„Im Osten war noch
kaum ein Schimmer des kommenden Tages zu sehen, da sauste bereits um 4.30 Uhr
morgens mit einem Schlage wieder heftigstes feindliches Trommelfeuer sämtlicher
Kaliber auf unsere Stellungen südlich der Bahnlinie nieder. Das Feuer ´übertraf
dasjenige der vorhergegangenen Tage noch bedeutend. Besonders stark litten
unter demselben die Stellungen der 1. und 4. Kompagnie, sowie der Laufgraben an
der Bahn entlang bis zum Jägergraben. Nach kürzester Zeit war das ganze Gelände
in undurchdringliche Staub- und Rauchwolken gehüllt. Sämtliche rückwärts
liegenden Teile des Regiments wurden sofort alarmiert und bezogen ihre
Bereitschaftsstellungen, denn an dem kommenden Angriff zweifelte jetzt niemand
mehr. Zwischen den Detonationen platzender Granaten war deutlich das
gleichmäßige tack! – tack! – tack! – englischer M.-G. hörbar, welche blindlings
in die Rauchwolken hineinschossen.
So gut es ging,
suchte vorn jeder Deckung vor dem unheimlichen Feuer. Am meisten Schutz bot die
Sappe am Ypernweg, die, nur wenige Meter vom feindlichen Graben entfernt,
beinahe gar nicht unter dem feindlichen Feuer zu leiden hatte. Oder sollten die
Engländer vielleicht einen anderen Grund haben, weshalb sie diese Sappe nicht
beschossen? Niemand konnte es ahnen. Es mochte wohl kaum eine Viertelstunde
seit Beginn der Beschießung verstrichen sein, als plötzlich eine heftige
Explosion erfolgte. Der Boden geriet weithin ins Schwanken wie bei einem
Erdbeben, so daß sogar Tiere und Vögel aus ihren Nestern aufgescheucht wurden und
ängstlich zu schreien anfingen.
Die fast
undurchdringlich über der Gegend lagernden Rauchwolken wurden Plötzlich durch
eine haushohe Feuersäule erhellt, welche alles in schauriger Beleuchtung
erscheinen ließ. Fast gleichzeitig sah man überall rote Leuchtkugeln, – es
bestand also kein Zweifel mehr, der seit Tagen erwartete englische Angriff
hatte nunmehr begonnen.
Kaum hatte man
diese Beobachtung gemacht, als beim Regimentsgefechtsstand die Meldung einlief,
der Gegner habe die Sappe gesprengt und sei in die Stellung eingedrungen. Die
in der Nähe des Regimentsstabes liegende 12. Kompagnie erhielt daraufhin den
Befehl, zur Unterstützung nach dem Jägergraben vorzugehen. Der Weg für die
Kompagnie führte an verschiedenen Batteriestellungen vorbei, die ziemlich starkes
feindliches Feuer erhielten; nur in kleinen Abteilungen gelang es daher der
Kompagnie, die schwierigen Stellen gruppenweise, ohne wesentliche Verluste, zu
durchschreiten und mit der gleichzeitig vorgehenden 11. Kompagnie die befohlene
Stellung zu besetzen.
Inzwischen war
vorn der Infanteriekampf voll im Gang.
Unmittelbar nach
dem Auffliegen der Mine drangen die Engländer in den durch die Sprengung
verschütteten Teil unserer Stellung und in die anliegenden Gräben ein. Im
ersten Augenblick nach der Sprengung entstand bei uns eine ziemliche
Verwirrung, denn etwas derartig Schreckliches hatte bisher noch keiner von uns
mitgemacht. Dieser Umstand kam den Engländern sehr zu statten und machte es
ihnen leicht, ohne anfänglich auf nennenswerten Widerstand zu stoßen,
verhältnismäßig schnell in unseren Gräben vorzudringen.
Durch den
Ypernweg, der völlig zusammengeschossen und verschüttet war und nur Tote und
Verwundete enthielt, gelang es dem Engländer, ungehindert in den Rücken der 1.
