„Nach sorgfältigem
Einschießen unserer Geschütze und Minenwerfer, unter denen sich zahlreiche
Schwere Kaliber befanden, war schließlich der denkwürdige 30. Juni gekommen.
Kaum zeigte sich das erste Frührot über den dunklen Wäldern, da entwickelte
sich in den Gräben ein Gehen und Hasten, ein
Schieben und Drängen, ein Laufen und Rennen: die Infanterie zog heran
und stellte sich an den befohlenen Plätzen bereit. Sturmkompagnien in erster
Linie waren von rechts nach links 5., 7., 3., 4. Kompagnie, hinter denen als Unterstützung
der Rest ihrer Bataillone stand. Als Regimentsreserve war weiter das III.
Bataillon an die Totenmannmühle und ans Zerbsterlager herangeholt worden.
Pünktlich 5.15 Uhr früh unterbrachen ein erster Minenschlag, ein erster
Kanonenschuß die Ruhe des Morgens und in hundertfältigem Widerhall fiel die
ganze Artillerie ein, die 3½ Stunden lang ihren Eisenhagel über den Stellungen
der Franzosen niederprasseln ließ. Schuß auf Schuß saß in der feindlichen
Stellung und grauenvoll mußte es für diejenigen gewesen sein, die dieses Feuer
aushalten mußten. Ganze Blockhäuser flogen in die Luft, Holzverschalungen
brannten lichterloh, Palisaden zersplitterten in tausend Fetzen und
zwischenhinein schlug in den viertelstündigen Feuerpausen der Artillerie auch
noch das Feuer unserer Maschinen-gewehre. Den letzten Widerstand sollten
schließlich zwei in die Stellung E vorgezogene Feldgeschütze brechen, die über
Visier und Korn hinweg aus kürzester Entfernung in die feindliche Stellung
hineinschossen.
Und trotz einer
solchen Feuerwirkung schoß der Gegner noch, als 8.45 durch den in den
Sträuchern sich haltenden Rauch und Qualm hindurch die acht Sturmkolonnen des
Regiments zusammen mit den mit Drahtscheren ausgerüsteten Pionieren aus den
Sappenköpfen vorbrachen. Verzweifelt versuchten einzelne Maschinengewehre und
Infanteriereste in tapferster Gegenwehr den Angriff der Deutschen zu brechen;
ihre Kraft war zu gering, abgeschnitten von jeder Hilfe, konnten sie nur noch
ihre Haut so teuer als möglich verkaufen. Das deutsche Feuer hatte entsetzlich gewirkt:
tot, verwundet, zerquetscht, blutend stöhnend, verstört lagen die Franzosen in
ihrem vorderen Graben, als die deutschen Sturmwellen darüber hinwegbrausten.
Das Drahtverhau war zerschnitten und zerschossen und nichts hemmte den Einbruch
der in mehrere Linien gegliederten Angriffskompagnien in die gegnerische
Stellung, die teilweise mit Kavallerieschützen besetzt war. Tapfer waren auch
sie, aber den kampfgewohnten Infanteristen doch nicht gewachsen. Beim II.
Bataillon ging es, trotz erheblicher Verluste schon beim Überschreiten des
Drahthindernisses, ausgezeichnet vorwärts und nach kurzem Handgranatenkampf war
nicht nur die 1., sondern 9.05 Uhr bereits die 2. feindliche Linie genommen.
Aber auch hier ließen sich 5. und 7. Kompagnie unter ihren Führern Leutnant
Lieb und Leutnant d. R. Hartmann nicht halten und verstärkt und mitgerissen
durch die einschwärmende 6. Kompagnie gingen sie gegen den 3. Graben des
Feindes vor, der beim Fehlen eines weiteren Widerstandes glatt genommen wurde. Trotzdem
damit die befohlene Linie erreicht war, ließen sich einzelne Gruppen verleiten,
noch weiter vorzudringen und mit Teilen des I. R. 124 den Franzosen bis an den
ins Biesme-Tal abfallenden Hang zu folgen. Dort stießen sie auf überlegene
Kräfte und mußten unter erheblichen Verlusten – 5. Kompagnie hatte nahezu ihre
sämtlichen Zugführer verloren, Leutnant d. R. Hauber und 5 Mann des II.
