Aus einem Bericht
des Leutnants d. R. Walz (Ordonnanzoffizier I./IR 126):
„Eine volle Woche
schon liegt schwerstes Artilleriefeuer auf der vom I. Bataillon am 30. Juli im
grauenhaften Flammenwerferangriff genommenen Trichterstellung bei Hooge, als
das schwergeprüfte I. Bataillon am Abend des 7. August erneut in Stellung geht.
Man weiß nicht so recht, was der Engländer eigentlich will: will er mit seiner
Artillerie nur den Ausbau unserer neugewonnenen Stellung verhindern oder
bereitet er einen Angriff zur Wiedererlangung der für ihn äußerst wichtigen
Trichterstellung vor? Das sind unsere Gedanken im Gefechtsstand des I.
Bataillons in der Nacht vom 8. zum 9. August. Wird der erste Jahrestag der
Feuertaufe des 8. Regiments wiederum ein Gedenktag besonderer Art werden? Als
das um 3.15 Uhr früh erneut scharf einsetzende Artilleriefeuer zum Trommelfeuer
sich steigert und um 4 Uhr Maschinengewehr- und Infanteriefeuer zu hören ist
und rote Leuchtkugeln aufsteigen, ist die Ungewißheit von uns gewichen.
Jede Verständigung
durch Telephon ist ausgeschlossen, denn während die braven Fernsprecher an
einer Stelle flicken, wird der Draht an unzähligen anderen Stellen wieder
zerschossen. Nur unter Aufwendung größter Energie ist es möglich, durch
Patrouillenoffiziere und Meldegänger die Lage zu klären. Wie diese beim
Eintreffen des Regimentskommandeurs auf dem Abschnittskommandeursgefechtsstand
war, ist an anderer Stelle dargetan. Als der Regimentskommandeur zur
persönlichen Leitung des Gegenangriffs in Begleitung der Ordonnanzoffiziere des
Regiments und des I. Bataillons vorne eintrifft, bietet sich ein trostloses
Bild. Die vordere Linie ist vollkommen eingeebnet, die den Trichter nach Osten
und Nordosten umschließende Deimlingstellung unhaltbar und die Minenwerfer am
Bellewaardeteich, die den Gegenangriff in erster Linie vorzubereiten haben,
sind ohne Munition. Persönlich führt der Regimentskommandeur seine führerlos
gewordene 8. Kompagnie im schwersten Feuer zur Deimlingstellung vor, die als
Ausfallstellung für den Gegenangriff gedacht ist. Mann für Mann läßt er am
Eingang zum Deimlingsgraben an sich vorbeiziehen, hier mit Worten der
Ermutigung an noch kriegsungewohnte, dort mit Worten der Anerkennung an
kriegserprobte und ausgezeichnete Mannschaften und Unterführer, und
gleichzeitig drückt er jedem noch Handgranaten aus dortstehenden
Munitionskisten in die Hand, während ununterbrochen ein Eisenhagel über den
Graben hinwegfegt. Wie leuchten die Augen der braven Musketiere! Wohl sind sie
es gewohnt, ihren Oberst fast täglich in Stellung zu sehen, aber seine
Anwesenheit in diesem Hexenkessel, das hebt sichtlich ihren Mut. Eine
unvergeßliche Erinnerung für jeden Beteiligten, dem ein gütiges Geschick die
Rückkehr zu den Seinen gestattet hat.
Auf dem linken
Flügel in Hooge-Süd, wohin wir in die zweite Stellung über Haufen von Toten und
Verwundeten gelangen, herrscht absolute Unsicherheit über das Schicksal der 2.
und 3. Kompagnie. Von einem zusammenhängenden Grabensystem in diesem Abschnitt
kann überhaupt nicht mehr gesprochen werden. Vielfach liegen die Leute platt
auf dem Boden in Vertiefungen, schutzlos dem Feuersegen preisgegeben. Die
Zugangsgräben sind größtenteils eingeebnet und voller Toter und Verwundeter.
Das seit 3 Uhr
früh ununterbrochene Artilleriefeuer steigert sich ab 2 Uhr nachmittags zum
wahren Orkan, und schweren Herzens muß gegen 5 Uhr nachmittags der Plan eines
Gegenangriffs aufgegeben werden. Der Weg zum Abschnittskommandeur Hooge-Nord
führt uns wiederum durch die II. Stellung. An einer eingeschossenen Stelle
müssen wir über einen Toten hinwegkriechen, dem ein Granatsplitter die Kopfhaut
völlig vom Kopf getrennt hat. Ein grauenvoller Anblick, und für den Bruchteil
einer Sekunde taucht in meinem Gedächtnis die Erinnerung an Karl May’sche Indianerfiguren
auf. Springend und Deckung suchend sind wir schon in Nähe des Gefechtsstandes
des Kommandeurs Hooge-Nord, der sog. „Bärenhöhle“, als der Tag auch von der
kleinen Gruppe des Regimentsstabs sein Opfer fordert. Der Ordonnanzoffizier des
Regiments, Leutnant d. R. Haidlen, erhält eine schwere Verwundung am Oberarm.
