„Vom 1. Juni 10 Uhr abends bis zum 2. Juni 5 Uhr morgens, schwieg das
eigene Artilleriefeuer gegen die vorderen feindlichen Linien im
Angriffsabschnitt, um den Patrouillen der Infanterie das Schneiden von
Sturmgassen in die eigenen Hindernisse zu ermöglichen.
Am 2. Juni sollte gestürmt werden. Der Korpsbefehl bezeichnete nach der
Karte eine „eiserne Linie֧, die unbedingt zu erreichen war und eine „goldene
Linie“, die nicht überschritten werden durfte. Zwischen diesen beiden Linien
war Spielraum für selb-ständige Entschlüsse der Unterführer gelassen.
10.30 Uhr vormittags begann unsere Artillerie mit Prüfung der
Tageseinflüsse und legte von 11 Uhr vormittags ab ihr Wirkungsschießen, die
Feuergeschwindigkeit immer mehr steigernd, abwechselnd auf die drei feindlichen
Kampflinien und auf das dahinter liegende Aufmarschgelände. Im Verein mit den
Geschützen aller Kaliber sandten auch leichte, mittlere und schwere Minenwerfer
ihre verderbenbringende Ladung in den Feind.
Die gegnerische Artillerie antwortete nur schwach, beschädigte die Gräben,
schoß unsere Fernsprechleitungen zusammen, brachte uns selbst aber nur geringe
Verluste bei. Nach übereinstimmenden Aussagen aller Gefangenen hat die
englische Artillerie, zum Glück für uns, völlig versagt.
Während der artilleristischen Angriffsvorbereitungen vermittelte der
Fernsprecher den Truppen bis in die vordersten Linien die Nachricht vom Sieg
unserer Flotte am Skagerrak. Wir wollten sie unseren Feinden nicht
vorenthalten, flugs wurde sie auf ein Papier geschrieben und dem Gegner durch
eine Mine ohne Zünder in seine Gräben gesandt.
Um 2.30 Uhr nachmittags schwoll unser Feuer zu einem Trommelfeuer von
unbe-schreiblicher Heftigkeit an. Furchtbar war das Getöse der durch die Luft
sausenden und berstenden Granaten, Schrapnells und Minen. In den Brodem der
heißen Tagesluft mischte sich der Dunst der krepierenden Geschosse;
schwarzgraue Rauch- und Staub-wolken, aufspritzende Erdsäulen hüllten die
feindliche Stellung in undurchdringliches Dunkel.
Auf 3.07 Uhr nachmittags war das Antreten der Infanterie befohlen, das
Regiment 125 (III. Bataillon) hatte den Anschluß. Einige Minuten zuvor – die
Nervenanspannung war übermenschlich gewesen –, noch ehe die eigene Artillerie
ihr Feuer auf die vordersten feindlichen Linien eingestellt hatte, verließen
die Vorwellen – Handgranatentrupps mit Drahtscheren – den Graben und
durcheilten den etwa 200 m betragenden Zwischenraum zwischen den beiderseitigen
Drahthindernissen, ihnen folgten in kurzen Abständen drei weitere Wellen,
bestehend aus je einem Zug der vorderen Kompagnien. Als vierte Welle mit etwa
100 m Abstand setzten sich die Reservekompagnien der Bataillone in Bewe-gung,
die Maschinengewehre befanden sich zwischen der 2. und 3. Welle.
Von Interesse dürfte noch die Ausrüstung der Sturmtruppen sein. Jeder Mann
trug Mütze, Mantel gerollt, Kochgeschirr mit eiserner Portion, 5 Sandsäcke auf
dem Mantel festgebunden, Gewehr, Schanzzeug, volle Munition, Handgranaten,
Drahtwickel, Brot-beutel, Feldflasche mit Kaffee, zwei Verbandpäckchen. Außerdem
hatte jeder Zug der 1. Welle: 20 Drahtscheren, 15 Äxte, 7 Beile, 300 Sandsäcke,
jeder Zug der 2. Welle 1250 Sandsäcke, 20 große Spaten, 5 Grabenspiegel, jeder
Zug der 3. Welle 8 Stahlschutz-schilde, 15 Säcke mit Handgranaten, 20 Stück
großes Schanzzeug, 5000 Sandsäcke, die 4. Welle 40 Stahlschutzschilde, 45 Säcke
mit Handgranaten, 60 Stück großes Schanz-zeug, 1500 Sandsäcke.
Der am 2. Juni 3 Uhr nachmittags einsetzende deutsche Angriff kam nach
Aussagen von Gefangenen dem Gegner völlig unerwartet. Erst nachdem das
Zerstörungsfeuer unserer Artillerie und Minenwerfer mehr als eine Stunde
angedauert hatte und in unver-minderter Heftigkeit fortgesetzt wurde, machte man
sich auf Feindesseite darauf gefaßt.
Der erste feindliche Graben war an vielen Stellen buchstäblich eingeebnet
und der größte Teil der feindlichen Maschinengewehre verschüttet. Günstig war
ferner für uns, daß die Kanadier annahmen, wir würden einen Angriff am hellen
Tage nicht wagen und daß infolgedessen stärkere Reserven erst um 6 Uhr abends
herangezogen werden sollten. Nachdem nun schon um 3.07 Uhr nachmittags unsere
Artillerie ihr Sperrfeuer auf die Goldlinie und in das Gelände westlich der
Goldlinie verlegt hatte, war das Hindurchführen größerer Massen durch die
Sperrfeuerzone ausgeschlossen.
Trotz alledem sollte sich der Kampf für uns noch sehr schwierig gestalten.
Die Sturmwellen des III. Bataillons brausten über die englischen Stellungen
hinweg, nahmen dabei zwei feindliche Maschinengewehre mit stürmender Hand und
erreichten gegen 3.15 Uhr nachmittags die Goldlinie, zum Teil stießen sie sogar
infolge der Geländegestaltung etwas über dieselbe hinaus.
Beim II. Bataillon ging es nicht so rasch. Als die ersten Sturmwellen
dieses Bataillons vorbrachen, auferstand dem rechten Flügel gegenüber aus dem
Schutt ein kanadisches Maschinengewehr, wurde auf die Deckung oder besser gesagt
auf einen Erdhaufen geschoben und eröffnete sofort ein rasendes Feuer. Dieses
einzige Maschinengewehr hielt den rechten Flügel einige Zeit auf und brachte
namentlich unseren hinteren Sturmwellen schwere Verluste bei. Neben anderen
Braven fiel sofort durch Kopfschuß der Führer der 7. Kompagnie. Leutnant d. R.
Schroth. Nicht eher verstummte dieser unvermutet aufgetauchte Feuerschlund, bis
die Vizefeldwebel Schwarz und Schreiber der 6. Kompagnie mit einigen Leuten der
Vorwelle frontal und gegen rechte Flanke des Maschinengewehrs vorgehend nach
erbittertem Handgranatenkampf die Bedienungs-mannschaften außer Gefecht setzten.
Schwarz wurde dabei schwer verwundet. Die kanadischen Helden fielen neben ihrer
Waffe, sie zogen den Tod auf dem Schlachtfeld der Gefangennahme vor.
Bei dieser Kampfepisode zeichnete sich auch noch der Kriegsfreiwillige Hans
Schmidt aus Bayreuth besonders aus. Obwohl durch Granatsplitter am rechten Arm
verwundet, stürzte er sich, seine Kameraden mit fortreißend, auf das feindliche
Maschinengewehr. Erst nachdem er die Erstürmung der 2. und 3. feindlichen Linie
als der Kühnsten einer mitgemacht hatte, begab er sich, von starkem Blutverlust
entkräftet, zum Verbandplatz. Schmidt, als entschlossener Draufgänger in der
Kompagnie bekannt, verdient auch noch deshalb hervorgehoben zu werden, weil er
kurz vorm Sturm in schwerem feindlichen Artilleriefeuer eine vorzügliche
Patrouille gegen den Feind ausgeführt hatte, um Einblick in die
Zerstörungsarbeit unserer Artillerie zu gewinnen.
Ebenso wie die Vizefeldwebel Schwarz und Schreiber wurde auch der
Kriegsfreiwillige Schmidt mit dem E. K. I und der württembergischen goldenen
Militär-Verdienst-Medaille ausgezeichnet.
Während nach der vorher gegebenen Schilderung auf der rechten Hälfte des
II. Bataillons eine kurze Stockung im Angriff eintrat, gelangte die linke
Hälfte über Gräben und Unterstände hinwegstürzend 3.20 Uhr nachmittags bis an
den Westrand des Waldes östlich vom Acht-Wege-Hof, wobei die 5. Kompagnie
Anschluß an das III. Bataillon gewann. Eine am Westrand des
Acht-Wege-Hof-Waldes (dem linken Flügel des II. Bataillons gegenüber) aufgestellte
Batterie, die unausgesetzt auf die anstürmenden Wellen mit Kartätschen feuerte,
wurde erst im Nahkampf Mann gegen Mann durch die 5. Kompagnie und Leutnant d.
R. Beck, der mit einem Zug der 9. Kompagnie selbsttätig und entschlossen
eingriff, zum Einstellen des Feuers gezwungen. Es ziemt uns hervorzuheben, daß
auch hier die Kanadier sich nicht ergaben, sondern sich bis zum letzten Mann
mit Revolvern an ihren Geschützen wehrten. Die erbeuteten Geschütze konnten
über das Grabengewirr nicht zurückgeschafft werden, wir mußten uns damit
begnügen, sie durch in die Rohre gelegte und zum Krepieren gebrachte
Handgranaten unbrauchbar zu machen.
