Freitag, 23. Oktober 2015

23. Oktober 1915


„Bis zum Abend des 21. Oktober hatte das Regiment durch die eingeleiteten Erkun-dungen von der Lage beim Feind folgendes Bild:
Die Schlüsselpunkte der Serbenstellung bildeten zwei scharf ausgeprägte Bergkuppen, die vom Gegner zu starken Erdwerken ausgebaut und mit breiten Hindernissen geschützt waren. Vor diesen beiden Stützpunkten zog sich ein zusammenhängender Schützengraben von West nach Ost, ebenfalls durch ein Hindernis verstärkt. Am Ost-ende dieses Grabens war das Dorf Ticevac in die Verteidigungsanlage eingezogen und von starker feindlicher Infanterie besetzt. Besonders erschwerte den Angriff bei Tag der tief eingeschnittene Lipar-Grund, der 600 Meter vor der feindlichen Stellung lag und von den Gräben aus durch Feuer völlig beherrscht wurde.
Am Abend des 21. Oktober wurde der Befehl für den Angriff ausgegeben, der im allgemeinen in ähnlicher Weise geplant war, wie der Angriff am 18. Oktober gegen die Höhe 213, südlich Pozarevac, Bis zum Morgengrauen sollte sich die Infanterie mög-lichst nahe an die feindliche Stellung heranarbeiten, dann während der Zeit, in der die gesamte Artillerie den Gegner in seiner Stellung niederhielt, der Angriff sprungweise vorgetragen und der Sturm durchgeführt werden.
Um 5 Uhr morgens standen die vordersten Linien des I. und III. Bataillons bereits im Grund des Lipar-Baches, hatten bei diesem Vorgehen zahlreiche feindliche Abteilungen geworfen und 40 Serben gefangen. Als es Tag wurde, lag das Regiment 400 Meter vor der feindlichen Hauptstellung und erhielt von dort starkes Feuer. In den beiden Erd-werken rasselten serbische Maschinengewehre.
Auch kam jetzt von links her aus dem Dorfe Ticevac unangenehmes Flankenfeuer gegen das III. Bataillon. Gleichzeitig bewarf der Gegner aus südöstlicher Richtung die angrei-fenden Schützenlinien mit Schrapnells und Granaten, so daß gerade dem linken Flügel des Regiments, wo die 11. Kompanie unter Leutnant d. R. Alber eingesetzt war, der Angriff sehr erschwert wurde. Es mußte deshalb mit dem weiteren Vorgehen so lange gewartet werden, bis der Feind in seinen überhöhenden Stellungen durch das Feuer unserer Artillerie niedergehalten wurde. Die Artillerie aber konnte ihrerseits mit dem Schießen erst beginnen, nachdem sich der auf der Höhe liegende Nebel soweit verzogen hatte, daß eine klare Beobachtung möglich war.
Gegen 7.30 Uhr vormittags schlugen die ersten schweren Mörsergranaten bei den feind-lichen Schützengräben ein. Deutlich war zu erkennen, wie in den Rauchsäulen Balken und Brettstücke der Befestigungen in die Luft geschleudert wurden. Schon nach wenigen Schüssen sah man, wie die Serben durch ihre Verbindungsgräben die Stellen der vorderen Linie räumten, die am stärksten unserem schweren Granatfeuer ausgesetzt waren. Als einige Volltreffer der Mörser unmittelbar in das Erdwerk vor dem I. Batail-lon schlugen, verließ der Feind vor dem rechten Flügel des Regiments seine Stellung.
Das gesamte Füsilier-Regiment ging jetzt zum Angriff vor. Es gelang den Kompanien des I. Bataillons unter Hauptmann v. Seel, sich in den Besitz des rechten feindlichen Erdwerks zu setzen.
Das war kurz nach 10 Uhr vormittags gewesen. Vor dem linken Regimentsflügel und besonders vor dem daran anschließenden Infanterie-Regiment 21, hielt der Serbe noch seine Stellung. Der rechte Flügel des III. Bataillons schwenkte daher von westen her gegen das linke feindliche Erdwerk ein. Und als die dort eingesetzte Gebirgs-Maschi-nengewehr-Abteilung die feindlichen Gräben unter flankierendes Feuer nahm, mußte der Gegner auch diesen Teil seiner Stellung räumen.
Um 11 Uhr vormittags war der Serbe auf der ganzen Front am Zurückgehen. Die Füsiliere hielten die geräumte feindliche Stellung besetzt. Der Rückzug der geworfenen Abteilungen war völlig ungeordnet. Überall fluteten einzelne Gruppen zurück. Bei dem sehr klaren Wetter sah man deutlich, wie die feindliche Artillerie ihre Geschütze mit Ochsengespannen wegzog. Leider war infolge der schwierigen Boden- und Wegever-hältnisse ein rasches Nachziehen unserer Artillerie nicht möglich gewesen, so daß der Feind an vielen Stellen unbehelligt in Kolonnen abziehen konnte, da die Entfernungen für Infanteriefeuer zu groß waren.
