„Als Sturmtag
wurde der 7. Juli, als Sturmzeit 4.45 Uhr vormittags festgesetzt.
Der Franzose
mahnte. Am 30. Juni, am 2. und 4. Juli führte er Sprengungen zu den
verschiedensten Tageszeiten durch, die Verluste unter den vor Ort arbeitenden Mineuren
verursachten und die Bedrohlichkeit der Lage erneut mit aller Deutlichkeit
offenbarten.
Es mußte alles
daran gesetzt werden, dem Feinde seine Stolleneingänge für immer zu entreißen
oder mindestens gründlich zu zerstören.
Jedermann war sich
des Ernstes der Lage bewußt.
Am frühesten
Morgen des 7. Juli, kurz nach Mitternacht, marschierten die Sturmtruppen von
Neu-Württemberg nach der Stellung. Alles war voll Zuversicht. Laut tönte der
Gesang durch den nächtlichen Wald. Wolken standen vor dem Mond.
Am Materiallager
beim Erdwerk wurden Sturmgeräte, Leitern, Sandsäcke, Hand-granaten,
Schutzschilde, Schanzzeug aufgenommen.
Während die
Truppen in kurzen Abständen durch den Franz-Joseph-Weg, König-Wilhelm-Weg,
Gneisenau- und Göbenstraße nach vorne eilten, um sich an den Ausfallpforten und
in den Sappen, die von vorderer Linie zur Brietzstellung führten, aufzubauen,
war die Artillerievorbereitung bereits in vollem Gange. Nicht allein auf dem
Kuhkopf krachten und heulten die Granaten und wirbelten die Minen, im
Ailly-Wald, im Bois Brûlé war das Bild nicht anders; der Franzose mußte
irregeleitet werden über den Ort des Angriffs.
So verzettelte
sich die Antwort der feindlichen Artillerie auf die ganze Front. Auf C und D
freilich legte sie sich mit besonderer Heftigkeit.
Der Tag fing mit
Glück an. Ohne Verluste kam man nach vorne. 4.35 Uhr standen die
Handgranatentrupps auf ihren Plätzen. Schußsichere Unterbringung der
Sturmtruppen während der ganzen Artillerievorbereitung in der Nähe der
Ausfallstellen war wegen mangelnder Unterkunft nicht durchzuführen gewesen.
Noch 8 Minuten,
die zu Stunden werden. Die Führer stehen mit der Uhr am Grabenrand, die
Mannschaft duckt sich.
Heulend kommen
unsere 21 cm-Granaten aus der Mörserschlucht herauf und stürzen sich auf die feindliche
Stellung. Sie liegt in dichtem Qualm und Staub. Zuweilen zischt der Spucker
über die Köpfe weg und verknallt irgendwo in der Dardanellen- oder Göbenstraße.
Splitter und Steinfetzen schwirren durch die Luft. Leichter Regen rieselt
nieder. 4.44 Uhr – ein Ruck im Boden: vor dem Nachbarregiment rechts geht eine
Mine hoch. Jetzt vorwärts – Hurra!
Handgranaten- und Sturmtrupps stürzen aus dem Graben. Das Artilleriefeuer
springt nach vorne. Man eilt über die Hindernisse, das Gewehr umgehängt, die
Handgranate in der Rechten, reißt sich durch den Drahtwirrwarr, den das
Minenfeuer übrig gelassen.
Von links her
pfeift Maschinengewehrfeuer um die Köpfe, vorn im Graben tauchen Franzosen auf.
Handgranaten fliegen. Allen voran eilen Leutnant Gmelin und Feldwebelleutnant
Biedermann. Beide fallen schwerverwundet hart am feindlichen Graben – aber ihre
Getreuen eilen über sie weg und werfen sich auf den Feind.
Durch den Kopf
zuckt die Aufgabe. Im feindlichen Graben rechts, etwa 50 m, den ersten Graben
links, geradeaus, dann wieder rechts – dann am Ziel.
Handgranaten
fliegen in die Unterstände, Pistolenschüsse krachen; nach rechts und links
werden die Gräben aufgerollt. Bleich, mit starrem Auge, mit zitterndem Knie
drücken sich die Franzosen an die Grabenwand; sie tragen nagelneue blaugrüne
Uniformen. Viele sind verwundet.
Man weist sie nach
der deutschen Linie. Sie klettern aus dem Graben, rennen mit fliegenden
Mantelschößen, den Kopf eingezogen, Arme hoch. „camerade, camereade!“ rufen sie
von ferne.
