltigen Beschießung der Wälder
nördlich Groenenburg durch die Feldartillerie. Eine Wirkung auf den
Feind, dessen Sicherungen sich etwas weiter in das Innere zurückzogen, konnte
nicht beobachtet werden.
8 Uhr
vormittags brachen die Schützen der 7., 3., 4. Kompagnie vor. Die 6. Kompagnie,
die schon beim Antreten vom linken Flügel der 132er stark nach links gedrängt
worden war, wurde vom Kommandeur des II. Bataillons in Reserve genommen und
folgte mit der 8. in zweiter Linie. Die 5. Kompagnie verblieb als
Regimentsreserve zunächst an ihrem Aufstellungsort. In flottem Sprung
erreichten die Kompagnien, kaum beschossen, das nördlich Groenenburg liegende
freie Feld überquerend, den gegenüberliegenden Waldrand. Hier aber geriet der
Angriff ins Stocken; in wirrem Durcheinander lagen kreuz und quer
zusammengeschossene Bäume, meistens Tannen, herum, ein gefährliches Hindernis
für unserer Musketiere. Der in nur geringer Entfernung liegende unsichtbare
Gegner geizte nicht mit Munition und schoß leider auch vorzüglich sicher. Die
Verbände vermischten sich; starke Verluste traten ein, namentlich durch
Flankenfeuer von rechts, weil dort der Angriff der 132er nicht recht vorwärts
kam.
Nach
Einsatz der Reservekompagnien des I. Bataillons, sowie der 8. Kompagnie,
gelang es, die furchtbar gelichtete vorderste Linie bis zu dem nach Het
Papotje-Ferme führenden Hohlweg vorzubringen, der als erstes zu erreichendes
Ziel befohlen war und einigermaßen Deckung bot gegen das rasende Gewehr- und
Maschinengewehrfeuer, welches den Stürmenden aus der westlich des Hohlwegs
befindlichen englischen Hauptstellung entgegenschlug.
Jeder
Versuch, über den Hohlweg hinaus vorzudringen, kostete Blut und mußte scheitern,
weil das Gewirr von Baumstämmen und dichtes Gestrüpp das Innehalten einer
bestimmten Richtung unmöglich machten. Auf jede, auch die geringste Bewegung
von deutscher Seite antwortete der Feind mit Schnellfeuer.
Um die
Mittagsstunde führte Major Wald die Trümmer beider Bataillone auf die Ausgangsstellung
zurück, um die der meisten ihrer Unterführer beraubte, völlig durcheinandergeratene
Truppe einigermaßen zu ordnen. Patrouillen blieben am Ostrand des Waldes
nördlich Groenenburg. Der größte Teil der 3. Kompagnie und viele Gruppen der 7.
waren in die Linie der 132er geraten, aus der sie vorerst nicht zurückgezogen
werden konnten.
Die
beiden Regimentskommandeure, Oberst v. Schimpf und Oberst Kreyenberg, hatten
klar erkannt, daß Weiterführung des Angriffs in der bisherigen Weise kaum zum
Erfolg führen könnte. Ihre diesbezüglich bei Brigade und Division erhobenen
Vorstellungen waren nutzlos. 6.15 Uhr abends erging der Divisionsbefehl, die
61. Inf.-Brigade müsse unbedingt 7 Uhr abends den gegenüber-liegenden Feind
nochmals angreifen und werfen. Die Artillerie nahm gleichzeitig den Wald
nördlich Groenenburg wieder unter Feuer. Eine Stunde später traten die
Bataillone von neuem an. In dichter Schützenlinie ging’s lautlos – nur das
Knacken abgetretener Zweige, das Klappern der Ausrüstung der Mannschaft war
hörbar – in den vom Feind besetzten Wald hinein. Im Finstern tasteten sich die
Kompagnien bis nahe an den Weg nach Het-Papotje-Ferme vor.
Da brach
die Hölle los. Aus Front und Flanken prasselte uns wie am Vormittag ein
fürchterliches Feuer aus Gewehren und Maschinengewehren entgegen. Die Schützen
konnten vielleicht noch 50 bis 60 Schritte über den Hohlweg hinaus vor; dann
war kein Mann mehr vorwärts zu bringen.
Das
Getöse im Walde war unbeschreiblich. In das Klatschen der in die Baumstämme
einschlagenden Geschosse mischte sich das Knattern unserer eigenen wie der
feindlichen Maschinengewehre, das Krachen der über unsern Köpfen platzenden
Revolverkanonengranaten, das Hurrarufen der todesmutig von rückwärts
nachdrängenden Unterstützungen, das Blasen und Trommeln der wenigen noch am
Leben gebliebenen Spielleute, die Schreie der zahllosen Verwundeten, welche
durch Dum-dum-Geschosse meist furchtbare Verletzungen erlitten hatten. Die
Finsternis war zeitweilig durchbrochen vom Lichtschein der aus allernächster
Entfernung auf uns abgeschossenen Brandraketen. Wohl versuchten immer und immer
wieder kleine Gruppen besonders beherzter Leute bis dicht an die durch Astverhaue
und Drähte geschützte englische Stellung heranzukommen; erreicht haben sie
nichts.
