Montag, 13. Juli 2015

13. Juli 1915


„Der 13. Juli brach an, es war ein regnerischer und naßkalter Tag, wie die vorher-gehenden.
2.30 Uhr vormittags traf der Regimentsstab auf seinem Gefechtsstand bei Punkt 164 ein. Um die gleiche Zeit besetzten die vordersten Kompagnien der Bataillone Frhr. von Hügel (I.) und Frhr. von Crailsheim (III.) mit ihren Sturmwellen die Sturmgräben, mit ihren Reserven die Zwischenstellung und die Verbindungswege, das Bataillon Sproesser (II.) rückte als Reserve in die Hauptstellung. Fröstelnd, in Mäntel, Decken oder Zelte gehüllt, an den Grabenwänden kauernd, wartete das Regiment der Dinge, die da kommen sollten.
4.30 Uhr vormittags setzte das Feuer der eigenen Artillerie ein, ging ganz allmählich in planmäßiges Wirkungsschießen über und verstärkte sich schließlich zu ungeheurem Trommelfeuer. Die Feldgeschütze dreier Armeekorps und 60 schwere Batterien überschütteten den Gegner mit ihrem Eisen aller Kaliber, die Erde zerfetzend. Die feindliche Stellung war ganz in Gasschwaden, Rauch, Schmutz und Staub gehüllt, der Boden bebte. Die Antwort seitens der Russen war schwach.
Plötzlich nach diesem Höllenlärm trat Totenstille ein. Wenige Minuten zuvor – 8.39 Uhr vormittags, mit der Minute, wie befohlen – verließen die ersten Sturmwellen den Graben. „Mit diesem Augenblick,“ sagt Albert Leopold in seinem Werkchen „Im Schützengraben“ so trefflich, „war das bewußte Einzelleben gleichsam ausgelöscht, es gab nur noch eine geschlossene, irgendwie zusammengeschweißte Einheit von Kämpfern, es gab nur noch einen Willen, von dem alle gleichermaßen erfüllt waren, und der alle gleich trug und leitete. Jeder wußte was not tat.“
Trotz des verheerenden Artilleriefeuers waren die Drahthindernisse nicht so lückenlos zerschossen, wie wir vermutet und gehofft hatten und die feindliche Stellung zeigte durchaus noch Leben. So wurden beim Vorgehen die äußeren Flügel der Bataillone aus den Flanken heftig von Maschinengewehren befunkt, so daß sie zum Teil dorthin die Front nehmend, kurze Zeit in ihrem Drange nach vorwärts aufgehalten wurden, im großen Ganzen ging aber alles programmäßig.
Die erste Welle durschnitt das Drahthindernis und bewarf den Gegner mit Handgranaten, die anderen Wellen folgten und setzten die Säuberung der Gräben fort. 10.15 Uhr vormittags hatten wir die befohlene Linie erreicht und waren damit Herren von Osowiec und der Schanze östlich Osowiec. Die Stellung wurde umgedreht, Schutzschilde wurden aufgestellt, Drähte vor die Gräben geworfen, die Maschinen-gewehre aus der Sturmstellung nachgezogen, Annäherungswege zur neuen Stellung ausgehoben, die Telephonleitungen nachgebaut.
Daß dies nur der Anfang unserer blutigen Arbeit war, wußten wir nur zu genau, hatte doch der Russe das ganze Vorgelände, Felder, Brachland und Sümpfe meilenweit bis zur Narewfront mit einem kunstvollen Netz von Schanzen und Gräben durchflochten, in dem er unserem weiteren Vordringen die Stirn bieten konnte und es wohl auch versuchen würde.
Um 3 Uhr nachmittags rückte das Regiment in die Linie Osowiec-Süd – Wegegabel zu Szla vor und verblieb dort die Nacht, mit dem Befehl, diese Linie unbedingt zu halten. Die Russen griffen nicht an. Bestürzt von der Przasnysz drohenden Umklammerung gaben sie Przasnysz auf, opferten alle Zwischenstellungen und zogen sich auf ihre südlich und östlich von Przasnysz verlaufende zweite Hauptstellung – ungefähre Linie Zjechanow – Sjeljona – Krasnosielc – zurück. Als die Sonne sank, sah man lange Kolonnen auf Makow zurückfluten, umleuchtet vom Feuerschein brennender Dörfer. Um diese Zeit durchschritten auch schon starke Kräfte der Armee Gallwitz die Trümmerstätte von Przasnysz, der Feind durfte nicht zur Ruhe kommen.
Der Erfolg des Tages kostete dem Regiment 70 Tote und 237 Verwundete. Zwei von den erst bei Czarzaste ins Feldregiment eingestellten Fähnrichen – Gräter und Höschele – erlagen ihren vor Osowiec erhaltenen Wunden am 14. bezw. 17. Juli.“



aus: „Das Infanterie-Regiment „Kaiser Friedrich, König von Preußen“ (7. Württ.) Nr. 125 im Weltkrieg 1914–1918“ׅ, Stuttgart 1923

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