Montag, 23. November 2015

23. November 1915


„Aber die Gesamtlage hatte sich doch wesentlich gegen früher geändert. Sichtlich hatte der Brite jetzt darauf verzichtet, mit den bisherigen Mitteln Hooge und die Höhe 55 in seinen Besitz zu bringen. Sie hatten sich als unwirksam erwiesen. Verschiedene Anzei-chen deuteten vielmehr darauf hin, daß er es nunmehr mit Gas und einem Minenangriff großen Stils versuchen werde. Aber das eine wie das andere Mittel bedingte, daß er das deutsche Artilleriefeuer nicht unnötig herausforderte. Noch ein drittes kam dazu, unsere Lage zu erleichtern – das sichtliche Ruhebedürfnis des Engländers.
Das häufige Ablösen seiner Stellungstruppen war dem Stellungsbau selbst wenig förder-lich; das hatte sich in der englisch-französischen Groenenburgstellung deutlich gezeigt. In Gummistiefeln, mit einer sehr soliden und praktischen Bekleidung und Ausrüstung und bei glänzender Verpflegung hatte es sich dort schon einige Zeit aushalten lassen; aber im Hoogeboden war das doch etwas anderes. Auch hatten wir zur besseren Entwäs-serung unserer dem Bellewaarde-Teich nahegelegenen Gräben damit begonnen, von Zeit zu Zeit den Spiegel des Teichs um 1 bis 2 m zu senken und das abfließende Wasser unter unserer Stellung hindurch nach den englischen, tiefer gelegenen Gräben abzulei-ten, was sicher nicht zu deren Verbesserung beigetragen hat, und schließlich hatte unse-re Artillerie all die Zeit her auch nicht ohne Erfolg geschossen. Die englischen Gräben waren daher wohl in einem ebenso üblen, wahrscheinlich in einem noch übleren Zu-stand als die unsrigen, so daß sie auch dem „Tommy“ nicht mehr gefielen und er das Bedürfnis empfand, etwas für sie zu tun. Er mußte also wohl oder übel Ruhe halten, wenigstens bis er seine Stellung in Ordnung gebracht hatte, gerade wie wir auch. Und daß das nicht so bald geschah, dafür sorgten der solide Landregen im Spätherbst und die Regenstürme, die der flandrische Winter mit sich zu bringen pflegt.
Das Artilleriefeuer hielt sich demzufolge auf beiden Seiten meist in mäßigen Grenzen, und dementsprechend waren auch die Verluste nicht groß; ja es gab in der Folgezeit Tage, an denen auf unserer Seite überhaupt keine Verluste eintraten, eine ebenso neue wie erfreuliche Erscheinung. Das kam dem Stellungsbau in hohem Maße zugute, der noch schwieriger geworden war, seit das wochenlange feindliche Artilleriefeuer die ohnehin geringe Standfestigkeit des Bodens derart gelockert hatte, daß die Sandsack-packungen vielfach keinen Halt mehr fanden, bei jedem stärkeren Regen einrutschten und die empfindlichen Entwässerungsanlagen vernichteten.“


aus: „Das 8. Württembergische Infanterie-Regiment Nr. 126 „Großherzog Friedrich von Baden“ im Weltkrieg 1914-1918ׅ, Stuttgart 1929

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