„Die Schlacht war
voll entbrannt und weite Gebiete Nordfrankreichs hallten wider von dem
ununterbrochenen Kanonendonner, aus dem sich, je näher man kam, die Einschläge
der schweren und schwersten Kaliber heraushoben. Am Bois l’Echelle vorbei, wo
gefangene Franzosen in apathischem, zerschmutztem Zustand den Weg kreuzten,
ging’s in gruppenweisem Reihenmarsch gegen Cernay. In der Abenddämmerung
verschwan-den eben die Hügelketten der Champagne, die unmittelbar südlich davon
bis zu 200 m Höhe ziemlich unvermittelt emporsteigen. Auf den Höhen konnte man
noch die weiß und schwarz geballten Wolken der einschlagenden Granaten und der
blitzenden Schrapnells erkennen. Cernay selbst lag unter schwerstem Feuer und
hohe Rauchsäulen schossen springbrunnenartig in die Luft, die von den
Flammenzungen brennender Häuser und lodernden Brandgranaten beleuchtet bizarre
Bilder zeichneten. Dort hinein zog das Bataillon und wartete auf weitere
Befehle. Eine drückende Stimmung be-herrschte die Lage, da die zurückströmenden
Truppen vorn alles für verloren hielten, und es war nicht zweifelhaft, daß die
aufs äußerste erschöpften Verteidiger der Cham-pagnefront, die bald 4 Tage lang
im Trommelfeuer gelegen waren, einem fünften Tag nicht mehr gewachsen sein
konnten.
Ihnen zu Hilfe zu
eilen, war selbstverständliche Pflicht, wenn auch eine schwere Aufgabe. 5. und
7. Kompagnie des Grenadierbataillons rückten zuerst ab; nach 7 Uhr abends ging’s
beschleunigt aus dem schwer beschossenen Dorf hinaus und auf der breiten Straße
Cernay/Ville sur Tourbe unter einem rechts und links der Straße einschlagenden
Granathagel nach vorwärts. Nach knapp 2 Kilometer Weg waren die Kompagnien auf
der La Justice-Höhe (155) angekommen, wo sie von dem dort einge-setzten R.I.R.
87 wie Erlöser begrüßt wurden. Nach Mitternacht wurden sie auf dieses Regiment
verteilt in der vorderen Linie, der Briqueteriestellung eingesetzt, wo sie sich
tatkräftig an die Wiederherstellung und Einrichtung der Gräben machten, welche
die Bezeichnung als solche kaum verdienten. Trotz eines andauernden
Störungsfeuers in der Nacht war aber bis zur Morgenstunde die Stellung
einigermaßen wieder zur Vertei-digung instandgesetzt. Außerdem wurde zu ihrer
Verstärkung morgens 4 Uhr auch die 6. Kompagnie nach La Justice in Marsch
gesetzt und dort in Hütten und Stollen untergebracht, wo sie im Laufe des Tages
schmerzliche Verluste erlitt. Ein Volltreffer vernichtete allein 10
Menschenleben.
Die Stellung sah
bös aus. Die Franzosen waren nach einer großen Sprengung in den vorderen Graben
eingedrungen gewesen, waren jedoch im Gegenstoß durch die Reserve des Regiments
zurückgeschlagen worden. Jetzt hausten die Grenadiere mit den Resten der 183er,
die ihnen rückhaltlos ihre Bewunderung aussprachen, in den völlig zerschossenen
Stellungen, aus denen sie trotz immer wiederholten Artillerie- und Minenfeuers
in verhältnismäßige kurzer Zeit eine brauchbare Stellung gemacht hatten.
Überall stieß man auf Verwesende, vor der Front lagen Hunderte und Aberhunderte
von stahlblauen Leichen, in und hinter der eigenen Linie verbreiteten die
gefallenen Deut-schen, die wegen des Feuers nicht beerdigt werden konnten, einen
kaum auszuhaltenden Geruch. Durch die Sprengung eingeklemmte Köpfe, Arme,
Beine, nagten an der Seelenkraft der Besatzung. Ratten huschten zu Dutzenden
über die Grabensohle, die nach Regengüssen fußtief mit Wasser sich füllte. Weiß
wie Müller an trockenen Tagen, grau und schmutzig wie Kanalarbeiter bei
Regenwetter, so standen die Grenadiere am äußersten linken Flügel der Champagnefront
und sorgten dafür, daß der wichtige „Kanonenberg“, die Höhe 199, die
unmittelbar in der rechten Flanke lag, vom Tal aus nicht umgangen wurde.
