„Die sonst so
stillen Täler hallten vom Kriegslärm wider, von dem Feuerschein der brennenden
Häuser geleitet flüchtete der Rest der Zivilbevölkerung das Münstertal hinaus.
Vom Lauchtal bis zum Barrenkopf lag sich sich steigerndes feindliches Artilleriefeuer
auf den deutschen Linien – dem Franzosen ging es um mehr als nur örtliche
Erfolge! Sein alter Traum sollte sich verwirklichen, nach der Einnahmen von
Hilsenfirst durch Lauch- und Fechttal in die Rheinebene vorgedrungen werden. Am
14. Juni begann die Schlacht. Schwere 28-cm-Granaten zerpflügten den 1270 m
hohen Hilsenfirstgipfel, bald sind von der Linie über Latschenköpfle zur
Wüstenrunz nur noch Trümmer übrig. Auch die Reserven erhalten Feuer; um 5 Uhr
nachmittags trifft von der Brigade der Befehl ein: „Die Württembergische
Gebirgs-Kompagnie ist alarmbereit!“ 9.30 Uhr abends wird er ergänzt: „Vom III.
Bataillon Reserve-Infanterie-Regiment 79 ist bekannt, daß nachmittags in der
Wüstenrunz ein vorgeschobenes Grabenstück verloren ging. Seither fehlt jeder
Verbindung mit dem Bataillon. Die Kompagnie hat gegen die Hilsenfirststellung
vorzugehen, die Lage festzustellen und das verlorene Grabenstück in der Nacht
wieder zu nehmen!“ Sofort tritt Zug Wagner zur Aufklärung der Lage an. Die
Unteroffiziere Schuster und Knupfer erkunden Hilsenfirst-Nord und
Latschenköpfle, dort finden sie die preußischen Kameraden am Waldrand und
stellen durch Verbindungsleute den Anschluß an die Gipfelstellung wieder her.
Leutnant Wagner läßt seinen Zug in die Infanteriestellung einschwärmen. Die
Aussagen der 79er über die Ereignisse des ersten Kampftages sind sehr verworren
und ergeben kein genaues Bild, nicht einmal die Lage des verloren gegangenen
Grabenstückes ist ganz einwandfrei festgestellt, als die restlichen drei Züge
gegen 3 Uhr morgens in Lechterwand eintreffen. Noch fallen nur vereinzelte
Infanterieschüsse, im Osten kündet ein flammendes Morgenrot den jungen Tag.
Fröstelnd stehen die Schützen in der Morgenkühle, den schweren Rucksack auf den
Karabiner gestützt, der Frühwind trägt einen sonderbar scharfen Geruch nach
Schwefel und Harz vom Wald herunter. Leise summt die Gruppe eine Melodie,
ahnungsvoll todbereit: „Morgenrot, Morgenrot …“
Das Gepäck wird im
Wald abgesetzt. Oberleutnant Schaller läßt sich von Leutnant Wagner über die
Lage unterrichten und befiehlt dann den dritten Zug unter Leutnant Ludwig zur
Besetzung der Gräben der Hauptstellung; der zweite Zug unter Leutnant Banzhaf
verlängert den bereits am Waldrand liegenden Zug Wagner nach rechts. –
Anschließend am rechten Flügel geht der vierte Zug mit Leutnant Zehender vor,
beauftragt, den linken Flügel des Gegners zu umfassen und gegen die
Hauptstellung zu drängen. Die Maschinengewehre stehen auf Anordnung von
Oberleutnant Morneburg hinter dem linken Flügel der Kompagnie in
Gefechtsbereitschaft. Mit zwei Maschinen-gewehren und 180 Karabinern geht die
Kompagnie ins Gefecht. Schon ist der erste Zug, ohne den Aufbau der übrigen
Züge abzuwarten, unter Führung des preußischen Infanterieoffiziers, dessen
Kompagnie den Graben verlor, zum Sturm angetreten. Stärkstes feindliches
Abwehrfeuer gebietet dem Vordringen Halt, der tapfere preußische Leutnant
fällt. Mittlerweile stellen sich die andern Züge im Laufschritt befehlsgemäß
auf, sind jedoch am raschen und gleichmäßigen Vorgehen durch Drahtverhaue stark
behindert. Mörderisches Feuer empfängt sie. Leutnant Zehender stürmt seinem
vierten Zug voran; beim Heraustreten aus dem Wald beschlagen sich die Gläser
seiner Brille und ehe er die Lage erkennen und dem Zuruf „hinwerfen!“ des
Unteroffiziers Schild folgen kann, trifft ihn eine Kugel in den Hals.
