„10. Juni 1916: Ich habe während der langen Dauer des Krieges schon viel
mitgemacht und erlebt und erinnere mich immer an die schrecklichen Tage von
Pretz usw., aber das alles wurde durch die Nacht vom 9./10. Juni 1916 in den
Schatten gestellt. Die Engländer deckten uns mit ihrer Artillerie einfach
völlig zu. Kaum hatte ich am 9. Juni abends meinen letzten Brief abgesandt, als
sich das feindliche Artilleriefeuer zu einen Sprühregen steigerte. So etwas
kann sich selbst einer, der nur mittlere Gefechte mitgemacht hat, nicht
vorstellen. Unsere Stellung läuft am Westhang der Doppelhöhe 60. Ungefähr 60 –
80 Meter dahinter auf der Höhe selbst ist die ehemalige englische
Höhenstellung, von 1 Zug der 1. M.-G.-K. besetzt. In der vordersten Linie
stehen 4 M.-G. und zwar 2 rechts im Abschnitt der 1./119, wo auch ich meinen
Unterstand habe, 2 links im Anschluß an 125. Auf meiner Seite ist der Graben 4
– 5 Meter tief, so daß sich die Leute ein schußsicheres Loch in den Boden
graben konnten. Sogenannte Behelfsunterstände (1½ Meter hohe Wellblechbögen)
schiebt man in die Erdhöhlen hinein, was dann ein Eindrücken von oben
verhindert, vorausgesetzt, daß die Erdauflage genügend stark und eine
auftreffende Granate nicht zu starken Kalibers ist. Einen solchen alten englischen
Unterstand hatte ich auf der Höhenstellung und bei meinen rechten Gewehren
vorne, dagegen links, wo der Graben kaum 1 Meter tief war, nicht,
Ungefähr 10 Meter links von meinem Unterstand lag der Führer der 1.
Kompagnie, Leutnant d. R. Kühn, in einem gleichen Unterstand, leider aber mit
der Türöffnung feindwärts. Unglücklicherweise fuhr ein feindliches Schrapnell
durch diese Türe, tötete 3 Mann und verwundete 8; Leutnant Kühn war gerade
nicht anwesend.
Da nun mein noch einziger Unterstand sehr geräumig und die einzige Stelle
war, um Verwundete zu verbinden, so spielte sich alles bei mir ab. So lag
einfach alles über-einander; Lebende, Verwundete, Sterbende und darüber das
gemeinste Artilleriefeuer, das jeden Augenblick alles einzuschlagen drohte. Ein
großer Teil der Verwundungen bestand aus Verschüttungen, was die Leute beinahe
durchweg in einen geistig zerrüt-teten Zustand versetzte. Ein solcher Mann von
meiner Kompagnie wollte immer gegen die Wand springen und konnte nur mit großer
Mühe gehalten werden.
Da die beiden linken Gewehre stark gelitten hatten, nahm ich gegen 1 Uhr
vormittags in einer Feuerpause von der Höhenstellung Ersatzleute nach vorne,
auch schickte Haupt-mann Nagel 3 Mann von hinten vor. Ich rechnete immer damit,
daß die Engländer auf die Höhenlinie, worauf sie gut eingeschossen waren,
nochmals feuern wollten und so wollte ich dort möglichst wenig Leute haben. Das
war eine unbewußte göttliche Vorsehung.
Gleich darauf, gegen 2 Uhr vormittags, wieder feindliches Trommelfeuer, gegen
das das vorausgegangene ein Kinderspiel war. Es ging beinahe alles auf die Höhe
etwa 2 Stunden lang bis 4 Uhr vormittags. Wir standen zusammengepfercht im
Unterstand und warteten nur mit der Pistole in der Hand, bis die Engländer
kämen. Leider kamen sie nicht. Ich sage ausdrücklich leider, denn die Besatzung
war dermaßen auf der Lauer und von einer erwartungsvollen Ruhe beseelt, daß es
den Engländern übel ergangen wäre. Am meisten Sorge machte mir mein Zug auf der
Höhe, von dem ich ohne jede Nachricht blieb. Gegen 4 Uhr kam dann plötzlich der
Zugführer, Vizefeldwebel Frech, ganz besinnungslos herangesprungen und rief nur
noch „nichts mehr da“. Ich blieb, Gott sei Dank, ruhig und behielt trotz
Abspannung meine Nerven. Als gegen 4 Uhr das feindliche Trommelfeuer
nachgelassen hatte, sprang ich mit noch mehreren Infanteristen nach der Höhe,
wo man von einer ehemaligen Stellung überhaupt nichts mehr sah. Zu meinem
großen Schmerz war soweit auch all das Unglück bestätigt. In einem Unter-stand,
woraus wir noch Worte vernahmen, ließ ich sofort nachgraben und fanden wir noch
2 Schwerverwundete, darunter ein Gefreiter Ade, welcher als der beste Mann der
ganzen Kompagnie galt und nun inzwischen auch gestorben ist. Von allen anderen
Leuten sahen wir nichts mehr und blieb auch jedes sofortige Nachgraben
erfolglos. Wir hatten gerade die beiden Verwundeten wegschaffen können, als
bereits wieder das feindliche Feuer einsetzte und jedes weitere Graben
verhinderte.“
„Gegen 8 Uhr vormittags am 10. Juni 1916 hatte die linke Flügelkompagnie
(1.) infolge der starken Zerstörungen links und rechts keinen Anschluß mehr.
Auf 80 Meter rechts und links der 1./119 sind die Gräben völlig eingeebnet und
können nicht besetzt gehalten werden, da die schwere feindliche Artillerie
diese Strecken völlig zudeckt; auch die 2. Linie mußte stellenweise geräumt
werden. Teile der Bereitschafts-kompagnien werden in die alte Sturm- und I.
Stellung gelegt. Die Verluste mehren sich unheimlich.“
aus:
„Das Grenadier-Regiment „Königin Olga“ (1. Württ.) Nr. 119 im Weltkrieg 1914-1918“,
Stuttgart 1927
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