„Die 7. württ.
Landwehr-Division hatte ihr Feldrekrutendepot in Mülhausen. Haupt-mann d. L.
Hegelmaier, der infolge Verwundung aus dem Landw.-Inf.-Reg. 119 hatte
ausscheiden müssen, leitete die Ausbildung der Ersatzmannschaften. In einer
abschlies-senden Besichtigung Anfang Juli 1915 hatte sich Exz. v. Wencher, der
Divisionskom-mandeur, von der trefflichen Schulung des Feldrekrutenbataillons
überzeugen können. Nun sollte auf seinen Befehl das Bataillon seine erste
Feuerprobe bestehen. Die Division stellte das „Bataillon Hegelmaier“ der 51.
Landw.-Inf.-Brigade zu einer Unternehmung zur Verfügung.
Die Brigade faßte
nun den Plan, der gespannten Lage am berüchtigten Stellungsknie bei
Ammerzweiler ein Ende zu machen und die feindliche Stellung an der Straßengabel
Niederburnhaupt – Balschweiler, Ammerzweiler – Gildweiler zu stürmen und in
Besitz zu nehmen. Sie ging dabei von der Annahme aus, daß das dortige
Stellungssystem des Feindes ein für sich abgesondertes Werk ohne unmittelbaren
Zusammenhang mit den feindlichen Stellungen auf dem Lerchenberg und auf der
Geländewelle nördlich Balschweiler sei. Außerdem war es die Absicht des der
Brigade unmittelbar unter-stellten Pionierhauptmanns Stauffert, die sogenannten
Horchstollen als Angriffsstollen bis unter die feindliche Stellung vorzutreiben
und das feindliche Werk in die Luft zu sprengen.
So reifte in der
51. Landw.-Inf.-Brigade der Entschluß, das Rekrutenbataillon zu diesem Angriff
zu verwenden. Der Befehl zum Sturm erging für den 11. 7. 1915. Die Frage, ob es
richtig war, an Feuer nicht gewöhnte Rekruten zu einer solchen Aufgabe zu
verwenden, mag unerörtert bleiben, so wichtig sie auch an sich erscheinen mag.
Aber, davon ganz abgesehen, war der Plan, den deutschen Stellungskeil noch
weiter vorzutreiben, und den rechten Winkel zu einem spitzigen zu machen, ein
glücklicher? Der Herausgeber dieser Schrift bezweifelt es heute noch so gut wie
damals. Die Stellung wurde durch den spitzen Keil, der der Flankierung von
beiden Seiten unbarmherzig preisgegeben war, doch niemals verbessert! Auch nach
Ansicht der Fronttruppen waren nur zwei Wege möglich: entweder einen größeren
Angriff mit Hilfe von 1 bis 2 Regimentern zu unternehmen und den Gildweiler
Wald bis etwa in Höhe der Ortschaft Gildweiler in Besitz zu bringen (das wäre wahrscheinlich
eine treffliche Stellungs-verbesserung gewesen), oder aber einen
Patrouillenvorstoß mittels Überraschung zu machen, um dabei festzustellen, ob
die Franzosen auf der Gegenseite minierten oder nicht, ohne aber die eroberten
feindlichen Linien dauernd zu halten.
Die Brigade wählte
einen anderen Weg und befahl am 10. Juli – für die Fronttruppen ziemlich
überraschend:
„Am 11. 7. 1915
abends wird mit Unterstützung der Artillerie, Minenwerfer usw. der an der
Straße Niederburnhaupt – Balschweiler hart westlich Ammerzweiler liegende
feindliche Schützengraben in Besitz genommen. Über die Straße Niederburnhaupt –
Balschweiler ist keinesfalls hinauszugehen.“
Zu dem Angriff
waren von den badischen Pionieren schon seit einigen Wochen hinter dem Vorwerk
Sautter Stände für einen schweren und einen mittleren Minenwerfer, sowie zwei
Erdmörser, und in der „Dragonerstellung“ ein Stand für einen mittleren
Minenwerfer eingegraben worden. Außerdem hatte die Brigade durch
Armierungs-soldaten einen 600 Meter langen Laufgraben von der Mitte der
Lerchenberg-Kompanie bis zum Laufgraben Bernweiler – Niederburnhaupt ausheben
lassen. Den Sturm auf die feindliche Stellung hatte das Rekrutenbataillon
Hegelmaier mit 9 führenden Patrouillen und 2 schweren Maschinengewehren, je vom
Landw.-Inf.-Reg. 123, und Pionieren der 2. bad. Res.-Pionier-Komp. 14 zu
unternehmen. Hauptmann Hegelmaier setzte zunächst drei Kompagnien zum Angriff
ein: die 3. Rekrutenkompagnie frontal, die 1. unter Hauptmann Lemppenau am
rechten, die 4. am linken Flügel. Als Reserve war neben der 2.
Rekrutenkompagnie die 4./L. 123 unter Oberleutnant Kemmler in Ammerzweiler
bereitgestellt. Außerdem hatte die Brigade das ihr hierzu überwiesene
III./Landw.-Inf.-Reg. 126 unter Major von Breuning für den Notfall nach
Bernweiler vorgezogen. Die Stellung des I./L. 123, das in Vertretung des
beurlaubten Majors Graf, Major d. R. Gutermann vom III. Bataillon führte, war
entsprechend der damaligen Gefechtsart stark besetzt. Die 3. Komp. auf dem
Lerchenberg war durch den Zug des Leutnants Wörz, die 2. Komp. in der
Ammerzweiler Südstellung durch einen Zug der 6./L. 123 verstärkt worden. Die
ganze 1. Komp. hatte die Ammerzweiler Weststellung inne. Starke Kräfte an
Artillerie und Pionieren waren herangeholt worden. Fernsprechtrupps und ½ Sanitätskompagnie
31 vervollständigten das Bild der eingesetzten Kräfte.
Es gelang, die
Vorbereitungen ohne Kenntnis durch den Gegner zu treffen und den Feind zunächst
völlig zu überraschen. Punkt 7.30 Uhr abends setzte am 11. Juli das Feuer der
deutschen Artillerie und Minenwerfer unter Hauptmann von Rhönecks Leitung ein.
Mächtig hallte das Echo der in den feindlichen Gräben berstenden schweren und
mittleren Minen und der 21-cm-Granaten vom Gildweiler Wald herüber. Nur zaghaft
wagte der Feind zunächst zu antworten. Da schlug zum großen Schrecken ein
Kurzschuß einer deutschen 21-cm-Granate in die Kirche von Ammerzweiler und in
rascher, nicht mehr abzuwendender Folge ein zweiter mitten in die Sturmkolonne
der 3. Rekrutenkompagnie ein und tötete etwa 12 und verwundete gegen 60 brave
Landwehrleute. Ein böser Schlag für das Unternehmen, dieser Kurzschuß, der nach
Angabe der Artilleristen von ungenauer Konstruktion oder unrichtigem
Granatgewicht herrührte!
9.05 Uhr abends
wird die mit einigen Zentnern Sprengstoff gefüllte Mine unter gewaltigem,
erdbebenartigem Getöse in die Luft gesprengt, die auf mehrere 100 m im Umkreis
Erdschollen und Steine in die Luft emporschleuderte.
Unmittelbar nach
der Explosion stürmen die Kompagnien des Rekrutenbataillons unter Hauptmann
Hegelmaier in drei Kolonnen, von den Patrouillen des Landw.-Inf.-Reg. 123
geführt, mit dem Bajonett gegen die feindliche Stellung vor. Hauptmann
Lemppenau gelingt es, mit der 1. Rekrutenkompagnie den feindlichen Graben
nördlich des Straßenkreuzes zu nehmen, Gefangene zu machen und sein Ziel zu
erreichen. Erheblich langsamer kommt die 3. und die ihr bald zur Verstärkung
beigegebene 2. Rekruten-kompagnie voran; ihr gegenüber wehrt sich die Besatzung,
die durch unser Artilleriefeuer nicht gelitten hatte, durch kräftiges Feuer.
Doch schließlich haben auch sie Erfolg, als sie aus dem neuen Trichter heraus unter
Hurrarufen mit aufgepflanztem Seitengewehr den Graben nehmen.
Ganz schwierig
aber gestalten sich die Verhältnisse am linken Flügel; die hier stürmende 4.
Rekrutenkompagnie gerät, noch ehe sie das feindliche Drahtverhau erreicht, in
heftiges Maschinengewehrfeuer aus der linken Flanke und erleidet schwere
Verluste. Sie arbeitet sich zwar an das feindliche Hindernis heran, kann es
aber nicht überwinden. Anscheinend hatte hier der Feind unsere Sturmgassen, so
sorgfältig sie auch verborgen waren, entdeckt. Als hier der nächtliche Angriff
ins Stocken gerät, schickt Major Gutermann als Abschnittskommandeur,
Oberleutnant Kemmler mit seiner 4./L. 123 zur Unterstützung vor. Doch bis sie
an Ort und Stelle kommt, war es schon zu spät. Der Widerstand der feindlichen
Maschinengewehre am linken Flügel und in der Flanke war nicht mehr zu brechen.
Die Annahme der höheren Führung, als ob die französische Stellung nicht mit den
feindlichen Gräben nordwestlich Balschweiler zusammen hänge, erwies sich als
Irrtum.
