„Weit
ernster verlief eine andere Hilfeleistung, die das III. Bataillon am 1. März
1915 der Vauquoisstellung bringen mußte. Der Befehl hiezu traf am 28. Februar
gegen Abend im Hüttenlager ein und Hauptmann d. R. Schaal, der das Bataillon
führte, rückte nachts 1 Uhr über Apremont und Baulny nach dem zu Steinhäufen
zusammengeschossenen Cheppy ab, wo es 4.45 Uhr früh eintraf. Sofort erhielt es
von der dort befehligenden 66. Brigade den Befehl, nach Vauquois
abzumarschieren und im Frühlicht des 1. März erkletterten, an riesigen
Granattrichtern vorbei, auf verschlammtem Feldwege, zum zweitenmale Ulmer Grenadiere
den seit Tagen heißumkämpften Berg.
Die
Lage war anders als im letzten Dezember, wo nach einem ersten mißglückten
Ansturm der Gegner sich schnell beruhigt hatte. Diesmal hatte er schon seit Tagen
mit einer überwältigenden, wohl aus Verdun herangezogenen Festungsartillerie
den Berg bearbeitet und in mehreren Infanterieangriffen war es ihm geglückt,
schon in den südöstlichen Dorftrümmern Fuß zu fassen, so daß die ehemalige
Linie am Südrand nirgends mehr in unserem Besitz war. Die Deutschen vollends
hinunterzuwerfen und sich zum Herrn des Bergrückens zu machen, von dem aus die
deutschen Stellungen bis zu 10 km Tiefe eingesehen werden konnten, war das Ziel
seiner weiteren Angriffe. Solche Verhältnisse traf das Bataillon an, als es
nach Eintreffen auf der Höhe den Befehl erhielt, die vordere Stellung zu
besetzen. Diese war nicht mehr erkenntlich und nur eine aus Mauerresten,
Geröll, Ziegeln, Balken und Erde bestehende Wüste zeigte das Kampffeld an, auf
dem seit Tagen gerungen wurde. Schwache eigene Kräfte hielten sich dort noch,
die sehnsüchtig nach Hilfe schauten. Aber nur noch Teile konnten abgelöst
werden und zwar auf dem äußersten linken Flügel, wo ein Zug der 12. Kompagnie
in einem nach Südosten gerichteten Hohlweg Stellung bezog. Sonst machte das
inzwischen herauf gekommene Tageslicht jede Bewegung unmöglich, so daß 9. und
10. Kompagnie im allgemeinen hinter dem östlichen Teil der Stellung, die 11.
hinter dem westlichen als Reserve zurückgehalten wurden. Als Unterkunft waren
nur elende Bretterhütten, von denen schon viele zerschossen waren, vorhanden
und nicht ein einziger in den Berg gegrabener Stollen zum Schutze gegen
Artilleriefeuer wurde vorgefunden. Eine schwere Vernachlässigung des
Stellungsbaus in den letzten Monaten, die jetzt Dutzenden der deckungslos
daliegenden Infanteristen das Leben kostete!
Mit
Bangen sah man dem Tag entgegen und eine schwüle Stimmung lag über den
Verteidigern von Vauquois, die sich auf einen Raum von 400 Meter Länge und 200
Meter Tiefe zusammengepreßt eiligst in den Grabenresten, Granat- und Erdlöchern
einzurichten versuchten. Von dem Franzosen wurde nichts gesehen, aber schon um
7 Uhr früh begann er, das Dorf, den Nordhang und die Mulde nördlich davon mit
Granaten und Schrapnells zu beschießen. Gegen 11 Uhr mittags erzitterte der
Boden, wie wenn ein Erdbeben im Innern wühlte. Ein dumpfes Rauschen in der
Luft, ein gewaltiger Schlag, turmhoch spritzten Steine und Erde in die Luft –
das erste 28 cm-Flachbahngeschoß riß unweit der Kirche ein 4 m tiefes Loch in
die zerwühlte Stellung. Das war der Anfang! Ein zweiter, dritter Schuß
folgte, andere Geschütze fielen ein und
von Minute zu Minute sich steigernd ergoß sich aus West, Süd und Ost ein
furchtbarer Eisenhagel über die Kuppe, die zu einem wahren Berg des Schreckens
wurde. Steine und Splitter zerschnitten die Luft, die gas- und
staubgeschwängert das Atmen erschwerte, und einem Vulkane gleich, dessen Haupt
eine schwarze Wolkenkappe trug, stand vor dem Auge des fernen Beobachters das
dampfende Vauquois. Schwere Stunden waren über das Bataillon gekommen, dem
keine andere Wahl blieb, als seinem Gott vertrauend in diesem Feuer
auszuhalten, solange dem Gegner dieses grauenvolle Eintrommeln der paar
Quadratmeter von Vauquois gefiel. Wie sehnten sich da die Leute nach den
Waldgründen der Argonnen zurück, nach dem kurzen frischen Angriff, nach den gut
ausgebauten Stellungen und heimeligen Hütten! In wenig Kilometer Entfernung hob
sich der Wald in leicht gewellter Linie vom westlichen Horizonte ab und wie im Trugspiegel
grüßte sein dunkles Braun freundlich herüber zu den Argonnenkämpfern, die
unversehens ihm entrissen wurden, um in diesen Hexenkessel geworfen zu werden.
Hiobsbotschaften
trafen beim Führer des Bataillons ein; eisern hielt er in seinem Unterständchen,
das in der Mitte des Abschnitts unmittelbar hinterm Nordrand lag, die Fäden der
Verteidigung in Händen und ruhig sah er, bauend auf Geist und Tapferkeit der
Leute, dem kommenden Sturm entgegen. Schwere Lücken wurden im Laufe der Stunden
in seine Truppe gerissen und nicht nur Mann um Mann, nein gruppen-, ja zugweise
zerschlugen ihm die schweren Granaten die Gefechtskraft. Um 2 Uhr mittags
steigerten sich die Feuerwellen zum Sturm und in tollem Wirbel zerhämmerten bis
gegen 3 Uhr Granat- und Schrapnellsalven das letzte Fleckchen Erde, das noch
heil geblieben war.
Da
plötzlich verstummten die Geschütze und die französische Infanterie trat auf
den Plan. Sie mochte sich die Sache diesmal leicht gedacht haben, als sie mit
mehreren Kompagnien vom Südhang aus in etwa 200 m Frontbreite auf das Dorf
vorging; tief gestaffelt wälzte sich Welle um Welle, hauptsächlich gegen die
östlich de Kirche gelegenen Dorfpartien heran. Aber die kritische Minute des
Angriffs war rechtzeitig erkannt worden, schon vor 3 Uhr wurde das Seitengewehr
aufgepflanzt und mit dem Erscheinen der ersten Franzosen stürzten sich links
9., 10. und Teile der 12. Kompagnie, rechts die 11. über den Nordrand hinweg
dem Feind entgegen. Kampfentbrannt prallten die Linien aufeinander und auf 20,
30 Meter Entfernung entwickelte sich von Trichter zu Trichter, von Mauerrest zu
Mauerrest ein wildes Infanterienahgefecht, das blutigste Verluste auf beiden
Seiten forderte. Brennpunkt des Angriffs war der linke Abschnitt, wo der Gegner
dauernd Verstärkungen nachschob. Schritt um Schritt gewann er hier Boden und
drängte das kleiner werdende Häuflein der Verteidiger immer mehr an den
Nordrand zurück. Sie waren auf sich allein gestellt und jede Verbindung mit der
Außenwelt fehlte; der Draht nach Cheppy war schon vor Stunden abgeschossen und
der Lichtsignalapparat versagte. So hielten sie ihr Los selbst in Händen und,
wenn sie wichen, war nicht nur ihr Schicksal, sondern auch das des Berges
entschieden. Mit verbissener Wut wehrten sie sich und gaben den Nordrand der
Höhe um keinen Preis her. Lange stand hier das Gefecht, und jeder Versuch des
Gegners, die Deutschen vollends in die Mulde hineinzudrücken, wurde im
Infanteriefeuer zum Scheitern gebracht. Furchtbar bluteten die 9. und 10.