Etwa 9
Uhr abends stimmte Oberst v. Schimpf, welcher zusammen mit dem Stabe des I.
Bataillons dicht hinter der vordersten Linie dem Angriff gefolgt war, dem
Vorschlag des Majors Wald zu, die Reste der Kompagnien an den Hohlweg
zurückzunehmen.
Durch
Melder diesen Befehl weiterzugeben, hätte Zeitverlust bedeutet und vielleicht
noch weitere Menschenopfer gekostet. Also mußte dieses Mal die Stimme herhalten,
ohne Rücksicht darauf, daß auch der Feind dadurch vom Einstellen des Vorgehens
Kenntnis erhielt.
Nach
späterer Erzählung des zur Dienstleistung beim Regiment kommandierten Leutnants
Kruhöffer vom Feldart.-Regt. 80 soll die Gefechtslinie wie von aller Not und
allem Elend erlöst gewesen sein, als sie die wohlbekannte helle Kommandostimme
des Bataillonskommandeurs hörte: „I. Bataillon beim Hohlweg sammeln!“ Die
vielen kleinen Grüppchen waren sich in dem unheimlich finstern, im fahlen, hie
und da durch die zerschossenen Baumkronen fallenden Mondlicht gespensterhaft
wirkenden Walde, wo überall der Tod lauerte, doch recht verlassen vorgekommen.
Nun faßten sie wieder Hoffnung bei dem Gedanken, daß wenigstens noch ein Führer
am Leben war!
Nach und
nach fand sich bei den am Hohlweg feuerbereit gehaltenen Maschinengewehren ein
Häuflein von etwa 250 Mann ein. Das I. Bataillon und die bei ihm eingeteilten M.-G.-Züge
hatten schrecklich gelitten. Hauptmann Hegelmaier (4.), die Leutnants d. R.
Pfister (2.) und Eberhardt (3.) waren verwundet; fast alle Unteroffiziere und
380 Mann tot, verwundet oder vermißt. Die tapferen Führer der M.-G.-Züge,
Vizefeldwebel Staneker und Segeant Kreßner, sowie ein Gefreiter und zwei
Richtschützen hatten den Heldentod gefunden; zwei weitere Unteroffiziere und
fünf Maschinengewehrschützen waren verwundet, so daß nur noch zwei
Maschinengewehre besetzt werden konnten. Die Verluste der beim Inf.-Regt. 132
eingeschobenen 3. Kompagnie, sowie des II. Bataillons, dessen Führung nach der
schon gleich bei Beginn des Antretens zum Nachtangriff erfolgten Verwundung des
Majors v. Borowsky (Schrapnellschußverletzung an der Hüfte) Hauptmann Schulz
der 6. Kompagnie übernommen hatte, waren etwas geringer gewesen, Leutnant
Teichmann (8.), sowie Offizierstellvertreter Schaeffer (3.) verwundet worden.
Trotz des
noch lange Zeit hindurch mit unverminderter Heftigkeit anhaltendem feindlichen
Feuers haben sich die Meldegänger des Bataillonsstabs oder andere in
unmittelbarer Nähe befindliche Leute freiwillig erboten, Nachrichten über die Lage
der weit verstreut im Walde liegenden Teile des Regiments zu holen. Der wackere
Gefreite Hauß der 3. Kompagnie hat dreimal einen solchen gefahrvollen Gang
ausgeführt; auf dem letzten brach er schwer verwundet zusammen. Auch den
Gefreiten Bayer der 2. Kompagnie, der in allen seitherigen Schlachten und
Gefechten als unzertrennlicher Begleiter seines Bataillonskommandeurs unzählige
Beweise von Opfermut und Kaltblütigkeit geliefert hatte, traf das gleiche
Schicksal, als er hinter der Gefechtslinie im stärksten Kugelregen entlang
eilte, um die Lage am rechten Flügel beim Inf.-Regt. 132 festzustellen. Fünf
Monate später ist dieser Tapfere, von seiner schweren Verwundung kaum geheilt,
wieder beim Regiment eingetroffen, bald darauf aber als Unteroffizier vor Hooge
den Heldentod gestorben.
Bis nach
Mitternacht lagen die Reste des I. Bataillons, dabei der größte Teil der 7. und
8. Kompagnie, flüchtig eingegraben am Hohlweg in genau derselben Stellung, die
das Regiment später, nachdem auch an der Ypernfront der Grabenkrieg begonnen
hatte, vom 26. Dezember 1914 an bis zum Mai 1915 zu halten bestimmt gewesen
ist!“
aus: „Das 8. Württembergische Infanterie-Regiment
Nr. 126 „Großherzog Friedrich von Baden“
im Weltkrieg 1914-1918“, Stuttgart 1929
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen