„Mitte
Januar 1915 erachtete der Regimentskommandeur Ausbau der Stellung und Geist im
Regiment für genügend gereift zu einer energischen Unternehmung; sie sollte als
nächtliche Überraschung durchgeführt werden. In lautloser Stille wurden in der
Nacht vom 17. auf 18. Januar 4 Kompagnien dem Granathof gegenüber
bereitgestellt, Pioniere mit Sprengmaterial dahinter. Kein Geschütz unterbrach
mit seinem Donner das nächtliche Schweigen. In den deutschen Gräben waren
Auftritte, Leitersprossen und Gestelle angebracht, um ohne Geräusch auf und über die Brustwehr
kommen zu können.
Punkt
1.10 Uhr vrm. traten die deutschen Schützen an, sie gelangten ohne einen Schuß
bis wenige Meter vor die französische Stellung. Erst als das schlechte und
schmale französische Drahthindernis teils beseitigt, teils überstiegen wurde,
krachten die ersten feindlichen Schüsse. Aber im nächsten Augenblick waren 2
schwäbische Kompagnien im französischen Schützengraben. Die 2 andern Kompagnien
waren als Reserve rückwärts belassen worden.
Der
feindliche Graben umgab Granat- und Friedhof und war von 2 Kompagnien besetzt.
Ehe diese den Schlaf sich völlig aus den Augen rieben, war der größte Teil mit
Kolben und Bajonett niedergemacht und über 100 Mann mit 3 Offizieren gefangen
genommen. Entkommen dürften nur wenige sein.
Weiter
ging der deutsche Sturm, hinein in den Granathof, während gleichzeitig ein
Leuchtraketenzeichen die Artillerie aufforderte, aus allen Rohren loszudonnern,
nicht auf den viel umstrittenen Hof, sondern hinter denselben. Die Verbindung
von Granat- und Friedhof nach rückwärts sollte von deutschen Granaten
abgesperrt werden, ein damals noch recht neues Verfahren. Es gelang
vollständig, die Franzosen wußten nicht, ob Freund oder Feind in Hof und
Begräbnisplatz saß, keinen Schuß gab ihre Artillerie dahin ab und keine
feindliche Reserve durchschritt die Feuersperre.
In den
Kellern des Granathofs lagen die gefürchteten Scharfschützen. Sie waren befreit
von jedem nächtlichen Sicherungsdienst, wurden überhaupt geschont in jeder Art.
Der gewöhnliche Kommißbetrieb war Sache der 2 überrumpelten Kompagnien gewesen.
Aber als brave, tapfere Soldaten wollten die Scharfschützen nichts von Übergabe
wissen, ein rasendes Schnellfeuer zu Kellerfenster und -türe hinen mußte
einsetzen und sie niedermähen. Ehre sei diesen Helden!
Jetzt
konnte die Tätigkeit der Pioniere beginnen. Sie schafften Sprengstoff und
Sandsäcke zum Verdämmen in die Keller. Nach zweistündiger, eiligster Arbeit im
Schweiß ihres Angesichts meldeten sie: „Sprengfertig“. Ein langgezogener Pfiff
aus der Torpedopfeife rief alle Deutschen schleunigst zurück in den eigenen
Schützengraben, 5 Minuten später – ein Druck auf die elektrische Leitung und
mit Donnergetöse flogen die Kellergewölbe in die Luft. Freilich nicht alle, bei
einigen scheint die Sprengung versagt zu haben. Sie boten schwachen feindlichen
Truppen immer wieder Schutz. Aber von großer Bedeutung waren diese deckenden
Reste nicht, und unsere schwerste Sorge, die Eingänge der feindlichen Minenstollen
in den Granathofkellern, war zerstört, die Minengefahr für uns auf geraume Zeit
beseitigt. Der Vorsprung, den das deutsche Minensystem hiemit über das
französische bekommen hatte, ließ sich vom Gegner überhaupt jetzt kaum mehr
einholen.
Die
eigenen Verluste an Toten und Verwundeten betrugen 3 Offiziere und 31 Mann.
Wie nicht
anders zu erwarten erfolgte im Lauf des 18. Januar ein französische
Racheschießen; sie sandten einen achtstündigen Eisenhagel auf La Boisselle.
Eine Granate durchschlug den Geschäftszimmerunterstand des Regiments. An dem Platz,
an welchem der Regimentskommandeur zu arbeiten pflegte, saß zufällig der
Ordonnanzoffizier Leutnant d. R. der Feldartillerie Haußer aus Ludwigsburg,
Bühlers Nachfolger. Beide Beine wurden ihm abgeschlagen, nach einigen Stunden
starb dieser brave und tüchtige Mann.“
aus: „Das württembergische Reserve-Infanterie-Regiment
Nr. 120 im Weltkrieg 1914–1918“, Stuttgart 1920
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen