Mittwoch, 13. Mai 2015

13. Mai 1915


„Am 12. Mai wurde ein neuer Angriff vorbereitet. Den ganzen Nachmittag schoß sich mittlere und schwere Artillerie auf die englische Stellung ein. Wegen der Nähe des feindlichen Grabens mußten die 6. und 8. Kompagnie dabei zeitweise ihre Stellung räumen.
Die Engländer antworteten schwach mit Schrapnells. Dabei wurde Leutnant Großkurth, Führer der 8. Kompagnie, tödlich verwundet.
Am folgenden Tage war Himmelfahrtsfest. Wir feierten es auf eigene Weise.
Um 5 Uhr morgens bei trübem Wetter stieg eine grüne Leuchtkugel hoch. Es war das Zeichen für den Beginn des Artilleriefeuers.
Mochte nun der starke Gegenwind nicht in die Berechnung gezogen sein, oder was sonst der Grund war: die Schüsse, die am Tag vorher gut lagen, gingen nun zu kurz und trafen die eigene Stellung. Als eine 21er Mörsergranate mitten in der 8. Kompagnie platzte, wichen die Leute eilends nach hinten aus. Selbst bis dicht vor den Graben der 7. Kompagnie kamen die schweren Geschosse. Weiter rechts bei der 53. Res.-Inf.-Division lag das Feuer besser. Die Meldung, die zurückging, nützte nichts. Ohne Pause hämmerten die ungeheuren Geschosse in die Nähe unsres Grabens, während der englische kaum Treffer erhielt. Um 7.45 Uhr sollte gestürmt werden. Meldung auf Meldung ging zurück. Das Regiment telephonierte an die Brigade: „Bis jetzt ist noch nichts erschüttert außer unserer Stellung.“ Die Brigade telephonierte an die Division, die Artillerie wurde nervös, ihr Feuer wurde nicht besser und lag nun meist jenseits des englischen Grabens. Als die Uhren 7.45 Uhr zeigten, erhob sich rechts von der Bahnlinie die 53,. Res.-Inf.-Division und erreichte, wenn auch unter schweren Verlusten, den feindlichen Graben. Aber schon die 26. Jäger blieben liegen. Als die 7. Kompagnie auf höheren Befehl dennoch versuchte, vorzustürmen, fielen sofort 11 Mann, während 17 verwundet wurden. Die 12. Kompagnie, die bis zum Storchschnabelwäldchen vorgeschickt war, machte auch einen Versuch, und einige ihrer Leute erreichten den feindlichen Graben, fielen aber mit ihrem Führer, Leutnant Mayer, auf dessen Brustwehr. Nun setzte ein wütendes Gegenfeuer ein. Zugleich regnete es Bindfaden. Der lehmige Graben verwandelte sich in eine Schlammrinne, in der die Stiefel stecken blieben, Tote wurden darin niedergetreten, die Gewehre waren so verschlammt, daß sie nicht mehr losgingen. Auch begann die eigene Artillerie wieder und feuerte in die Massen von Freund und Feind. Es war ein tolles Durcheinander. Da gingen gegen 3 Uhr nachmittags die im feindlichen Graben sitzenden Sachsen jenseits der Bahn zurück. Sofort setzte ein vernichtendes englisches Feuer ein, das ihnen die schwersten Verluste kostete und sie in die Flucht trieb. Es war Gefahr, daß die Engländer nachdrückten, darum wurde die 5. Kompagnie, die auch nach vorne genommen war, eilends zurückgeführt, um am Gutscherhaus nach Norden hin zu flankieren. Diese Bewegung wurde im Marsch-Marsch ausgeführt und von den anderen Kompagnien mißverstanden. Es hieß, unsere Leute gingen durch; und da gleichzeitig die Engländer in hellen Haufen herkamen, um ihre Stellung wieder zu besetzen, entstand ein Durcheinander übelster Sorte. Es bedurfte des energischsten Einschreitens der Offiziere, um wieder Ordnung zu schaffen.
Die Engländer dachten nicht daran, weiter vorzugehen. Sie waren froh, ihre alte Stellung wieder zu haben, und bald herrschte wieder ziemliche Ruhe. Die Krisis war vorüber. Gegen Abend hörte der Regen auf, und man konnte daran gehen, den Graben auszuräumen und die Toten und Verwundeten, die zwischen den Stellungen lagen, hineinzuschaffen. Nicht einer blieb draußen liegen.
Aber den Himmelfahrtstag 1915 wird so leicht keiner vergessen.“


aus: „Das Württembergische Reserve-Inf.-Regiment Nr. 247 im Weltkrieg 1914–1918“ Stuttgart, 1924

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