Kompagnie zu kommen. Mit aufgepflanztem Seitengewehr, mit Handgranaten und
Totschlägern bewaffnet, drang der Gegner auf die noch übrig gebliebenen Trümmer
der 1. Kompagnie ein. Ein unerbittlicher, zäher Kampf entspann sich, denn so
leicht ließ sich der Schwabe nicht aus seiner Stellung verdrängen, und mancher
Engländer mußte hier sein Leben lassen. Doch die durch die Beschießung und
Sprengung stark gelichtete tapfere Schar war der Übermacht gegenüber zu
schwach; was nicht gefallen war, wurde nach heldenmütigem Kampfe überwältigt
und gefangen.
Manchem gelang es,
auf dem Wege zur englischen Stellung zu entfliehen und auf diese Weise der
Gefangenschaft zu entgehen, so unter anderem dem Leutnant Widmayer, der, von
den Engländern verfolgt, sich nach unseren Linien durchschlug und fast atemlos
und ganz erschöpft in unseren Reihen ankam.
Nach Überwältigung
der 1. Kompagnie gelang es dem Gegner, noch ein Stück weit in den Bereich der
4. Kompagnie einzudringen. Weit kam er jedoch nicht, denn ein von der 4.
Kompagnie mit großem Schneid durchgeführter Handgranatenangriff machte dem
Engländer hier ein weiteres Vordringen unmöglich und warf ihn wieder aus dem
Kompagniebereich hinaus. Mit äußerster Kraftanstrengung war es der Kompagnie
möglich, mit Unterstützung von Teilen der 10. Kompagnie, welche inzwischen zur
Verstärkung herbeieilte, die Stellung zu halten, trotz verzweifelter
Anstrengung der Engländer, sich in Besitz derselben zu setzen.
Die
Handgranatentrupps der 2. und 3. Kompagnie vom nördlichen Regimentsabschnitt
eilten ebenfalls herbei, um der bedrängten 4. Kompagnie Luft zu schaffen und
nach dem Ypernweg vorzudringen.
Zu gleicher Zeit
erhielt ein Zug der 9. Kompagnie den Befehl, die in den Stellungen der 1.
Kompagnie eingenisteten Engländer von dem linken Flügel her anzugreifen und
zurückzuwerfen.
Inzwischen
übernahm der zugleich mit der 11. und 12. Kompagnie bei dem
Bataillons-gefechtsstand des südlichen Abschnittes eingetroffene Major v. Flatow
das Kommando über diesen Abschnitt von dem am Kopf leicht verwundeten Hauptmann
v. Legl. Die 11. Kompagnie unter Führung von Hauptmann Bauer erhielt den
Befehl, den noch in unseren Stellungen befindlichen Gegner anzugreifen und hinauszuwerfen.
Welch‘ schwierige Arbeit dies war, werden wir weiter unten sehen.
Dem
Abschnittskommandeur war es nicht vergönnt, den Erfolg seiner Anordnungen zu
erleben. Durch eine Schrapnellkugel am Halse verwundet, konnte sich Major von
Flatow noch nach dem in der Nähe befindlichen Sanitätsunterstand begeben, wo er
jedoch schon nach kurzer Zeit seiner schweren Verwundung erlag. Mit ihm verlor
das III. Bataillon seinen beliebten Kommandeur, das Regiment einen tüchtigen
Führer, alle einen vortrefflichen Vorgesetzten und Kameraden.
Nach Major von
Flatows Tod übernahm Hauptmann von Legl wieder den Befehl über den Abschnitt.
Die im Jägergraben
befindlichen Teile der 12. Kompagnie erhielten den Befehl, nach dem
Ausweichgraben vorzugehen, um nötigenfalls die 11. Kompagnie in ihrem Vorgehen
zu unterstützen.
Nachdem
Handgranaten und Munitionsersatz eigetroffen waren, gelang es der 4. Kompagnie,
mit Unterstützung von Teilen der 3. und 10. Kompagnie, die Engländer in
hartnäckigem Nahkampf in Richtung Ypernweg und nach dem durch die Sprengung
entstandenen Trichter zurückzuwerfen.