Unbekümmert um das rasende Feuer will Unteroffizier Schober als treuer Freund
seinem Führer beispringen, da erreicht auch ihn das tödliche Geschoß. Die
Verluste wachsen, – nur zu gut liegendes feindliches Artilleriefeuer setzt ein,
– vor allem machen den Angreifern die gerade gegenüber am Schnepfenried
aufgestellten Batterien schwer zu schaffen. eine Granatlage nach der anderen
heult heran, das Schicksal des Angriffs ist besiegelt, der Kompagnieführer gibt
den Befehl, ihn abzubrechen und langsam in die Ausgangsstellung zurückzugehen.
Zur Vermeidung unnötiger Verlust werden nur Beobachtungsposten vorne gelassen
und durch Fernsprechleitungen mit der Hauptstellung verbunden, die in
fieberhafter Eile am Steilhang oberhalb Lechterwand ausgebaut wird. Mit
verbissener Wut und bitterer Trauer um die gefallenen Kameraden wird die
Rückbewegung durchgeführt.
In der Hauptlinie
wird die Verbindung nach rechts und links aufgenommen; durch Fernsprecher
erstattet der Kompagnieführer an die Brigade Bericht über die Vorgänge. Diese
kann sich kein klares Bild über die Geländeverhältnisse machen und befiehlt
Oberleutnant Schaller zur mündlichen Besprechung ins Brigadestabsquartier. Das
Kommando über die Kompagnie erhält so lange Oberleutnant Morneburg. Das
feindliche Feuer steigert sich immer mehr. Stunde um Stunde prasselt der
Eisenhagel auf den Berg nieder, von Süden, Westen und Nordwesten wird der
Hilsenfirst zertrommelt; alle Kaliber sind dabei beteiligt, von den kleinen Eselsgranaten
bis zu den großen 28ern, die vom Belchen herüberkommen und mächtige Löcher in
den Boden reißen. Bäume stürzen krachend, Steine, Wurzeln, Granatsplitter und
Zweige wirbeln in der mit Rauch und Schwefeldunst erfüllten Luft; in dieser
Hölle graben sich Menschen mit kurzen Infanteriespaten in den steinigen Boden,
helfen mit hastigen Händen nach, um nur tiefer, tiefer zu kommen, ducken sich
in die Löcher, wenn eine Granatlage bedrohlich heranpfeift, warten gekrümmt,
atemlos, mit geschlossenen Augen auf den Einschlag und nur zu oft gibt der
Kamerad links oder rechts keine Antwort mehr, wird nie mehr eine geben. Die
Verluste sind schwer, die Linie wird dünn, aber sie hält.
