„Mit ernster Sorge sah Oberstleutnant Nick der inneren Weiterentwicklung
und der Zukunft des Regiments entgegen. Noch stand alles fest, furchtlos und
treu, und die Vergangenheit gab die Gewähr für die Zukunft; aber das war die
Sorge: wie lange wird es noch gehen? Wird nicht die Widerstandskraft, das
psychische Wollen und das physische Können unter dem dauernden harten Druck
brechen? Man sah schon damals auch andere Bilder in jener Gegend. Junge
Regimenter, die nicht mehr geleistet hatten als das Landwehr-Regiment, zeigten
Anzeichen bedenklicher Auflösung. Hatte man 1914 etwa die Landstraßen
abgesucht, um die Ausreißer aufzugreifen, hatte man 1914 die Stiefel über den
Graben hinausgeworfen, um einen Vorwand zu finden, die Kampf-linie mit einem
Ausweis verlassen zu können? Wo hatte man 1914 das vielsagende: „Du, dort vorne
ist dicke Luft, ich mache mir zur Feldküche!“ gehört? Das waren keine
ausgepumpten Truppen, das waren Soldaten, die nicht aushalten, die nicht siegen
wollten. Gewiß, sie waren am Ende ihrer Kraft, weil sie keine Zugangsgräben,
weil sie keine Stollen hatten. Warum hatten sie keine? Warum hatten wir Stollen
und Zugangs-gräben? Antwort: Weil wir sie haben wollten. Der kleine Damm, der V
und X trennte, ehe wir es übernahmen, sagt alles. Wenn auch Oberstleutnant Nick
der Widerstandskraft seines Regiments vertrauen mochte, er konnte nicht ohne
schwere Sorge über seinen linken Flügel hinaussehen. Und was am Kuhkopf, im
vergangenen Winter, in den letzten schweren Kämpfen unerhört gewesen war, die
ersten Fälle der Fahnenflucht, von Selbstverstümmelungen traten auf,
vereinzelt, bei schwachen Charakteren. Aber wie wird es morgen gehen, und
übermorgen? In vier Wochen, wenn neue schwere Kämpfe kommen werden?
Oberstleutnant Nick hat nicht gezögert, das zu vertreten, was er zum Besten des
Regiments für richtig erkannt hatte. Jedermann, der in jenen Zeiten weiter sah,
als ihm der Rahmen einer Kompagnie die Pflöcke steckte, der weiß, was damals
unser Kommandeur für das Regiment gewesen ist. Unter den alten, verstaubten
Akten liegt ein Schriftstück, das in ergreifender Weise die Nöte und Lasten des
Mannes im Regiment schildert, das seit Beginn der Kämpfe über 2500 Mann und 35
Offiziere Abgang gehabt hatte. Die Träger der stolzen Vergangenheit, die
Reservisten und Landwehrleute, waren in ihrer Mehrzahl den feindlichen
Geschossen oder dem Typhus erlegen. Das Angesicht des Regiments war ein anderes
geworden. Jenes Schriftstück schließt mit den Worten:
„Ich melde, daß ich im Hinblick auf die taktische Lage, in Anbetracht des zutage
tretenden Erschöpfungszustandes der Offiziere und Mannschaften, und bei der
Unmög-lichkeit, die Mannschaften so auszubilden, wie es die im Abschnitt
herrschenden Kampfverhältnisse erfordern, ernste Bedenken trage, ob das
Regiment in seiner jetzigen Verfassung der gestellten Aufgabe wird gewachsen
bleiben. Ich bitte, um hierfür die Verantwortung wie bisher tragen zu können,
dem Regiment eine Ruhezeit zu erwirken, in welcher das Regiment wieder fest
zusammengeschweißt und auf die alte im Feuer erprobte Kriegstüchtigkeit
zurückgebracht werden kann. Sollte diese Bitte nicht gewährt werden können, so
bitte ich um Verlegung des Regiments an eine ruhige Stellung des
Kriegsschauplatzes, wo dasselbe Ziel erreicht werden kann.““
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