„Am
26. wird die 9. Kompagnie durch die erst vor zwei Tagen von Höhe 263 nach
Varennes zurückgekehrte 6. abgelöst. Tags darauf wird das Feuer wieder lebhaft,
und dann beginnt am 28. morgens 9.30 Uhr eine Beschießung von Vauquois, gegen
die, wie Hauptmann Fetzer in einem Briefe schreibt, „alles bisher erlebte nur
ein Kinderspiel war“. „Die 28,5er flogen dem Dutzend nach brüllend durch die
Luft daher. Der ganze Berg sprühte Feuer wie ein Vulkan. Der Ausbruch des
Vesuv, den ich im August 1897 oben auf dem Berg mitgemacht habe und der für
mich bisher das Großartigste war, was ich gesehen habe, tritt zurück im
Vergleich mit diesem Schauspiel. Droben riß es natürlich alle Schützengräben
zusammen, legte fast die letzten Trümmerreste des Bergortes nieder, fegte den
vorher zackigen Rücken glatt und riß haustiefe Löcher in das Plateau, eines am
andern. Kein bombensicherer Unterstand fast bot mehr Schutz; in einem, den man
für besonders sicher gehalten hatte, wurde nahezu ein Dutzend Offiziere auf
einen Sitz erschlagen. Meine 6. Kompagnie verlor in einer Stunde alle Offiziere
und die Hälfte der Mannschaften. Ein Bataillon des Regiments 144 verlor bis auf
den Bataillonsführer und seinen Adjudanten alle Offiziere, noch 7, die das Bataillon
aus den Argonnen herausgebracht hatte, 1 verwundet, 3 tot, 3 verrückt geworden.
Auch von meiner 6. Kompagnie verloren 4 Mann den Verstand.
Nach
dieser unerhörten Artilleriebeschießung schritten die Franzosen zum Infanterieangriff
und drangen tatsächlich in Vauquois, d. h. die Trümmerstätte auf dem Plateau
des Totenhügels, ein. Aber unsere bis zum Wahnsinn beschossenen Leute über den
Nordhang des Berges hinüberzuwerfen, gelang ihnen nicht; ja nicht einmal das
ganze Trümmerfeld oben vermochten sie zu erobern: Und selbst der nicht weniger
furchtbaren Beschießung am folgenden Tage hielten unsere Braven noch immer
stand.“
Die
6. Kompagnie, von der während dieser unerhört gewaltigen Beschießung ein Teil
in vorderer Stellung war, zog die Grabenbesatzung bis auf einen
Beobachtungsposten für jede Gruppe in die Unterstände zurück und, als der
Graben schließlich völlig eingeebnet war, und auch die Posten sich nicht mehr
halten konnten, wurde von dem Keller aus beobachtet, in dem sich der größte
Teil der Stellungsbesatzung befand, bis der Gegner durch Maschinengewehrfeuer
auf den Kellereingang jede Beobachtungsmöglichkeit unterband. Da sitzt man denn
eng zusammengedrängt im Keller, ohne zu wissen, wie es draußen steht, ohne die Möglichkeit,
sich zu wehren. Unaufhörlich krachen die schweren Granaten. Eisig wie
Grabesluft weht der Luftdruck über die schweigend wartenden Männer. Da ein
ohrenbetäubender Krach, Steine und Schutt rieseln herab, beengend legt sich der
Staub auf Gesichter und Lungen. Der Eingang ist verschüttet, nur noch kriechend
kann man ins Freie. Endlos scheinen die Stunden. Wann schlägt die nächste
Riesengranate den Keller zusammen und begräbt die Insassen in einem Massengrab?
Endlich, nach 6stündiger Beschießung wird das Feuer rückwärts verlegt. Aber
noch ehe man sich aus dem Gefängnis herausarbeiten kann, schießen die Franzosen
schon in den Keller hinein. Jeder Widerstand ist nutzlos. Leutnant Betzler
verhandelt. Er fordert seine Leute auf, sich zu ergeben. Einzeln kriecht man
aus dem Keller heraus. Leutnant Betzler wird als erster abgeführt, aber die
Hinterdreinkommenden werden sofort niedergemacht. Nein, dann lieber lebendig
begraben. Widerstand ist aussichtslos.
In den Winkeln des Kellers drückt man sich zusammen. Die Stimmung ist
verzweifelt. Da plötzlich ein lautes Hurra. Die 120er haben die Franzosen im
Kampf Mann gegen Mann geworfen. Aber noch ist’s unmöglich, aus dem Gefängnis
herauszukommen, wider sperrt Maschinengewehrfeuer den Ausgang, und bis zur
Dunkelheit müssen die Eingeschlossenen aushalten.“
aus: „Das Württembergische
Landwehr-Infanterie-Regiment Nr. 124 im Weltkrieg 1914–1918“, Stuttgart 1920
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