Eine
Infanterie-Kompagnie verstärkt rechts der W.G.K. 1. Besonders schwierig wird
die Lage der Gipfelbesatzung, sie leidet furchtbar unter der starken
Feuerwirkung, die sich gegen Nachmittag auf sie konzentriert. Auch die
rückwärtigen Verbindungen werden mit Geschossen überschüttet, um das
Heranbringen von Reserven, Munition und Verpflegung zu unterbinden. Die eigene
Artillerie rührt sich kaum, die wenigen Batterien sparen ihre Munition für die
Angriffsabwehr. Schlag 5 Uhr sieht der als Beobachter mit seiner Gruppe vorn
liegende Unteroffizier Elsäßer, wie es drüben beim Gegner lebendig wird. Am
hohlen Wald und am Langenfeldkopf werden die spanischen Reiter
auseinandergeschoben und in wenigen Minuten entwickeln die dunkelblauen Alpenjäger
dichte erste, zweite und dritte Angriffslinien. Sie kommen in breiter Front,
Offiziere voraus, in gleichmäßigem Schritt den Hang herunter, rechter Flügel
gegen Hilsenfirstgipfel, linker nach der Wüstenrunz. „Alarm! Sie kommen!“ gellt
der Ruf. Er löst die ungeheure Nervenspannung, beendet das Gefühl des
Ausgeliefertseins an den nächsten Granattreffer. Zweiter, dritter und vierter
Zug richten sich in der Felshalde ein, dort ist gutes Schußfeld auf den
anrückenden Gegner, weshalb auch Leutnant Stäbler sein Maschinengewehr dort
aufstellt. Der erste Zug gräbt sich als Verbindung zur Gipfelstellung in
Schwarmlinie am Osthang des Latschenköpfle oberhalb der Waldgrenze ein. Die
Franzosen sind indessen auf 6–700 Meter herangekommen. Sie rechnen nicht mit
großem Widerstand, ihre Artillerie hat ihnen gut vorgearbeitet! Sie rechnen
auch nicht mit schwäbischer Zähigkeit. Rasendes Feuer schlägt ihnen entgegen,
die Schützen jagen aus den Karabinern heraus, was das Zeug hält, und das von
Leutnant Stäbler selbst bediente Maschinengewehr mäht ganze Reihen der „blauen Teufel“
nieder. Der Angriff wankt und flutet zurück. Ungeachtet aller Verluste versucht
der Gegner erneut, vorzukommen. Er muß wieder zurück. Die feindliche Artillerie
überdeckt die Felshalde mit Schrapnellfeuer. Aber die Schützen weichen nicht,
sie halten den immer und immer wieder anstürmenden Franzosen stand, die
schließlich jedes weitere Vorgehen gegen die Wüstenrunz aufgeben müssen und
sich am jenseitigen Hang eingraben.
Äußerst bedrohlich
ist die Lage in der Gipfelstellung. Soweit deren Besatzung nicht geflüchtet
war, ergab sie sich den französischen Kräften, die durch das Flankenfeuer der
Gebirgsschützen nachgekommen waren. Aber der durch starke Verluste geschwächte
Gegner vermochte den errungenen Vorteil nicht auszunützen; der schwachen
Gebirgs-kompagnie, die allein noch auf dem Hilsenfirst aushielt, wäre es fast
schlimm ergangen. Leutnant Wagner hat nach links verlängert, als die Infanterie
zurückging; seine Linie ist jetzt sehr dünn, aber bereit, den Franzmann heiß zu
empfangen, wenn er vom Gipfel nachrückt. Die Verbindung mit den anderen Zügen
ist abgerissen. Wenn die Franzosen nachstoßen, ist die Kompagnie umzingelt, und
im Bewußtsein der gefährlichen Lage gibt Oberleutnant Morneburg den Befehl:
„Die Kompagnie zieht sich nach Landersbach zurück!“ Leutnant Wagner, den dieser
Befehl nicht erreicht, befiehlt dem 1. Zug seinerseits: „Die Stellung wird
unter allen Umständen gehalten.“ Teile der Kompagnie ziehen sich in den Wald
unterhalb Lechterwand zurück und bereiten eine Aufnahme-stellung vor. Ein
Häuflein wackerer Schützen aber, von allen Zügen, bleibt in den am Tag
gehaltenen Stellungen. Um 9 Uhr abends bläst der Feind noch einmal zum Angriff,
aber kein Franzose verläßt den Graben. Endlich steigt aus den Tälern die lang
ersehnte Dunkelheit herauf und bringt einigermaßen Ruhe über das Kampffeld.
Weithin lodert der Flammenschein der brennenden Dörfer an der Fecht; immer
wieder gehen Leuchtkugeln hoch, knallen die Peitschenschläge vereinzelter
Infanterieschüsse in das Vorgelände. Für die Verteidiger gibt es keine Pause.
Fieberhaft wird am Ausbau der behelfsmäßigen Stellung gearbeitet und nicht ohne
Sorge an den nächsten Tag gedacht. Nach Mitternacht kommt Hilfe. Im
Steinbergwald ist das 14. Jäger-Bataillon eingetroffen, die in der Nacht noch
vorkommenden Kundschafter werden freudig begrüßt.“
aus: „Die
Geschichte der Württembergischen Gebirgsschützenׅ, Stuttgart 1933
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