Kompagnie, während an den beiden andern, die auf den Flügeln fochten, der
Hauptstoß vorüberging. Diese hatten somit mehr Bewegungsfreiheit und ihrem
Eingreifen war es mit zu verdanken, wenn die Mitte schließlich stand halten
konnte. Auch das Bajonett tat seine Schuldigkeit.
Aber
der Gegner wollte nicht locker geben und, um das Stocken seines Angriffs zu
überwinden, warf er noch einmal wahllos in die feindliche, wie in die eigene
Linie, seine Granaten. Auch Schrapnellfeuer aus der Flanke, von den Argonnen
her, bestrich dauernd den Nordhang, wo der Bataillonsstab lag und der einzige
Arzt, Unterarzt Lenz, eine beinahe übermenschliche Leistung vollbrachte. Ohne
Unterbrechung strömten die Verwundeten dort zusammen, viele lagen hilflos
verblutend in den Gräben und konnten nicht geborgen werden. Es fehlte an
Krankenträgern und, was eine Flinte tragen konnte, war in der Feuerlinie, die
schließlich nur noch aus einigen Dutzend Köpfen bestand. Der Kompagnieführer
der 9. Kompagnie, Oberleutnant von Chaulin, kam mit zerschmettertem Unterkiefer
zurück, Leutnant Höring, Führer der 10., blutete aus vierfacher Verwundung und
starb nach wenigen Tagen, Hauptmann d. R. Waizenegger, eben aus der Heimat
gekommen, führte die 11. und gab sie nicht ab, trotzdem er in einem Steinhagel
ernstlich verletzt wurde, und schließlich warf auch den letzten der vier
Kompagnieführer, Oberleutnant d. R. Hofmann, eine Schrapnellkugel durch die
Lunge aufs Verwundetenlager, von dem er sich nicht wieder erheben sollte.
Leutnant d. R. Fraas, schwer verwundet, schleppt sich zum Verbandsplatz, da
packt ihn eine zweite Granate und macht seiner Qual ein Ende. Mit ihren Führern
bluteten und fielen die besten Zugführer, Unteroffiziere und Grenadiere.
Unteroffizier Schmidt der 9. Kompagnie ließ sich trotz zerschmetterter Beine
nochmals auf die Höhe tragen und feuerte solange weiter, bis er das Bewußtsein
verlor und seine Heldenseele aushauchte. Wer nennt die Namen all, die ihnen
gleich, den sicheren Tod im Auge, das Letzte hingaben, die verzweifelte Lage zu
retten? Sie war nahezu hoffnungslos, als auch noch die letzte Reserve des
Bataillons, hinterm Hang zurückgehaltene 50 Mann, durch einen Unglücksschuß der
eigenen Artillerie nahezu vernichtet war. Aber noch reichte die eigene Kraft
gerade aus, auch den letzten Stoß des Gegners zum Scheitern zu bringen, den er
gegen 6 Uhr mit erneut herangeführten Verstärkungen – Gefangene sagten aus, 5
Bataillone hätten an diesem Nachmittag angegriffen – gegen die 9. und 10.
Kompagnie richtete. Die letzten Patronen wurden verfeuert, Handgranaten hatte
man schon längst keine mehr. Dann brachte ein kurz vor Einbruch der Dämmerung
einsetzendes Schneegestöber Erlösung; der Gegner ging unter seinem Schutz auf
der ganzen Linie bis in einen verlassenen deutschen Schützengraben südlich der
Kirche zurück. Die Zähigkeit des Grenadierbataillons hatte gesiegt.
Zahlreich
trafen in der Nacht Verstärkungen ein und der Rest der tapferen Kompagnien
wurde als Reserve an den Nordhang zurückgezogen. Über die Hälfte des Bataillons
fehlte: 8 Offiziere, darunter 2 Tote, 2895 Unteroffiziere und Mannschaften,
unter ihnen 56 Tote hatte der Tag gekostet.“
aus: „Die Ulmer Grenadiere an der Westfront“, Stuttgart
1920
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