Mittwoch, 16. März 2016

16. März 1916


„Wartend standen die mit zehn Pferden bespannten Geschütze auf dem Biwaksplatze in der Nähe von Azannes, einem von Truppen aller Art überfüllten Ort, der am Rand der Feuerzone gelegen war. Nach langer Ruhepause sollte die Abteilung heute zum ersten Male wieder in Stellung kommen.
Bei den ungewöhnlich schlechten Wegeverhältnissen nach vorne war Befehl ergangen, nur das unbedingt Notwendige mitzunehmen, um die Fahrzeuge so leicht als möglich zu machen. Außer den vier Geschützen kam nur noch ein Wagen mit, auf dem Schutz-schilde, Telephongerät und die Decken der Leute verladen wurden.
Feldmarschmäßig ausgerüstet, vom Helm bis zu den Stiefeln, lehnten die Kanoniere am Geschütz, standen die Fahrer bei ihren Pferden. Derbe Scherzworte folgen herüber und hinüber und lautes Gelächter erschallte von Zeit zu Zeit, unbekümmert um das jetzt wieder zu wilder Wut entfesselte Gebrüll der unzähligen schweren Geschütze, die ringsum verborgen waren. Die ersten französischen Grüße hatte man kurz vorher auch schon heulen und krachen hören, als der Feind mit dem weitreichenden Arm seiner Ferngeschütze nach unseren, ihm anscheinend recht unbequemen, schweren Kanonen suchte.
Inzwischen war’s dämmerig geworden. Durch das Schießen nervös geworden, stampf-ten die Pferde unruhig den Boden und zerrten heftig an den Tauen, bis endlich das erlösende Kommando zum Abmarsch kam.
Langsam ging’s aus der deckenden Mulde heraus und den Hang hinauf. Eben wurden überall die massigen Körper der Fesselballons eingezogen. Dagegen begann es jetzt unten auf der Erde wach und lebendig zu werden. Von allen Seiten krochen Kolonnen heran und schoben sich der Front zu, ihr Kraft und Mittel für die kommenden Kämpfe zu geben.
Eine Stunde lang marschierten wir in die dunkle Nacht hinein, über Geröll und durch Schlamm, bergauf und bergab. Auf einmal sahen wir die nackten Arme und kahlen Rümpfe zerschossener und ausgebrannter Häuser gegen den Himmel ragen. Wir waren in Ornes, das uns als der Schrecken aller Kolonnen geschildert worden war und das wir später aus eigener Erfahrung nur mit geheimem Grauen betraten. Aus diesem Hexen-kessel, in dem französische Granaten Tag und Nacht das fürchterlichste Gemisch von Gift, Tod und Verderben brauten, strebte jeder so rasch als möglich herauszukommen. Unsere Pferde, gepackt von dem Grausen des Ortes, fielen von selbst in rascheres Tem-po. Und während wir durch das laute Gerassel der Geschütze hindurch das unheimliche Singen und gleich darauf das entsetzliche Krachen des neu beginnenden Hexentanzes hörten, ging’s durch fußhohes Schlammwasser, über Pferdeleichen, zusammengeschos-sene Wagen, liegengebliebene Munition, hinaus aus dem Schreckensort und die Höhe hinauf. Halbwegs wurde Halt gemacht, um die hintendrein hastenden Kanoniere zu sammeln und die erschöpften Pferde wieder zu Atem kommen zu lassen. Glücklicher-weise war alles wieder unversehrt beisammen. Dann marschierten wir wieder weiter den Berg hinauf, der dunkel aufragenden Mauer des Chaume-Waldes entlang, immer weiter, bis ein erneutes „Halt“ die müde und teilnahmslos hinter den Geschützen gehenden Kanoniere aufhorchen ließ. – „Alle Pferde bis auf die Stangenpferde abspannen, Kano-niere Langtaue abnehmen!“ – Über unsere Köpfe hinweg huschten auf leichten Schwingen die französischen Geschosse, die weit hinten das Feuer der Hölle nährten. Auch in unsere Nähe verirrten sich einzelne Granaten. Bei unserer Arbeit begrüßten wir dankbar die Leuchtkugeln, die vorne hochgingen und erkannten bei ihrem Schein, daß vor uns eine dunkle Schlucht gähnte, in die eine glitschrige Fahrrinne hinabführte. Bald waren die Arbeiten beendet und der Marsch in die Tiefe konnte beginnen. Mit ganzer Kraft die Fahrzeuge an den Tauen haltend, verhinderten die Kanoniere, daß sie ins Gleiten kamen und in die Tiefe stürzten. Langsam und nur mit großer Anstrengung kamen wir glücklich unten in einem Bach von fußhohem, dicklehmigem Schlamm an. Hier mußten wieder alle Pferde vorgespannt werden, um die Fahrzeuge herauszuziehen und dann gleich wieder einen steilen Hang hinaufzubringen. Jeder Meter vorwärts kostete Mensch und Tier unsägliche Mühe, da man schon kämpfen mußte, um über-haupt einen Fuß aus dem zähen Lehm wieder herauszubringen. Obwohl jedes Geschütz mit zehn Pferden bespannt war, drohten die armen Tiere den Berg hinauf vor übergroßer Anstrengung umzufallen.
Nach langer Zeit und unendlicher Arbeit erreichten wir endlich den Kamm der Höhe und waren nach einigen hundert Metern in der Stellung, froh, daß wir alle so wohlbe-halten am Ziel angekommen sind.
So stand also das Regiment in seinen neuen Stellungen, in denen es nun als erstes zu bauen und nochmals zu bauen gab; das zweitwichtigste war die Wegschaffung des in ganz ungeheurer Menge herumliegenden Leermaterials, das nicht nur die Stellung verriet, sondern auch leicht bei Beschießung in Brand geriet. Allein in der Stellung der 4. Batterie lagen mindestens 1500 Körbe.
Die Gefechtsstände der Abteilungen waren in dem berühmten „Steinbruch“, der von der feindlichen Artillerie fast Tag und Nacht unter Feuer gehalten wurde. Welcher Melde-gänger, Telephonist usw., kann je diese Stätte vergessen?
Günstige Beobachtungsstellen gab es in dem unübersichtlichen Gelände wenig. Als einzige Hauptbeobachtung für das Regiment, ohne 4. Batterie, mußte der Panzerturm südöstlich des Forts Douaumont dienen; die 4. Batterie hatte ihre Hauptbeobachtung im Fort selbst. Nur von diesen Punkten aus hatte man einigermaßen ordentliche Übersicht über den zugewiesenen Gefechtsabschnitt. Doch waren zu diesen Beobachtungsstellen keinerlei Verbindungsgräben vorhanden, in denen man seine Fernsprechverbindung hätte sichern können. Zur Anlage eines Kabelgrabens zum Panzerturm wurde auf wiederholtes Bitten eine Kompagnie des R.-I.-R. 120 zur Verfügung gestellt. Vorge-schobene Beobachtungen mußten je nach dem betreffenden Auftrag im vordersten Graben ausgesucht werden, da von dort aus nur Teilausblicke möglich waren. Auf eine Fernsprechverbindung mit dort konnte man, selbst bei aufopferndster Pflichterfüllung der Telephonisten, nur in den allerseltensten Fällen rechnen. Wie froh wäre man dort an einer vermehrten Ausstattung mit Blinkgerät gewesen!“

 


aus: „Das Württembergische Feld-Artillerie.-Regiment Nr. 116 im Weltkrieg“, Stuttgart 1921

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