„Wir
hatten oft kleine Scheiben gemacht und über die Brustwehr gehalten, damit der
„Knäller“ ein Ziel hatte, und erschoß auch darauf. Recht gut schoß er, es war
deshalb nicht ratsam, seinen Kopf hinauszustrecken, jedenfalls nicht länger an
derselben Stelle. Auch bei uns wurde der „Knäller“ eingeführt. Es wurden
nämlich Fernrohrbüchsen ausgegeben und besonders gute Schützen gingen damit
regelrecht auf Anstand, aber nicht auf einen guten Sechserbock, sondern auf
Franzosen. Das ist roh, wird mancher Leser sagen. Aber es war doch Krieg und
der ganze Krieg ist roh und unerbittlich hart und macht auch die Soldaten so.
Wer es nicht ist, der ist der Dumme, das verspürt jetzt der Deutsche am eigenen
Leib. Auch damals standen Frontsoldaten auf dem Standpunkt: „Tu‘ ich ihm
nichts, so tut er mir nichts.“ Sie haben aber mit der Zeit umgelernt und
eingesehen, daß man dem Gegner schaden muß, wo man nur immer kann. Es hat aber
lange gedauert, bis Offizier und Soldat im Schützengraben zu dieser Überzeugung
kamen. Deshalb waren die Nahkampfmittel, wie Minenwerfer oder sein
behelfsmäßiger Vorfahre der Erdmörser, die Handgranatenwurfmaschine und
Gewehrgranaten gar nicht beliebt. Dazu kommt noch, daß durch Unvorsichtigkeit
und falsche Behandlung der Waffen sehr viel Unglücksfälle vorkamen. Die Leute,
die behaupteten, daß wir durch unsere Gewehrgranaten mehr Verluste hatten, als
der Gegner, werden nicht ganz unrecht haben. Sie wurden deshalb bald wieder
abgeschafft. Auch der Erdmörser verschwand mit der Zeit, während der
Sommeschlacht wurden die letzten verwendet. Schön war es aber, doch, wenn die
25 Kilo schweren Geschosse, die mehr An einen Marmeladeneimer erinnerten, als
ein Geschoß oder eine Mine, fast senkrecht in die Höhe fliegen, dann – sich
mehrmals überschlagend – auf die feindliche Stellung mit hörbarem Aufschlag herunterfielen
und schließlich mit einem fürchterlichen Krach losgingen – oder auch nicht.
Denn auch das kam häufig vor. Manchen „Knäller“ und manches Maschinengewehr hat
man durch den Erdmörser zum Schweigen gebracht, aber auch manchen
Schützengrabengast zur schleunigen Beendigung seines Besuchs veranlaßt. Denn
meistens antwortete der Franzose mit seiner Artillerie, und für diese hatten
die Schützengrabengäste kein Verständnis. Es war dies das sicherste Mittel, um
unliebsame Besuche loszuwerden. Während die Einheimischen genau wußten, wo die
Artillerie hinschoß und beurteilen konnten, ob sie in Gefahr sind oder nicht,
konnte der Fremde dies natürlich nicht. Er war sogar meistens so sehr von seiner
Wichtigkeit eingenommen, daß er glaubte, die Artillerie hätte es ganz bestimmt
auf ihn abgesehen, und wenn auch die ersten Schüsse weit daneben gingen, so
mußten sicher die nächsten treffen. Es waren aber nicht alle so. Viele waren
auch so naiv, zu glauben, im Schützengraben sei man in Abrahams Schoß, weil sie
bisher immer zu eine ruhigen Tageszeit in Stellung waren, wo weit und breit
kein Schuß fiel.
Besonders
an nebligen Morgen war dies der Fall. Wir und die Franzosen benutzten die
Gelegenheit, um irgend eine Arbeit außerhalb des Grabens zu erledigen, die man
sonst nur bei Nacht machen konnte, und niemand schoß, um den Gegner nicht zu
reizen. Auch die Artillerie schoß nicht, weil sie keine Beobachtung hatte. Der
Nebel war aber oft heimtückisch, ein Windstoß – und er war weg. Wehe dem, der
da nicht schnell genug in den Graben kam. Mancher hat seine Sorglosigkeit mit
dem Leben bezahlt. So war links vom Granatloch eine gefährliche Stelle, an der
mehrere Leute gefallen sind, bis man dahinter kam, daß man sich dort außerhalb
des Grabens vom Himmel abhob und auch bei Nebel oder verhältnismäßig dunkler
Nacht vom Gegner gesehen wurde.
Der
Franzose war überhaupt außerordentlich aufmerksam. Er war immer darauf bedacht,
uns zu schaden, wo er nur konnte und erkannte immer sehr bald, wo wir eine
schwache Stelle boten. Da war z. B. ein eingebauter Schutzschild nicht genügend
verdeckt oder die Sonne schien durch die Schießscharte. Stand nun jemand dahinter,
so wurde die Schießscharte beschattet. Der drüben auf der Lauer liegende
„Knäller“ hatte das sofort erkannt und schoß herüber. In der Mulde am linken
Flügel des Regiments sind nacheinander zwei Leute auf diese Weise durch
Kopfschuß gefallen. Ebenso aufmerksam war die Artillerie. Wenn abends die
Essenholer zu früh weggingen und deshalb beim Verlassen der Laufgräben noch
erkannt werden konnten, so sandte er ihnen gleich einige Schrapnells nach.“
aus: „Das Württembergische Reserve-Inf.-Regiment Nr.
121 im Weltkrieg 1914–1918“, Stuttgart 1922
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