„Alle 4 Wochen wechselten die Kompagnien zwischen der vorderen Linie und
der Reserve, zwischen Posten- und Arbeitsdienst. Die zusammenhängende Ruhe in
der Reservestellung ist der einzige, aber nicht hoch genug zu bewertende
Vorteil, den sie bietet. Sonst ist kein Unterschied zwischen Reserve und
vorderster Linie. Beide liegen gleichmäßig unter unaufhörlichem Feuer. Die
Angriffe in den Argonnen haben den Gegner gewarnt. Die Vorbereitungen für den
im Januar geplanten Angriff, der Bau von Angriffsstollen, verdeckten
Ausfallsappen und neuen Unterkunftsstollen bleiben dem Gegner nicht verborgen.
Die kahl geschossene Höhe ist ein einziger Schutthaufen. Unter dem weißen
Auswurf der Stollenarbeiten ist kaum ein Fleckchen der ursprünglichen Walderde
zu sehen. Mit allen Mitteln sucht der Gegner die Arbeiten zu verhindern und zu
stören. Täglich bebt die Erde von den immer stärker werdenden Sprengungen.
Immer heftiger schwillt das Artillerie- und Minenfeuer an. Immer schwerer
werden die Kaliber und immer mehr Gasgeschosse mischen sich ein. Täglich werden
die Gräben durch die 15 Zentimeter-Granaten eingeebnet. Die Posten, die erst
allmählich splittersicher eingebaut werden, machen furchtbare Stunden durch.
Immer wieder und wieder kämmt der Gegner die Stellung ab. Immer näher und näher
kommen die Einschläge heran. Da steht man wehrlos und wartet auf den Tod. Die nächste
muß den Postenstand zusammenschlagen. Ein furchtbarer Krach. Vor den Augen
sprüht Feuer. Ein eisiger Hauch drückt den Mann an die Grabenwand. Holz,
Steine, Erde prasseln auf ihn nieder, singend schwirren die Splitter durch die
Luft. Es ist vorüber. Man atmet auf, dem Lichte neu geschenkt. Das Toben und
Krachen geht weiter. Da ein Schrei. Der Grabendienst stürzt herbei, unter den
Trümmern seines Postenstandes zieht man einen Schwerver-wundeten hervor. Im
Feuer schleppen ihn die Krankenträger im Zelttuch durch die engen Gräben zum
Verbandsplatz im Ossongrund, und von dort geht es weiter in den offenen Wagen
der Argonnenbahn durch Wind und Wetter ins Lazarett. Aber manchen bettet man
auch auf dem kleinen, mit Birkenstämmen eingerahmten Friedhof im Ossongrund
oder am Noltelager. 50 Tote und 290 Verwundete hat die Höhe 285 dem Bataillon
vom 11. Juli 1915 bis zum 30. April 1916 gekostet, 22 Tote und 100 Verwundete in
den ersten 3 Wochen im Juli, wo jede leichte Granate die elenden Löcher in der
Grabenwand zusammenschlägt, 15 Tote und 80 Verwundete im August, 4 Tote und 37
Verwundete im September. Dann sinken die Ziffern trotz des immer stärker
werdenden Feuers. In unermüdlicher Arbeit sind Stollen gegraben worden, in
denen man ruhiger schlafen kann. Aber
furchtbar eng ist es in ihnen, und es dauert bis zum Februar, ehe endlich alle
Leute schußsicher untergebracht sind. In den schmalen, mit Rundhölzern
abgestützten Gängen liegt man wie die Heringe zusammengepfercht auf Drahtfallen
in mehreren Stockwerken übereinander. Der Raum zwischen der Falle und der
darüberliegenden oder der Decke ist so gering, daß man nicht aufrecht sitzen
kann. Sie sind so kurz, daß die Schläfer die Beine übereinanderstrecken müssen.
Wer heraus will, muß erst über ein paar Nachbarn hinwegkriechen. Ein Tisch ist
ein unerhörter Luxus, auf der Falle liegend muß man essen und schreiben. In den
schmalen Gängen können keine 2 Mann aneinander vorbei. Von der Decke und den
Wänden rieselt das Wasser, gegen das die zerrissene Dachpappe und die
Konservenbüchsen, die man als Sammelbecken an besonders gefährlichen Stellen
aufgehangen hat, nur einen mangel-haften Schutz gewähren. Ständig heißt es
Wasser schöpfen, und in den großen Zugstol-len der zweiten Linie, dem
Vollbrecht- und dem Blockhausstollen, stehen Tag und Nacht oft 4 Mann an den
Pumpen. Hier hat man sich schon etwas bequemer eingerichtet. Von einem
Mittelgang aus sind seitlich Nischen in die Wände getrieben worden, in denen je
8 – 10 Mann unter einem Wellblechschutzdach schlafen. Aber die Luft ist hier
fürchterlich. Deshalb werden die Stollen im Mudragraben als Kammern für je eine
Gruppe mit einem Schlaf- und einem kleinen Aufenthaltsraum mit besonderem
Ausgang gebaut, die untereinander verbunden, aber doch durch Holzverschläge
vonein-ander getrennt sind. In diesen dumpfen und feuchten Löchern ohne Licht
lebt man monatelang im aussichtlosen Kampf mit den Läusen und Ratten, die den
Schlafenden über das Gesicht hinhuschen. Hier verbringt man seine ganze freie
Zeit, denn hier hat man wenigstens das Bewußtsein der Sicherheit, und im
stärksten Trommelfeuer halten die Stollen die Nerven und die Verteidigungskraft
der Besatzung aufrecht.“
aus:
„Das Württembergische Landwehr-Infanterie-Regiment Nr. 124 im Weltkrieg
1914–1918“, Stuttgart 1920
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