In der
„Bärenhöhle“, einem gewöhnlichen Unterstand von 3 m im Geviert, sieht’s aus wie
in einem Bienenhaus. Dicht gedrängt sitzen, stehen und liegen Kommandeur,
Adjudant, berichterstattende Grabenoffiziere, Ordonnanzen, Patrouillen und
Fernspre-cher beisammen, alles in allem wohl an die 16 Menschen. Hiobsposten
über Verluste des Tages liegen vor und laufen stündlich noch ein. Mit Sorge
verfolgt ein jeder das in unverminderter Stärke anhaltende Feuer in diesem
Unterstand, der wohl kaum einem 7,5-cm-Volltreffer standhalten dürfte.
Gegenüber dem Unterstand steht eine riesige Buche, die sich durch einen
Volltreffer in ihr Wurzelwerk um 45 Grad in Richtung auf die Bärenhöhle geneigt
hat und jeden Augenblick auf den Unterstand stürzen kann, was gewiß nicht einer
Beruhigung der unsagbar aufgepeitschten Nerven dienlich ist.
Da die Aufgabe des
Regimentskommandeurs in der Kampfstellung mit der Einstellung des
Gegenangriffplanes ihre Erledigung gefunden hat, begibt sich der Regimentsstab
durch den Geyerweg zum Gefechtsstand des Abschnittskommandeurs zurück, vorbei
an einer größeren Zahl schwerer Minen, die heute zur Angriffsvorbereitung vorne
gefehlt haben und die in dem rasenden Feuer nicht mehr zu den Werfern geschafft
werden konnten. Tote Trägermannschaften halten teilweise bei ihnen noch die
Wacht.“
„Von der 2. und
3./126 war, wie schon erwähnt, seit dem Beginn des Kampfes nicht eine einzige
Meldung eingegangen; alle Versuche, die Verbindung dahin aufzunehmen, waren
ebenso gescheitert wie die Versuche des Hauptmanns Herbert, ihnen durch die 1.
und 4. Kompagnie Hilfe zu bringen. Daß sie nicht unrühmlich unterlegen waren,
daß sie viele Stunden lang gekämpft hatten, das bewies das Gewehr- und
Maschinengewehr-feuer, das man immer wieder aus dieser Richtung gehört hatte.
Ein Bericht des
Leutnants d. R. Seitz, seit dem 6. August Führer der 2. Kompagnie, bestätigt
diese Wahrnehmung, ebenso das Zeugnis des Landwehrmanns Kronenbitter aus
Dornhan (OA. Sulz), des einzigen Mannes der 2. Kompagnie, der zum Regiment
zurückfand.
Um 4 Uhr morgens
war die 2. Kompagnie (A), nachdem das feindliche Artilleriefeuer vorverlegt
worden war, von Süden, Südwesten und Westen her angegriffen worden. Der Angriff
wurde glatt abgewiesen und auch der im Abschnitt der 3. Kompagnie (B)
eingedrungene Gegner konnte wieder hinausgeworfen werden. Dabei wurden vier
Gefangene gemacht; aber die eigenen Verluste durch das vorausgegangene
Artillerie-feuer waren groß. Leutnant Seitz ließ nun die Verschütteten ausgraben,
den Graben notdürftig instandsetzen, Munition verteilen und nach rechts und
links Verbindung suchen. Der linke Flügel des Abschnitts Hooge-Nord (6./132)
wurde dabei völlig zerstört und unbesetzt gefunden. Der Kompagnieführer stieß
nun hier mit zehn Mann nach Norden vor. In Höhe des Trichters fand er jedoch
den Graben abgedämmt und besetzt. Ein Versuch weiter vorzudringen scheiterte am
Flankenfeuer aus dem Trichter; er zog sich daher wieder über die Chaussee zurück.
Einen zweiten Versuch, direkt auf den Trichter durchzubrechen, vereitelte der
Engländer durch M.-G.-Feuer. Bald darauf ging der Engländer seinerseits aus dem
Trichter zum Angriff auf die Kompagnie in südlicher Richtung vor. Der Angriff
wurde abgewiesen und vier Mann, die bis in die Stellung der Kompagnie
vorgestürmt waren, gefangengenommen. Bei diesem Angriff glückte es dem
Landwehrmann Kronenbitter durchzubrechen. Zwei auf ihn zukommende Engländer
schoß er nieder und rannte durch eine Gasse davon, die im gleichen Augenblick
eine englische Granate in die englische Linie riß. Einen zweiten englischen
Angriff aus dem Trichter schlug die Kompagnie ebenfalls ab. Um 7 Uhr morgens
trat Ruhe ein, die Leutnant Seitz dazu benützte, die Verbindung mit der 3.
