„Ein Tag aus der Kriegszeit (November 1915).
Zum Morgenkaffee gibt es Schwarz-brot. Die Milch wurde entrahmt, da wegen des
Buttermangels jedermann selbst Butter bereitet. Um 7 Uhr sind schon die Morgen-Extrablätter einiger
Stuttgarter Zeitungen angeschlagen. Vor jedem steht eine Gruppe Leser. Viele
schauen nach, ob die hiesigen Zeitungen keine Extrablätter ausgegeben haben,
was stets geschieht, wenn über Nacht wichtige Nachrichten eingegangen sind. Auf
der Straße marschiert ein Trupp Franzosen, der zu Grabarbeiten bei der Landeswasserleitung
kommandiert ist. Bald darauf folgt ein Bataillon Landsturm, das zu einer
Felddienstübung auszieht. „Morgenrot, leuchtest mir zum frühen Tod“ erschallt
es zum Marsch. Für viele aus ihnen wird das Lied bald bittere Wirklichkeit
werden. In dünnen Reihen wandern
Arbeiter zur Fabrik. Dort geht ein Briefträger. Er war wie bereits alle seine
Berufsgenossen bis Kriegsbeginn Fabrik-arbeiter und versieht mit andern den
Dienst der Einberufenen. Da und dort erwarten ihn Personen unter der Haustüre
sehnsüchtig. Was für Nachrichten wird er bringen? So oft schon hat er, wenn er
einen Feldbrief übergeben hatte, hinter sich herzzerreißenden Jammer gehört.
Vor dem kath. Volksschulgebäude und auch auf dem Graben exerzieren Soldaten. Gegen
10 Uhr erblickt man auf allen Straßen schon Verwundete aus den Lazaretten,
darunter Kindergesichter und graue Köpfe. Einfüßige und einarmige Krieger mit
zerfetztem Gesicht, mit ausgeschossenem Auge oder andern schweren Verletzungen
begegnen uns. Von verschiedenen Gebäuden weht eine weiße Flagge mit rotem
Kreuz. Das sind die Lazarette. Von einem Lazarett löst sich unter den
wehmütigen Klängen von Beethovens Trauermarsch eben ein Leichenzug ab. Ein
gestorbener Verwundeter wird zum Bahnhof geleitet. Im Heimatdorf soll er die
Ruhestatt finden. Der gleiche Zug, der ihn mitnimmt, bringt Feldgraue, die von
Münsingen zurückkehren und nun unter schneidigen Marschweisen durch die Stadt
marschieren. Zum Mittagstisch gibt es ein mageres, fleischloses Gericht, mit Fettsurrogat
zubereitet. Was wird das amtliche Extra-blatt, das jeden Abend erscheint, heute
bringen? Diese Frage federt in allen Köpfen. Um 5 Uhr wird es angeschlagen.
Alles stürmt darauf los. Nichts Wichtiges heute: viel Brühe, wenig Brocken. „O
Deutschland hoch in Ehren!“ erschallt es jugendfrisch von der Seitenstraße her.
Die Jugendwehr ist’s, die von einer Felddienstübung zurückkehrt. Man geht zum
Glase Bier. Die Wirtschaft ist gut besetzt. Die meisten Gäste sind
Militärpersonen, darunter solche, die morgen ins Feld kommen, und andere, die
vom Felde zurückkamen. Alles spricht nur vom Krieg und vom Essen. Von den
Urlaubern und Verwundeten erfährt man vieles, was in keiner Zeitung und in
keinem amtlichen Bericht steht.“
aus: „Gmünd im
Weltkrieg Chronik“, Schwäbisch Gmünd 1927
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