Dort oben stand es
nicht gut und ein erheblicher Einbruch war den Franzosen am 25. an dem
Schnittpunkt der 3. und 5. Armee geglückt. 120er und 124er vom Regiment Lägeler
hatten hier in letzter Minute eingreifen können und hielten die deutsche Linie
gerade noch auf dem Nordostkamm fest. Dorthin wurde am 26. vormittags die
letzte noch nicht eingesetzte Grenadierkompagnie, die 8., entsandt, um im
Verein mit einer Kompagnie 124 als Nahtabteilung den Schutz der rechten Flanke
der 21. R.D. bezw. 5. Armee zu übernehmen. Rechts am Kanonenberg vorbei
lagerten über den Hügelketten schwarze Rauchschwaden krepierender Granaten.
Wieder war ein Angriff in Vorberei-tung und kaum waren die beiden Kompagnien
oben, als auch sie in ein tolles Feuer kamen, das sie auseinander zu sprengen
drohte. Ein ehemaliges hübsch gelegenes Lager am Nordhang, das einmal ein
idyllisches Plätzchen gewesen sein mag, war unbrauchbar; Bretter, Balken,
Holzstücke waren von den Geschossen in den Grund geschleudert. Auf der Höhe
vorzukommen, war unmöglich, da der Kanonenberg konzentrisch unter Feuer lag.
Rechts drüben war es etwas besser, man kroch und sprang von Loch zu Loch und
preßte sich, kaum noch zu Atem kommend und jede Falte ausnützend, in den
Erdboden. Die Franzosen griffen an, man sah sie deutlich auf 1000, 1200 m
Entfernung von der Höhe 191 her in Schützenlinie vorgehend. Vorwärts auf halber
Entfernung sah man auch Deutsche, die ein altes Lager verteidigten, das wie ein
Termitenhaufen aussah. Aber trotz der Gefährdung der Eigenen schoß man wie
wild.
Von vorne kamen
einzelne Leute zurück, verstört, wahnsinnig lallen sie nur noch: „fort, fort
aus dieser Hölle,“ dann waren sie den Berg hinunter verschwunden. Es war 3 Uhr
mittags und bis in die Abendstunden ging es so weiter. Vor Nervenaufregung und
dem Höllenlärm war alles wie gelähmt, die Besinnung auf eine übermenschlich
harte Probe gestellt. Erst nach Dunkelwerden ließ das Feuer nach und zu jedem Gedanken
unfähig gruben die Leute mechanisch auf dem Höhenkamm einen Schützengraben.
Gegen 4 Uhr morgens trafen reichliche Verstärkungen ein, und später noch Oberst
Präfke, der zum Kommandeur des Kanonenbergs ernannt war.
Hier hielt auch am
27. und 28. September die 8. Kompagnie, losgelöst von ihrem Bataillon, inmitten
fremder Truppen die Hut auf dem Kanonenberg, beim Fehlen jeder Deckung wahrhaft
ein Kanonenfutter! Stundenlang brauste der Orkan Tag und Nacht über die Kämme
weg, 53 Mann riß er allein aus dieser Kompagnie in den ersten 3 Tagen in seinen
unentrinnbaren Wirbel. Der Gegner hielt mit diesem Feuer die
Kanonenbergbesatzung nieder, während rechts und links die Kämpfe weiter gingen.
Da und dort sah man die Bajonette durch Rauch und Staub hervorblitzen, aber zum
Schuß kam die Kompagnie selbst nicht mehr, wurde vielmehr in der Nacht des 28.
herausge-zogen.“
aus: „Die Ulmer
Grenadiere an der Westfront“, Stuttgart 1920
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen