Aus einem Bericht
des Leutnants Wollinsky (Zugführer 6./IR 126):
„Auf dem Morgen
des 30. Juli war der Sturm festgesetzt. Alles war bis ins kleinste hinein
vorbereitet. Die Drahthindernisse vor der Front waren beseitigt, Sappen zur
schnellen Verbindung mit dem anzugreifenden feindlichen Graben vorgetrieben,
Munitions- und Materiallager angelegt, Verbandzeug und Sanitätsunterstände
herge-richtet.
Die Nacht war im
Begriff, einem herrlichen Sommertage Platz zu machen. Im Park Vogelgezwitscher;
leichter Nebel verwischte die Spuren des Krieges. Hin und wieder ein
Flintenschuß, sonst sonntägliche Stille. Es wird 4 Uhr vorüber sein. Da – ein
dumpfer Klang, ein heller Streifen am dunklen Himmel, ein ohrenbetäubender
Krach, und plötzlich fängt der Himmel an zu flammen, die Erde zu brennen und zu
donnern. Artillerie, Minen- und Flammenwerfer speien ihr todbringendes Feuer in
die feindlichen Gräben. Dunkle Gestalten lösen sich von den deutschen Gräben.
Immer mehr werden es, die Hinteren suchen die Vorderen zu überholen. In allen
ist ein Drang nach vorwärts, ran an den Feind. Es gilt, die Überraschung
auszunützen.
Schon fangen die
feindlichen Maschinengewehre an zu rattern, Schrapnells platzen über den Köpfen
der Stürmenden, eine schwere Mine schwirrt über sie hinweg, ein
ohrenzerreißender Krach. – aber alles ist schon in ihrem Rücken.
Mit einem Sprung
sind die schwachen feindlichen Hindernisse genommen. Jetzt hinein in den
Graben. Wir haben da 8. Bataillon der Londoner Rifles-Brigade gegen uns, die
zur 1. Kitchener-Armee gehört, lauter junge, kräftige Leute; doch den deutschen
Anprall halten sie nicht aus. Im Augenblick ist der erste Graben mit Bajonett
und Handgranaten gesäubert. Nur aus den Häusertrümmern heraus ertönt das
gleichmäßige Rattern der englischen Maschinengewehre. Lichter und lichter
werden unsere Reihen. Bloß jetzt kein Stutzen! Soll der so erfolgreich
begonnene Angriff an ein paar englischen Maschinengewehren scheitern?
„Vorwärts, mir
nach!“ hört man den Führer rufen. Mit welcher Wut und Erbitterung stürzen sich
die jugendfrischen kräftigen Gestalten durch den Geschoßhagel der
Maschinengewehre hindurch! Viele stürzen und fallen; doch was übrig bleibt,
genügt. Von den englischen Maschinengewehr-Schützen ist keiner davongekommen.
Und weiter bahnen sie sich über blutende, zuckende Körper hinweg den Weg. Nur
keinen Aufenthalt! Verwundete zu besorgen und verborgene Schlupfwinkel nach
Gefangenen auszusuchen, ist Sache der andern, die folgen. Schweißtriefend und
mit Blut besudelt kommen die ersten am Ziele an. 4 Maschinengewehre und 5
Minenwerfer haben sie erbeutet. Gefangene wurden in der rasenden Wut des
Kampfes nur wenige gemacht.
Gerne wären sie
weitergestürmt, dem fliehenden Gegner nach, ehe er seine Reserve-stellung am
Zuavenwäldchen erreicht. Kaum konnten die Führer sie zurückhalten. Weiter vor
durfte jedoch der Angriff ohne Unterstützung von rechts und links nicht
getragen werden.
Also Spaten heraus
und sofort angefangen, den Graben zur Verteidigung einzurichten! Der
Gegenangriff wird nicht lange auf sich warten lassen.
Dabei nur kein
Erschlaffen und kein Ausruhen! Mit fiebernder Eile wird gearbeitet. Aber schon
hat die feindliche Artillerie uns gefunden, schon kommen die ersten Granaten, –
näher und näher schlagen sie ein, zerfetzen den grünen Wiesenteppich vor und
hinter uns und da haut auch schon ein Volltreffer in den Graben. Andere folgen;
es gibt Tote, Verwundete, Verschüttete; aber die Arbeit geht weiter.
3 Uhr nachmittags
steigert sich das Schießen zum Trommelfeuer. Ein Pfeifen und Sausen, ein
Donnern und Krachen in blitzschneller Folge, 40 Minuten lang – Graben-wände
stürzen, Verwundete stöhnen; aber fest und aufrecht steht der Posten in seiner
Nische, den starren Blick dem Feinde zugewendet, die Nerven zum Zerreißen
gespannt.
Und da steigen sie
auch schon aus dem Graben, in dichten Massen. Ordentlich gemächlich im
Bewußtsein, die da drüben sind jedenfalls erledigt, kommen sie näher. – das
bricht den Bann; ein Sprung und unsere Leute sind an der Brustwehr. Und wir
schießen, laden, schießen, bis der Lauf zu glühen anfängt. 100 m kommen sie
über den Graben hinaus, 100 m haben sie noch bis zu dem unsrigen; da bricht der
Sturm zusammen. Nur ganz wenige erreichen ihren Graben wieder.
Von neuem heulen
die Granaten. Auf alle Verbindungswege bis zurück zu den Reserven legt sich das
Feuer und dauert den ganzen Tag und die ganze Nacht. Um Mitternacht setzt
wieder Trommelfeuer ein. der Himmel flammt von dem Mündungsfeuer der schweren
Geschütze, leuchtende Geschoßbahnen zerschneiden den nächtlichen Himmel,
blitzartig, taghell beleuchten die Flammen der platzenden Granaten und
Schrapnells den Graben.
