„Als Tag des Angriffs wurde der 20. Juni bestimmt. Im Verein mit Teilen des Regiments 127 sollte sich das Regiment 120, mit dem II. Bataillon als Sturmbataillon, in den Besitz des Labordère-Werkes setzen und dieses halten. Die Nachbarregimenter hatten durch Scheinangriffe die Aufmerksamkeit des Gegners von der Front des Regiments abzulenken. Die letzten Tage dienten noch notwendigen Truppenver-schiebungen, der Bekanntgabe des Angriffsbefehls an die Führer, der Ausgabe genauester Anweisungen an die Sturmtruppführer, Artillerie-, Verbindungs- und Minenwerferoffiziere, von derem glücklichen Zusammenarbeiten der Erfolg des Tages wesentlich abhängig war.
In der Nacht vom
19. auf 20. Juni werden die Sappenköpfe, die zu Sprengungen vorgesehen sind,
mit Ladungen versehen, sowie die Drahthindernisse vor der eigenen Front
beseitigt, und noch ehe die Sonne am Morgen des 20. Juni ihre Strahlen durch
die zerzausten Bäume auf das Grabengewirr wirft, blitzen aus hunderten von
Geschützrohren Mündungsfeuer auf und in rascher Folge hageln unzählige von
Geschossen aller Art auf die feindlichen Stellungen. Von Stunde zu Stunde
steigert sich die Heftigkeit des Feuers; kurze Feuerpausen dienen der Reinigung
der Geschütze und dem Herbeischaffen neuer Munition. Die Wirkung der Artillerie
und Minenwerfer ist verheerend; dichte Staubwolken hüllen das Labordère-Werk
und die feindlichen Artilleriestellungen ein. Krachend fallen die schweren
Minen und 21 cm-Granaten in und zwischen die feindlichen Stellungen; Baumstämme
werden entwurzelt und meterhoch in die Lüfte geschleudert. Der Gegner hat sich
bald gefaßt und erwidert das Feuer lebhaft; einzelne aufgeregte feindliche
Maschinengewehr-Schützen lassen schon, ehe unsere Infanterie die Gräben
verläßt, ihre Waffe spielen; feindliche Flieger erscheinen neugierig über den
Stellungen. In unseren Gräben werden die letzten Vorbereitungen für den
Infanteriesturm getroffen; Hunderte von Sturmleitern zum Erklimmen der
Grabenwände werden bereitgestellt, die Seitengewehre werden vorsichtig aufgepflanzt
und Handgranaten zurechtgelegt. Immer näher rückt der Augenblick des Sturms.
Die Sturmtruppführer verfolgen in fieberhafter Aufregung das Fortschreiten der
Zeiger ihrer gleichgestellten Uhren von Minute zu Minute. Da plötzlich – 6.50
Uhr vormittags –, ein gewaltiges Beben und Krachen; man glaubt, den Boden unter
den Füßen zu verlieren. Die Sprengladungen sind in die Höhe gegangen und werfen
zentnerschwere Erdklumpen in einem Umkreis von mehreren hundert Metern umher.
Noch ehe diese zu Boden gefallen sind, haben die ersten Leute in kühnem Sprung
die Sprengtrichter erreicht; weitere folgen. Zwischen das Krachen der
Artilleriegeschosse mischt sich der schrille Ton einzelner noch kampffähiger
feindlicher Maschinengewehre. In wenigen Sekunden ist man dem 80–100 Meter
entfernt gelegenen feindlichen Werk auf Handgranatenreichweite nahegerückt. Ein
kurzer Halt zum Ausschnaufen, dann eine wohlgezielte Handgranatensalve und
hinein geht’s in den feindlichen Graben. Dutzende von Franzosen kriechen völlig
apathisch aus halb zusammengedrückten Unterständen hervor, werfen ihre Waffen
weg und verschwinden, ohne eine Aufforderung abzuwarten, in Richtung nach
unseren alten Gräben. Andere wehren sich von Schulterwehr zu Schulterwehr
verzweifelt mit Handgranaten und Pistole, Gefangenschaft oder Tod ist
schließlich ihr Los. Unsere Leute erreichen in immer größerer Zahl den
feindlichen Graben. Feindliche Maschinengewehre, die flankierend das
Zwischengelände bestreichen, machen sich sehr unangenehm bemerkbar. Manchen der
Unsrigen, die eben sich zum Sprung aus einem Granattrichter erheben, trifft das
mörderische Geschoß. Verwundete, blutüberströmt, schleppen sich zu mehreren
nach rückwärts, sich gegenseitig so gut wie möglich helfend. Nach etwa einer
halben Stunde ist die befohlene Linie von den Sturmtruppen erreicht. Ein
gewaltiges Arbeiten beginnt, denn jede Minute bringt den Mann tiefer in die
Erde und sichert ihn damit mehr gegen feindliche Geschosse. Langsam läßt die
beiderseitige Artillerie-tätigkeit nach. Die eigene und die feindliche
Truppenführung hat das Bedürfnis, sich über die neugeschaffene Lage zu
orientieren und Maßnahmen für die Weiterführung des Kampfes einzuleiten. Mit
Unterstützung von Pionieren und Arbeitstruppen, die Schanzgeräte mit nach vorne
bringen, wird alsbald mit dem systematischen Ausbau der Stellung begonnen, da
jeden Augenblick feindliche Gegenangriffe aus dem nahen „Martins-Werk“, wo der
Gegner seine Reserven versammelt hat, losbrechen können. Unsere
Maschinengewehr-Schützen haben ununterbrochen den Finger am Hebel ihrer Waffe
und, wenn sie nur die leiseste Bewegung in dem dichten Strauchwerk vor der
neuen Stellung wahrnehmen, verlassen urplötzlich hunderte von Geschossen den
Lauf der Gewehre. Bis zum Abend sind die Verteidigungsarbeiten so weit
gediehen, daß die Grabenbesatzung einem feindlichen Gegenangriff mit Ruhe
entgegensehen kann. Kleine Handgranatenkämpfe an beiden Flügeln des Regiments
bei der 5. und 8. Kompagnie enden zu unseren Gunsten; ebenso werden feindliche
Gegenangriffe, die in der Nacht vom 20./21. Juni einsetzen, glatt abgewiesen.
Das Labordère-Werk war endgültig unser.
Nur einige
feindliche Blockhäuser vor der Front der 8. Kompagnie konnten dem dort
besonders zäh kämpfenden Gegner nicht abgenommen werden; ungenügende
Artillerie-vorbereitung hatte an dieser Stelle den Infanterieangriff sehr
erschwert.
Über 100 Gefangene
und viel Kriegsgerät war die Beute des Regiments. Die blutigen Verluste des
Gegners waren hoch, aber auch unsere Ausfälle an Toten und Verwundeten recht
erheblich.“
aus:
„Das Infanterie-Regiment „Kaiser Wilhelm, König von Preußen“ (2. Württemb.) Nr.
120 im Weltkrieg 1914–1918ׅ, Stuttgart 1922
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