Der Angriff am Vormittag hatte die Verbände stark vermischt. Vor allem war zwischen dem Füsilier-Regiment und seinem rechten Nachbarn, dem Infanterie-Regiment 129, eine große Lücke entstanden. Um diese auszufüllen, setzte Oberst von Triebig das noch in Reserve liegende II. Bataillon rechts vom III. ein und befahl um 2 Uhr nachmittags die Fortsetzung der Verfolgung. Während des weiteren Vorgehens sollte das I. Bataillon allmählich als Reserve ausscheiden und das II. an das rechte Nachbarregiment Anschluß finden.
Die Verfolgung führte über ein tief eingeschnittenes Tal östlich Aleksandrovac. Zahlreiche Bäche hatte sich hier oft 2 – 3 Meter tief in den Lehmboden eingefressen und bildeten erhebliche Hindernisse. Obwohl der Gegner keinen Widerstand mehr leistete, konnten die durch die letzten Kämpfe sehr ermüdeten Truppen des Regiments bis zum Abend nur noch 2½ Kilometer weit vorwärts kommen. Bei Einbruch der Dunkelheit erstiegen die vorderen Linien aus dem am Nachmittag durchquerten Tal heraus die Höhen bei Oreovica, die gleichen Höhen, auf denen man am Vormittag die serbischen Kolonnen im Rückzug gesehen hatte.
Als die Schützen des Regiments noch 200 Meter vom oberen Rand der Höhe entfernt waren, erhielten sie von dort erneutes heftiges Feuer.
Die Serben hatten diese beherrschende Höhe doch nicht ohne weiteres aufgegeben, sondern sich nochmals zum Widerstand gestellt.
Von einem weiteren Angriff an diesem Tag mußte mit Rücksicht auf die Übermüdung der Truppe abgesehen werden. Das II. und III. Bataillon schanzte in den erreichten Linien. Das I. verblieb hinter der Mitte des Regiments in einer Schlucht als Reserve.
Das war der 22. Oktober gewesen, ein Tag, an dem die Kompanien wieder einmal Vor-zügliches geleistet hatten. Ein besonderer „Sachverständiger“ im Regimentsstab meinte damals: „Es war einmal wieder ein 22.!“ So ganz unrecht hatte er nicht. Romain war am 22. August 1914 gewesen, Montblainville am 22. September. Bei Radingham ging’s am 22. Oktober heiß her. Am 22. Juni 1915 hatte der Dnjesterübergang begonnen. Der 22. August 1915 war bei Ogorodniki am Bug ein blutiger Tag. Dieser „22.“ hatte es entschieden auf sich!
Drei starke Infanterieangriffe, die der Serbe noch am Abend gegen das III. Bataillon richtete, bewiesen, daß der Feind zu erneutem Widerstand entschlossen war.
Zwar wichen die feindlichen Abteilungen am folgenden Morgen, als der deutsche Angriff fortgesetzt wurde, nach Süden zurück. Aber nur für kurze Zeit. Als um die Mittagsstunden die vorderen Linien des Füsilier-Regiments dem zurückgehenden Feinde nachdrängten, erhielten sie plötzlich ein so schweres und heftiges Artilleriefeuer, wie es während der bisherigen serbischen Kämpfe noch niemals beobachtet worden war. Der Gegner hatte anscheinend in den weiter südlich liegenden Bergen einige Batterien so aufgestellt, daß sie flankierend wirken konnten. Dieses Feuer machte ein weiteres Vorkommen unserer Infanterie an diesem Tag unmöglich, obwohl nur schwache feindliche Infanterie vor der Front des Regiments lag. Besonders das III. Bataillon auf dem linken Flügel wurde in einem Bachgrund beim Dorfe Sibnica derartig mit schweren Granaten zugedeckt, daß ein Angriff aus der Schlucht heraus gegen die Höhe aufge-geben werden mußte. So verblieb das Regiment in der Nacht zum 24. Oktober in seinen Stellungen östlich Rakinac, das II. Bataillon rechts oben auf der Höhe 254, das III. Bataillon links im Grunde bei Sibnica. Das I. hatte sich weiter rückwärts als Reserve in kleinen Mulden und Schluchten eingenistet.“


aus: „Das Füsilier-Regiment Kaiser Franz Joseph von Österreich, König von Ungarn (4. württ.) Nr. 122 im Weltkrieg 1914–1918“, Stuttgart 1921

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