Um 3 Uhr morgens
schweigt das Feuer auf einen Schlag. Leuchtkugeln aller Farben schießen in die
Höhe und wie aus dem Boden gewachsen tauchen dunkle Gestalten unmittelbar vor
dem Graben auf und schleudern ihre Handgranaten gegen die zusam-mengeschmolzene
Besatzung. Aber noch ist die Kampfkraft unserer wackeren Schwaben nicht
gebrochen; hinüber und herüber fliegen die kleinen Granaten und bald ist die
Luft mit dichtem Qualm und Rauch erfüllt, der kaum mehr zu atmen gestattet;
aber mit letzter Kraft wird der Feind, der an einer Stelle schon eingedrungen,
in das Dunkel zurückgeschleudert. Nach einer halben Stunde ist die Gefahr
vorbei. Der Feind findet nicht mehr die Kraft, seinen Angriff zu erneuern.
Aber auch wir
waren völlig erschöpft. Seit 30 Stunden hatte niemand ein Auge zugetan. Zu
essen und trinken gab’s nichts mehr. Vorgebracht konnte nichts werden. Die
Verbindungswege waren eingeebnet und das Sperrfeuer schnitt uns fast
vollständig von hinten ab. Wir waren froh, wenn wir die notwendigen Patronen
und Handgranaten bekamen. Trotzdem hielten wir noch einmal 30 Stunden in dem
bald anschwellenden, bald abschwellenden, aber nie aufhörenden Artilleriefeuer
aus. Endlich am Abend des 1. August wurden die Sturmkompagnien vom 30. Juli
durch unser III. Bataillon abgelöst.“
Ein englischer
Offizier schreibt in der „Morning-Post“ unter der Überschrift „Die Hölle von
Hooge“ über die Kämpfe vom 30. Juli bis 1. August:
„Unsere Nerven
haben das Schlimmste über sich ergehen lassen müssen, was wir je auszustehen
hatten. Wir haben die Kämpfe bei Hooge mitgemacht, über die in den Zeitungen so
leicht hinweggeglitten wird, die aber in Wirklichkeit eine mörderische und
fürchterliche Schlacht waren. Wer das Schlachtfeld jetzt sieht, dem gerinnt das
Blut in den Adern. Von dem Wald, der dort einst stand, ist nichts als der Name
geblieben. Ihrer Blätter und Äste beraubt, sanken selbst die nackten Stämme
zerschmettert zu Boden. Natürlich fanden eine Menge der Unsern ihren Tod.
Die Deutschen hatten
eine unserer Divisionen ganz unverhofft überfallen und unter schweres Feuer
genommen. Unsere Jungens ertrugen das, ohne sich vom Platze zu rühren; aber als
die Hunnen ihnen flüssiges Feuer herüberschickten, war es ihnen doch zu viel,
und sie zogen sich deshalb zurück. Kein Mensch kann solch einen Feuerregen
aushalten.
Unsere Division,
die im Rufe steht, noch nie zurückgewichen zu sein, wurde in die Richtung der
verlorengegangenen Laufgräben dirigiert. Natürlich liefen sofort aufre-gende
Gerüchte durch unsere Reihen. Wir waren zwar gänzlich im Dunkeln über die uns
zufallende Aufgabe gelassen, konnten uns aber nach vorausgegangenen
Erfahrungen sehr wohl denken, worauf es
abgesehen war. Als der General unsere Ahnung mit einer Rede bestätigte, in der
er an unser Ehrgefühl appellierte, die berühmten Traditionen der Division
hochzuhalten, war jeder bereit, das Seine zu tun. Frohgemut marschierten sie in
ihr Verderben. Um Mitternacht setzte unsere Artillerie ein und schien die
Hunnen im ganzen Umkreis unter Feuer zu nehmen. Die Hunnen antworteten von
allen Richtungen her, und das Krachen der Explosionen und Donnern der Tausende
von Kanonen war einfach ohrenbetäubend und nervenzerreißend. Meilenweit sah man
nichts als Rauch in den merkwürdigsten Schattierungen Etwa eine Stunde später
konzentrierte unsere Artillerie ihr Feuer auf die Hoogestellung. Sandsäcke,
Steine, Bretter, Erde, Ziegel, alles bewegliche Gut wirbelte in der Luft herum.
Gewehrfeuer, Bomben, Granaten, Lauf-grabenmörser und Maschinengewehre, alles
rasselte und knatterte durcheinander und machte ein Höllengetöse. Der
fürchterliche Lärm erstickte selbst das britische Hoch, als wir sahen, wie die
Hunnen ihre Kanonen aus der vordersten Linie zurückzogen. Unsere Infanterie
stürzte über den Hügel vor. Wir machten ein paar Gefangene, eroberten unsere
verlorenen Laufgräben zurück und begaben uns sofort an die
Befestigungs-arbeiten. Schon in der Nacht darauf machte der Feind den
Gegenangriff und ein furchtbares Handgemenge entstand. Wir haben seither einen
der zurückgewonnenen Laufgräben wieder aufgegeben, weil er unhaltbar war und
unter Kreuzfeuer stand, was aber unsere Stellung nicht beeinträchtigt hat.
Eines Tages wird die Geschichte dieses Kampfes geschrieben werden. Dann wird
man hören, wie unsere Division sich dabei selbst übertraf. Mein Gott, wie will
ich froh sein, dieser Hölle zu entrinnen.“
aus:
„Das 8. Württembergische Infanterie-Regiment Nr. 126 „Großherzog Friedrich von
Baden“ im Weltkrieg 1914-1918ׅ, Stuttgart 1929
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen