„Die Reihen rechts zu einem geht die Wanderung los. Es ist schon dämmerig.
Mit schuld daran sind auch die tiefhängenden, sich jagenden Wolken. Auf den
eingelegten Holzrösten geht man bequem, steht auch bald am Scheideweg: hier
Meisengasse, hier Geyerweg, die mit Täfelchen und Wegzeichen sauber bezeichnet
sind. So erfährt man auch, daß es seitlich ab zu den Artilleriebeobachtern, zum
Zugführer der 5. Pioniere 13, zum Artilleriekommandeur geht.
Auf einmal stockt’s, aber gleich geht das dumpfe Trampeln weiter – rum um
die Schulterwehr – da liegt die Bescherung! Der Graben ist zusammengeschossen.
Von außen drückt der Boden herein und läßt keinen Durchgang; man steigt also
über das Hindernis weg, aus dem noch ein paar Hürden und Strebehölzer in die
Luft starren, und stellt höchstens einige Betrachtungen über die nachts zu
machenden Ausbesserungen an. Eine Telephonpatrouille ist schon am Flicken der
Leitung. So noch drei- oder viermal. „Zum M.-G.-Hochstand“, „Verkehrsgräben zum
Abschnitt “ usw., da ist man in der ersten Linie. Es ist schon fast Nacht.
Alles wird übergeben, ein vorläufiger Wachtdienst bestellt, dann rückt die
andre Kompagnie ab, wie wir gekommen sind.
Jeder weiß schon seinen Unterstand, es sei denn, daß in der Zwischenzeit
einer kaputt ging.
Die ersten Leuchtkugeln gehen hoch, und schon setzt das englische
Strichfeuer ein. Der Kompagnieführer hat indes den Arbeitsplan studiert, was am
Tag beschädigt wurde, woran weiter zu bauen ist. Verschiedene Arbeitskommandos
melden sich: Betontrupp, der Hindernisoffizier, Materialtransporte, Pioniere
für das Vorsappieren, schließlich auch der Patrouillenoffizier. Überall wird
eifrig, aber mit möglichster Ruhe gearbeitet. Bis zum Morgen muß die Stellung
wieder in tadellosem Zustand sein. Nach Mitternacht erlahmt der Eifer. Aber die
Leuchtkugeln steigen nach wie vor und das Schießen hört nicht auf.
Handgranatenkampf beim Preußenhaus. Rötlicher Feuerschein zuckt auf, und ein
dumpfes Grollen zeigt, daß irgendwo ein Artillerist keine Ruhe findet. Der Wind
hat inzwischen den Himmel so ziemlich sauber gefegt. Die Sterne gucken durch,
aber kein Mond. Unbeweglich starren die Wachen über die Brustwehren weg,
während der Zugführer vom Dienst gedankenvoll und mit der Leuchtpistole im
Graben auf und ab stapft und froh ist, bis er den Dienst seinem Nachfolger
übergeben darf.
Ein heller Schein im Osten über die geborstenen Bäume des Hoogeparks
kündigt den Morgen an. Die letzte Leuchtkugel verzischt, das Maschinengewehr
verstummt. Es sind die ruhigsten Augenblicke in vorderer Linie. Ein leises
Surren hoch in der Luft; schon fliegt ein Feuerfunken, der erste Flieger, hoch
über die Stellungen. Noch bleibt er allein. Das Morgenrot verspricht nicht viel
vom Tag. Die Sonne kommt kaum heraus, so versteckt sie sich schon wieder hinter
leichten Schleiern. Ein Trupp Essenfasser kommt mit dem Kaffee, den er beim
Eiskeller geholt hat. Da kriecht dann langsam da und dort einer aus seinem
Unterstand, verstreckt sich und macht seine Morgentoilette im Spiegel
irgendeiner Pfütze, die er bei einem Ausgang nach rückwärts findet.
Allmählich sammelt der Gruppenführer seine Mannen und leitet sie zur
nützlichen Tätigkeit an. Gewehr „putzen“, Graben „reinigen“. Dreck und Papier
muß raus. Es ist die gefährliche Zeit, in der die höheren Stäbe ihre Runde
machen. Da erfährt man erst, wie der Graben eigentlich sei: hier zu eng, dort
zu nieder, da ohne rechte Schieß-scharten, anderswo stehen die Windfähnchen (zur
rechtzeitigen Erkenntnis eines Gasangriffs) im statt auf dem Unterstand. Und
dann die miserablen hygienischen Verhältnisse!
Aber alle Schäden stellen sich sogleich als nicht so schlimm heraus, wenn
der Engländer so gegen 9, 10 Uhr mit scharfem Sausen und kurzem Knall die erste
Gruppe Schrapnells über den Graben jagt.
Dann wird’s Zeit, aus dem Seeweg zu kommen, dessen kugelgespickte
Querhölzer von der Gefährlichkeit des Feuers zeugten.
Mit Unterbrechungen geht’s so fort. Zur Abwechslung fallen schwere Kaliber
auf die Laufgräben. Dazwischen prüft die eine oder andere Batterie ihr
Sperrfeuer. Wir werden dabei vorsichtigerweise vorher gewarnt. – Sonst, wenn
gerade kein Feuer auf der vorderen Linie liegt, benützt man die Zeit zu
Erkundungen, sieht sich in den Gräben um, macht Besuche in den
Nachbarabschnitten und sieht dort allerhand Neues auch mit Bezug auf den
eigenen Abschnitt. Stützpunkt und Trichter z. B. sind von der Höhe der Bellewardeferm
ganz anders einzusehen. Oder man übt sich im Schießen mit Zielfernrohr nach
wirklichen oder vermutlichen englischen Schießscharten. Wenn’s der Zufall will,
bekommt man auch einmal etwas zu sehen, einen neugierigen Tommy, der nicht
weiß, wie sauber man ich im Fernrohr beobachtet, das zu dem Zweck sorgfältig
mit einem Sandsack verhüllt ist.
So verstreicht langsam die Zeit. Ich unterhalte mich eben mit ein paar
Leuten über ihre Ansichten von der feindlichen Stellung, da gibt’s eine schwere
Erschütterung. Ein schwarzer Rauch zeigt an, daß die Mine explodiert ist, und
nun starrt alles aufmerksam in den Himmel, woher die nächste kommt. Ein
leichter Knall und schon wieder fliegt so ein Ding in die Luft, eine dicke
Kugel mit kräftigem Stiel, er überschlägt sich in einem fort. Und wieder gibt’s
den gleichen kolossalen Schlag; die Minen reißen gewaltige Löcher, oft von 3, 4
Meter Durchmesser. Ein schriller Pfiff warnt vor jeder folgenden. Wenn man sie
rechtzeitig sieht, kann man bis zu einem gewissen Grad ausweichen, und wenn man
nicht zu fern steht, ist dieses Spiel sehr aufregend. Schließlich hört auch das
auf. Ein Regen, der jedes Granatloch füllt, läßt uns und den Tommys den
Aufenthalt unter einem dürftigen Dach gemütlicher erscheinen.
Mit einem Feuerüberfall um 5 Uhr, der an den Gräben einiges zerstört und
dafür sorgt, daß die Arbeit nicht ausgeht, sonst aber glücklicherweise keine
Verluste bringt. neigt sich der „ruhige“ Tag seinem Ende zu.“
aus:
„Schwäbische Kunde aus dem großen Krieg“, 4. Buch, Stuttgart 1921
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