Bataillons blieben vermißt – auf die allgemeine Linie des Bataillons
zurückgehen, in der unter Benützung der französischen Gräben eiligst eine
Stellung angelegt wurde. Gegen sie rannte der Gegner nach heftiger
infanteristischer Feuervorbereitung in starken Gegenstößen mehrmals an. Aber
umsonst. Infanteriefeuer und schnell vorgebrachte Maschinengewehre sorgten
dafür, daß ihm jeder Erfolg versagt blieb.
Während im
Abschnitt des II. Bataillons 400 Meter von der Ausgangsstellung entfernt so
eine neue feste Stellung im Werden war, wurde im linken Abschnitt beim I. Bataillon
noch heftig gekämpft. Die 3. Kompagnie, die Oberleutnant a. D. Aich führte, war
im Anschluß an das II. Bataillon mit ihrem rechten Flügel noch auf gleicher
Höhe mit diesem geblieben, weiter nach links aber fiel das Bataillon zurück, da
sein linker Flügel, die 4. Kompagnie unter Hauptmann Freiherr von Perfall, von
einem Blockhaus her längere Zeit schärfstes Feuer erhielt und empfindliche
Verluste der ersten Wellen hinnehmen mußte. Von den Besten wurden dabei
Vizefeldwebel Schmidt 3. Kompagnie und Unteroffizier Preising 4. schwer
verwundet. Aber es gelang, schließlich auch hier, die erste und zweite
feindliche Linie zu nehmen. Der linke Nachbar I. R. 67 dagegen, war über den
ersten Graben nicht hinausgekommen und stand vor einer gut ausgebauten, in
dichtem Gestrüpp liegenden zweiten Stellung, die nach der Karte deutscherseits
der „Grüne Graben“ genannt wurde. Dieser mündete unmittelbar links vom Regiment
in die deutsche Linie und bot taktisch die Möglichkeit, vom Grenadierregiment
aus den Gegner im Rücken zu fassen. Ehe es aber so weit sein konnte, vergingen
lange Stunden von Erkundungen und Tastversuchen, die wiederum Blut kosteten;
zunächst war es daher so, daß der Angriff zum Stocken gekommen war und das
Festhalten des Erreichten die wichtigste Aufgabe wurde. Nebenher ging das
Aufräumen der zusammengeschossenen Franzosenstellung, wo die Verwundeten
geborgen, die Gefallenen beerdigt wurden und ein reiches Material in die Hände
fiel. Die Reservekompagnien wurden herangezogen, halfen in vorderer Linie
mit, gruben Verbindungswege und bereits
in den Mittagsstunden konnten Suppe und Kaffee der Kampftruppe in Speiseträgern
zugeführt werden, was bei dem sehr heißen Sommertag äußerst nötig war. Die
Mannschaft erhielt dadurch frische Kraft, den neuen Graben zur Verteidigung
einzurichten, der bis zum Abend schon ein wesentlich anderes Gesicht hatte, als
er von den Franzosen übernommen worden war. Unablässig wurden ihr dazu von den
Reservezügen Schanzzeug, Schutzschilde, Sandsäcke, Patronen und Hand-granaten
vorgebracht und das ganze Regiment arbeitete mit, den schönen Erfolg des Tages,
der mit rund 300 Gefangenen abschloß, sich nicht mehr entreißen zu lassen. Ja,
schon wurde nach der nächsten Stellung ausgeschaut, die es noch zu nehmen galt,
wenn auch der Erfolg der linken Nachbardivision vollwertig werden sollte.“
aus: „Die Ulmer
Grenadiere an der Westfront“, Stuttgart 1920
siehe Skizze unter dem 9. Oktober 1914
Reinhold Böckle (3. von rechts) mit seinem 1916 gefallenen Bruder Friedrich (Mitte)
Bilder aus dem Besitz und mit freundlicher Genehmigung von www.ruvyk.de
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