Ein hierbei dem Gegner
schwere Verluste beibringendes M.-G. war lange Zeit Gegen-stand eines äußerst
erbitterten Kampfes. Sämtliche Versuche des Feindes, sich in den Besitz des
M.-G.‘s zu setzen, scheiterten an der Tapferkeit seiner Bedienungs-mannschaft,
sowie der zum Schutze desselben herbeigeeilten Infanterie.
Unter
Zurücklassung zahlreicher Toter und Verwundeter gaben die Engländer schließlich
den Kampf auf, bei dem auch wir leider manch schweren Verlust zu beklagen
hatten. Leutnant Schmid der 4. Kompagnie, sowie Vizefeldwebel Herbert der 1.
Kompagnie fanden hier mit manch tapferem Kameraden den Heldentod.
Ein schweres Stück
Arbeit war schon geleistet. Soweit festgestellt werden konnte, war bis jetzt
die ganze Stellung, mit Ausnahme des Sprengtrichters und von Teilen des
Ypernweges, wieder in unseren Händen. Infolge der beherrschenden Höhe obiger
Stellen bildeten sie gewissermaßen den Schlüssel zur Stellung de Regiments.
Wäre es den Engländern gelungen, hier festen Fuß zu fassen, so wäre die ganze
Stellung des Regiments unhaltbar geworden, da von hier aus der ganze
Regimentsabschnitt aus beherrschender Höhe flankiert werden konnte. Der
Engländer war sich dessen wohl bewußt und setzte daher auch alles daran, sich
hier einzunisten.
mit vereinten
Kräften galt es nun, dem Gegner diese wichtigen Punkte zu entreißen. Nach
gründlicher Beschießung des Trichters durch unsere Artillerie schickte sich
Hauptmann Bauer mit der 11. Kompagnie und Teilen der 3., 9., 10. und 12.
Kompagnie, sowie dem Reste der 1. Kompagnie, an, die Höhe zu nehmen. Es war
noch eine schwere Aufgabe, welche die tapfere Truppe vor sich hatte. Der Engländer, der wohl
wußte, daß er nach Verlust der Höhe um die Frucht seines Angriffs gebracht war,
wehrte sich mit äußerster Hartnäckigkeit. Ein zäher, erbitterter Kampf entspann
sich, Schritt für Schritt mußte dem Gegner der Boden abgerungen werden, um
jedes Granatloch wurde gekämpft. Manch tapferer Schwabe fand hier den
Heldentod, darunter auch Leutnant Harr der 12. Kompagnie. So leicht ließ sich
der Schwabe von seinem Ziele nicht abbringen und derbe Schwabenstreiche bekam
hier der Engländer zu verspüren. Um 3 Uhr nachmittags endlich konnte Hauptmann
Bauer melde, daß der Sprengtrichter durch 50 Mann besetzt sei.
Gleichzeitig
gelang es auch, den Gegner aus dem Ypernweg zu vertreiben, so daß unsere
gesamte Stellung wieder in unserem Besitze war.
Von den
zurückgehenden Engländern haben wohl nur wenige mehr ihre Linien erreicht, denn
das ganze Gelände vor unsern Stellungen, sowie die feindlichen Stellungen
wurden bis zum Einbruch der Dunkelheit unter heftiges Feuer genommen.
Daß dem Feinde
alles daran lag, die Höhe zu halten, davon gaben die zahlreichen toten
Engländer, die besonders im Sprengtrichter haufenweise herumlagen, ein beredtes
Zeugnis. Mit Einbruch der Dunkelheit hörte das Feuer auf beiden Seiten auf. –“
aus:
„Das Württembergische Reserve-Inf.-Regiment Nr. 248 im Weltkrieg 1914–1918“,
Stuttgart 1924
aus: „Das
Württembergische Reserve-Feldartillerie-Regiment Nr. 54 im Weltkrieg 1914-1918“,
Stuttgart 1929
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