Das Riegelfeuer
unserer Artillerie haut in die Denezièresschlucht. Die Stoßtrupps arbeiten sich
durch zur dritten französischen Linie. Da und dort ist der Graben eingeebnet;
eingedrückte Faschinen sperren den Durchgang, tote Franzosen die Grabensohle.
Eingeknickt liegt da und dort einer blutüberströmt im Winkel einer
Schulterwehr.
Man kämpft um die
dritte Linie. Infanterie- und Maschinengewehrfeuer schlägt allenthalben gegen
die Stürmer. Leutnant Völter hat alle seine Reserven eingesetzt; Leutnant Lang
führt Teile der Kompagnie Neuffer ins Feuer. Bei der dritten feindlichen Linie
sehen sie die Explosionswolken der Handgranaten; dorthin stürzen die Braven,
überspringen den ersten und zweiten französischen Graben, drücken sich durch
Gestrüpp und Hindernis und werfen sich auf die dritte feindliche Linie. Jetzt
weicht der Feind allenthalben und flieht die Mulde hinab zur
Denezières-Schlucht. Er läuft in unser Riegelfeuer.
Die Gefangenen
häufen sich.
5.30 Uhr meldet
Leutnant Völter: „Die dritte französische Linie ist erreicht und von mir stark
besetzt; sie wird eingerichtet. Verbindung nach links mit Ers./28 und nach
rechts mit Res./4. ist hergestellt.“
Die Angriffsziele
waren überall erreicht, vielfach überschritten. Leutnant Gerwig und Leutnant
Seemann drangen bis in die obere Denezières-Schlucht vor, Leutnant Häussermann
und Offizierstellvertreter Benz erreichten mit ihren Abteilungen den
Steilabfall des Kuhkops. Die starre Wand unseres Riegelfeuers bot ihnen Halt.
Maschinengewehre
wurden in die neue Stellung gebracht und vor allem zur Bestreichung der von der
Denezières-Schlucht heraufführenden Mulde angesetzt, denn dorther mußte der
französische Gegenangriff kommen.
Hauptmann Göhring
und Leutnant Mammele trassierten inzwischen die neu zu schaffenden
Verbindungsgräben, drei an der Zahl (die verlängerte Gneisenaustraße,
Nickgraben und eine Verlängerung der Hindenburgstraße), stellten ihre Leute an,
und ehe die Sonne durch den Morgennebel brach, waren die Verbindungen zur
halben Tiefe ausgehoben.
Der günstigste
Verlauf der neuen vorderen Linie wurde festgelegt, Arbeitstrupps zur Ausräumung
der gänzlich zerschossenen feindlichen Linien angestellt.
Laufkommandos
eilten nach vorne mit Schutzschilden, Hindernismaterial, Stollen-rahmen,
Schanzzeug, Munition.
Verwundete wurden
zurückgeschafft, die gefallenen Kameraden geborgen.
In der vorderen
Linie scharrte man sich Löcher in die Grabenwand zum Schutz gegen die
Artilleriegegenwirkung. Sie ließ nicht allzulang auf sich warten. Allmählich
mußte ja auch der Franzose merken, wo es gepfiffen hatte; eine Batterie nach
der andern wurde auf das neue Ziel gelenkt, und die Granaten, die anfangs nur
einzeln herangepfiffen kamen, heulten jetzt lagenweise auf die schutzlosen
Sturmtruppen. Die französischen Unterstände waren zum Teil eingeschossen, und
vor allem gab es keine in der dritten französischen Linie. Gegen 11 Uhr – es
war ein klarer, heller Sommertag geworden – heulten von Liouville 15- und
21-cm-Granaten herüber; gelb färbte sich der Fels, wo sie einschlugen.
Kurz vor Abend
ballten sich in der Denezières-Schlucht Feinde zusammen; sie wurden von unserem
Artilleriefeuer zersprengt, bevor sie sich unsern Linien nähern konnten.
Das war der einzige
Versuch eines Gegenangriffs an diesem Tage.
Die Verluste, die
während des eigentlichen Sturms gering gewesen waren, steigerten sich; zwei Maschinengewehre
wurden bis zum Abend außer Gefecht gesetzt. der spätere Vizefeldwebel
Zimmermann (aus Beilstein) hat sich hier als Führer eines Maschinen-gewehrs die
goldene Militär-Verdienstmedaille erworben.“
aus: „Das
Württembergische Landw.-Inf.-Regiment Nr. 120 im Weltkrieg 1914–1918“,
Stuttgart 1922
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