Inzwischen hatten
die zum Ziele gelangten Sturmkolonnen des Rekrutenbataillons den hinter der
ersten Linie liegenden zweiten feindlichen Graben in einer Länge von 400 Meter
südöstlich des Straßenkreuzes ebenfalls gestürmt und waren mit Eifer an die
Errichtung einer neuen Verteidigungslinie in den eroberten Gräben und an
Absperrung nach vorwärts und den Seiten gegangen. Die Arbeit sicherten die zwei
Maschinen-gewehre des Landw.-Inf.-Reg. 123 unter Leutnant Dinkel, Friedrich. Gleichzeitig
versuchte Hauptmann Stauffert mit Pionieren und Mannschaften der 12./L. 123, die
hierzu von Major Gutermann vorgezogen worden war. einen Laufgraben vom Vorwerk
Sautter bis zum Trichter und zu den eroberten französischen Gräben auszuheben.
Doch der Boden war steinhart; die Arbeit ging langsam voran.
Inzwischen aber –
es war Mitternacht geworden – hatten die Franzosen eiligst Verstärkung an
Artillerie herangeholt. Und nun begann ein gewaltiges, von allen Seiten
kommendes, konzentriertes Bombardement der verlorenen Stellung mit einem
Munitionsaufwand, wie ihn nur der Feind sich in dieser Zeit leisten konnte. Vom
Ausbau der Stellung konnte keine Rede mehr sein. Das Feuer war zu stark und die
Verluste zu groß.
Und nun rüstete
sich der Gegner zum Gegenstoß, wobei er die Flankierungsmöglichkeit meisterhaft
ausnützte. An ein Niederhalten der feindlichen Artillerie durch die deutsche
war schon aus Gründen des beschränkten Vorrates an Munition nicht zu denken.
Kam der Tag, so war nach Lage der Verhältnisse, insbesondere des ungünstigen
Geländes, das Halten der Stellung unmöglich, ohne die Aufopferung der ganzen
Besatzung. Da entschloss sich Generalmajor Trützschler von Falkenstein, auf
wiederholtes Ansuchen aller in Betracht kommenden Führer, den Graben nach Mitnahme
sämtlicher Toten und Verwundeten und Zerstörung der Anlagen wieder zu räumen.
Der Rückweg in der Dunkelheit gestaltete sich in dem feindlichen Feuer
besonders schwierig. Die Verbände der im Gelände nicht bekannten Rekrutenkompagnien
lockerten sich; es entstand ein ziemliches Durcheinander. Und das Schlimmste
dabei war, daß die Franzosen gleichzeitig ihren Gegenstoß ausführten. So ging
trotz heldenmütiger Verteidigung einzelner Gruppen im Gewirr des nächtlichen
Gefechts der Minentrichter verloren. Der Gegner erfaßte in raschem Entschluß
seinen Vorteil und setzte sich darin fest.
So endete der
anfänglich gut verlaufende Angriff mit einem Mißerfolg, der hätte erspart
werden können. Und nun zeigte es sich, als der Tag über dem blutigen
Gefechtsfeld anbrach, daß die Pioniere sich mit der Lage ihres Minenstollens
gewaltig verrechnet hatten. Statt die feindliche Stellung am Straßenkreuz damit
zu zerstören, saß der etwa 12 m im Durchmesser fassende Trichter nicht in,
sondern 20 m vor der feindlichen Stellung; statt den Feind zu schädigen, gab
man ihm im Trichter ein Mittel in die Hand, seine Verteidigung zu stärken. Da
er unmittelbar vor dem feindlichen Graben war, wurde er zu einem
vorgeschobenen, für unsere Artillerie schwer faßbaren Bollwerk. Auch wenn er in
deutschen Händen geblieben wäre wären für die Zukunft nicht weniger schlimme
Zustände entstanden, als sie die Entwicklung nachher ergab. Die Verluste dieses
Nachtangriffs waren schwer: mehr als 25 Tote, darunter der
Artilleriebeobachter, Leutnant d. R. Bader vom württ. Landw.-Feldart.-Reg. 1,
und über 150 Verwundete, in der Mehrzahl vom Rekrutenbataillon, wurden gezählt.
Dazu kamen noch mehrere Vermißte. Was wollten die acht gefangenen Franzosen,
der erbeutete Minenwerfer und das übrige eroberte Geräte dagegen sagen? Die
Opfer standen in keinem Verhältnis zum Zweck des Unternehmens.“
aus: „Württembergisches
Landw.-Inf.-Regiment Nr. 123 im Weltkrieg 1914–1918“, Stuttgart 1922
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