Mittwoch, 23. September 2015

23. September 1915


„Schon vom ersten Tag an, den das Regiment wieder in der alten Stellung zubrachte, überschüttete uns die feindliche Artillerie mit einem wahren Hagel von Geschossen aller Kaliber. Man glaubte, es handle sich um einen der gewohnten morgendlichen Feuer-überfälle, aber bald war man sich darüber klar, daß es sich doch um etwas mehr handeln mußte. Es war die Einleitung zu einer siebentägigen Artillerievorbereitung (18.–24. September) voller Schrecken.
Der tägliche Verlauf war etwa folgender: Bei Tagesanbruch eine etwa einstündige heftige Beschießung, dann eine etwa ebenso lange vollständige Feuerpause. Hernach folgte ein stetiges langsames Zielschießen, das sich gegen Mittag zu trommel-feuerartiger Heftigkeit steigerte. Dieses Feuer hielt bis in die späten Nachmittagsstunden an. Gefeuert wurde auf alle noch benützbaren Gräben und jeweils mit Fliegerbeo-bachtung. Das Hauptfeuer lag auf dem Storchschnabelwald und der Kampfstellung. Schützen- und Laufgräben wurden eingeebnet. Das Feuer lag mit der gleichen Heftigkeit auf unserem linken und rechten Nachbarabschnitt. Zwischendurch kreuzte der Gegner das Feuer, um eine flankierende Wirkung zu erzielen. Auch die vom Engländer so gern angewandte Schießart, nach einer schweren Granate unmittelbar mehrere Schrapnells folgen zu lassen, fehlte nicht. Er wollte hiermit die von der schweren Granate ins Freie flüchtenden Leute treffen. Über der Kampfstellung lag dauernd eine dem Auge undurchdringliche Staubwand, die fortwährend durch neue Einschläge gespeist wurde. Aber auch unsere Artillerie war bei der Hand und überschüttete die feindlichen Infanterielinien sowie auch ihre Batteriestellungen mit einem Feuer von gleicher Heftigkeit. Abschuß und Einschlag konnte man nicht mehr unterscheiden, es war ein ständiges Rollen in der Luft.
Die zur Verfügung stehenden Unterstände wurden jeden Tag weniger. Das Gelände vor und hinter der Stellung bot den Anblick eines frisch gepflügten Ackerfeldes, alles braune Erde, von grün keine Spur mehr.
Mit Einbruch der Nacht setzte eine fieberhafte Tätigkeit ein, um die Schäden auszubessern. Die Stellung mußte unter allen Umständen verteidigungsfähig gehalten werden. Von der Bereitschaft her kamen lange Reihen Trägertrupps mit Brettern, Sandsäcken, Handwerkzeug, Faschinen, Hindernissen. Emsige, rastlose Tätigkeit füllte die Nacht aus. Aber auch diese Tätigkeit konnte nicht in Ruhe ausgeübt werden, der Gegner benützte die Mondhelle und störte durch Feuer den Fortgang der Arbeit. Trotz größter Vorsicht brachte jede Nacht eine Erhöhung der Verluste, welche tagsüber eingetreten waren. Der tägliche Abgang betrug bereits 20 bis 30 Mann. Namentlich war der Verlust durch Verschüttung groß, immer wieder mußten Kameraden einander ausgraben. Freilich wurde mancher so gründlich verschüttet, daß er als „vermißt“ in die Verlustliste kam.
Von besonderer Bedeutung war die moralische Erschütterung der Grabenbesatzung. Vielen war es unmöglich, die abends zugeführten Lebensmittel auch nur anzurühren. Von anderen wird berichtet, daß sie planlos, wie irr, in der Stellung umherliefen. Und doch wurden alle diese Prüfungen von der Grabenbesatzung mit einer Leidenswilligkeit und Geduld ohnegleichen, einer Zähigkeit und Ausdauer, für die jedes Wort des Lobes unzureichend ist, ertragen. An die Schulterwehren gelehnt, an die vordere Grabenwand angepreßt, in den Beobachtungsnischen hinter den Schießscharten zusammengekauert, ließen sie all diese Schrecknisse über sich ergehen, stets bereit, verwundeten Kameraden zu helfen. Die braven Sanitäter waren Tag und Nacht unterwegs, um Linderung zu schaffen.“


aus: „Das Württembergische Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 246“, Stuttgart 1931

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