Kompagnie, die bisher nicht herzustellen gewesen war, erneut aufzusuchen. Um 8
Uhr vormittags kehrten die Patrouillen zurück; sie waren überall auf Engländer
gestoßen; die Kompagnie war abgeschnitten. – War bisher die Stimmung trotz der
großen Verluste und der beginnenden Übermüdung in dem Bewußtsein, die Stellung
gegen alle Angriffe gehalten zu haben, eine gehobene gewesen, so machte sich
nun mit der Enttäuschung über die vermeintliche Preisgabe der Kompagnie Hunger
und Durst, Erschöpfung und Munitionsmangel doppelt lähmend geltend.
Der rechte
Flügelzug hatte seinen völlig zerschossenen Graben entlang der Chaussee, der
ihm keinen Schutz mehr bot, räumen müssen. seine Reste und die des mittleren
Zuges unter Leutnant d. R. Seitz drängten sich in einem kurzen Grabenstück der
Westfront, das noch leidlich erhalten war, zusammen, während der linke Flügelzug
unter Leutnant d. R. Wendel noch die Südfront hielt; aber nicht mehr lange. 9
Uhr vormittags setzt von neuem schweres Artilleriefeuer ein, diesmal –
deutsches. Schuß um Schuß sitzt mit verblüffender Sicherheit in dem Graben, den
unsere Artillerie wohl längst vom Engländer besetzt glaubt, verursacht neue
Verluste und zwingt den Leutnant Wendel, ihn aufzugeben und ebenfalls auf den
Westgraben auszuweichen. Hier lagen nun die Trümmer der Kompagnie, auf engstem
Raum zusammengepreßt, entkräftet, von Durst gequält und zermürbt von dem
bitteren Gedanken, im Stich gelassen zu sein, ohne jede Möglichkeit, aus
eigener Kraft durchzubrechen mit ihren acht Gefangenen. Eine einzige Granate
konnte zwanzig zugleich das Leben kosten. „Ich selbst“ – schreibt Leutnant Seitz
– „war in den letzten Tagen dreimal verschüttet worden, den ganzen Morgen hatte
ich mich bemüht, meine Leute zusammenzuhalten, sie aufzumuntern, jetzt war ich
am Ende meiner Kraft; mein Körper gehorchte mir nicht mehr; auch meine Gedanken
versagten den Dienst; in apathischem Hindämmern verging die Zeit. Ich brauchte
Monate, um diesen Zustand zu überwinden.“
Aber noch einmal
wurden die versagenden Nerven aufgepeitscht. Der Engländer schoß sich mit
schweren Minen von Westen her auf den Graben ein; die deutschen Granaten kamen
trotz der Notschüsse aus den Leuchtpistolen näher und näher. Da versuchte die
Kompagnie sich mit der letzten Munition wenigstens die Minenwerfer vom Leibe zu
halten. Vergeblich. – Maschinengewehrfeuer vom Trichter schlägt von rückwärts
in ihre Reihen und zwingt die Tapferen in den Graben zurück. Nutzlos und
sinnlos wäre es, noch mehr Leute zu opfern. Nach sechsstündigem Kampf streckt
die Kompagnie die Waffen, ein kleines Häuflein nur mehr und meist verwundet.
Das ist das
erschütternde Ende der 2. Kompagnie. – Kaum weniger tragisch war das der 3.
Kompagnie. Als das Trommelfeuer begann, war ihr vorderer Graben nur von einem
Zug besetzt. Zwei Züge unter dem Kompagnieführer, Leutnant d. R. Mayer,
arbeiteten an der Herstellung des Verbindungsweges nach dem Trichter; ohne
diesen Zugang keine Verpflegung, kein Material, keine Munition. Das
Trommelfeuer schneidet die beiden Züge von dem Stellungsgraben ab und treibt
sie auf den Trichter zurück, in dessen Verteidigung sie sich heldenmütig
geschlagen haben. Sie wurden, mit dem Kompag-nieführer, zum größten Teil
niedergemacht; ein kleiner Teil (drei Gruppen) entkam; wenige gerieten in
Gefangenschaft.“
aus: „Das 8. Württembergische Infanterie-Regiment Nr. 126 „Großherzog Friedrich von Baden“ im Weltkrieg 1914-1918ׅ, Stuttgart 1929
Kartenskizze: Württembergische Landesbibliothek Stuttgart
nach freundlicher Unterstützung durch Herrn Frank Nullmeyer
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