Inzwischen war auch der rechte Teil des II. Bataillons auf die Höhe des
linken gekommen. Die 7. Kompagnie war gerade im Begriff, den Acht-Wege-Hof-Wald
zu durchqueren, da ereignete sich wieder etwas ganz Unvermutetes. In dem Wald
befanden sich zahlreiche kanadische Unterstände, die von den vorderen
Kompagnien im ungestümen Drang nach vorwärts nicht beachtet oder als für
unbesetzt gehalten über-laufen worden waren. Aus diesen quoll de Feind hervor
und wehrte sich verzweifelt. Die 5., 6. und 8. Kompagnie erhielten Feuer in den
Rücken und auch in die rechte Flanke, denn das Regiment 121, das durch
Geländeschwierigkeiten aufgehalten wurde, war nicht mit uns auf gleicher Höhe.
Es entspann sich nun ein Kampfgewirr,
das sich aus lauter Einzelkämpfen mit Bajonett und Handgranaten an den
verschiedenen Unterständen zusammensetzte. Unter beträchtlichen Verlusten
blieben wir die Sieger. Immer aber war der ersehnte Anschluß an das Regiment
121 noch nicht gefunden. Der umsichtige tapfere Führer der 5. Kompagnie, Leutnant
d. R. Lang, will den Anschluß persönlich suchen, von der Kugel eines
feindlichen Maschinengewehrs, das unsere Front vollständig flankierte, tödlich
getroffen, sinkt er zu Boden. An seine Stelle tritt zunächst der Unteroffizier
Acker aus Isingen, Oberamt Sulz, der sich durch zahlreiche freiwillige
Patrouillen in Rußland und Serbien einen Namen gemacht und heute bereits bei
der Wegnahme der feindlichen Batterie besonders hervorgetan hatte.
Der Regimentskommandeur stellte 4.05 Uhr nachmittags die 1. und 2.
Kompagnie dem II. Bataillon zur Verfügung, um die entstandenen Verluste
auszugleichen, insbesondere aber, um den Anschluß an das Regiment 121
herzustellen und zieht dafür die 10./119 näher heran.
Die schriftlichen und telephonischen Meldungen aus der Kampffront werden
durch die Schilderungen der am Regimentsgefechtsstand vorbeikommenden
Leichtverwundeten vortrefflich ergänzt. Leutnant Albrecht, dem ein feindliches Geschoß
beide Arme durchbohrt und die Brust schwer verletzt hat – die Arme sind ihm
zusammengebunden – erzählt in jugendlich glühender Begeisterung, wie es ganz
vorn zugegangen ist. Solche Kampfesstimmung ist erhebend. Gefangene Kanadier,
zum Teil schwer verwundet, werden vorgeführt. Aus ihren Mienen kann man lesen,
aus welch schwerem Erleben sie kommen, aber sie machen durchweg einen guten
Eindruck. Von dem blind-fanatischen Haß der Engländer und Franzosen war bei den
Kanadiern nichts zu spüren, sie bedienten sich auch in Wort und Schrift nicht
der Ausdrücke „Huns“ und „Boches“. Der von ihnen für uns geprägte Spitzname war
„Fritz“. So, wie es tapfer-ritterlichen Gegnern zukommt, wurden sie von uns
behandelt.
Die Kompagnien des II. Bataillons waren durch die Unterstandskämpfe vollständig
durcheinander gekommen und erhielten jetzt neben frontalem auch noch
flankierendes Geschützfeuer. Zwei Kompagnieführer waren schon gefallen, die
beiden anderen schwer verwundet. Das Regiment 121 stand mit seinem linken
Flügel weit hinter unserem rechten, es blieb daher nichts anderes übrig, als
den rechten Flügel des II. Bataillons stark zurückzubiegen und einen zwischen
der eisernen und goldenen Linie gelegenen englischen Laufgraben zu besetzen:
Der Bataillonskommandeur, Major von Schnizer, leitete diese Bewegung persönlich
und wurde dabei – 5.30 Uhr nachmittags – verwundet. Hauptmann Albrecht (1.
M.-G.-K.) tritt an seine Stelle (vom 9. Juni ab Hauptmann Brandt).
Die neue „Stellung“, sowohl die des III. Bataillons an der Goldlinie, wie
die des II. Bataillons wurden sofort trotz schweren feindlichen
Artilleriefeuers einigermaßen verteidigungsfähig gemacht, mit Gegenangriffen
mußte gerechnet werden.
Die Kräfteverteilung innerhalb des Regimentsabschnitts war gegen 9 Uhr
abends folgende:
links III./125
neue Stellung: 12., 10., 9. (4 M.-G.s)
|
rechts II./125
5., 6., 7., 8., 2. (4 M.-G.s)
durcheinander
|
|
in alter englischer 3. Linie: 11., 2 M.-G.s, 1.
|
||
vorn arbeitend:
|
4., 3./125; 10., 11./119; Res.-Pion.-Kompagnie 233 und 263; zwei Rekruten-Kompagnien;
|
|
in bisheriger I. Stellung:
|
9., 12./119, 2 M.-G.s, Armierungs-Kompagnie;
|
|
im Lager:
|
I./119.
|
Zu Gefangenen wurden gemacht: der General Viktor Williams, Kommandeur der
8. kanadischen Infanterie-Brigade, ein Oberst, ein Major, mehrere Hauptleute
und Leutnants und etwa 200 Kanadier.“
Die Beute des 2. Juni bestand aus 4 Geschützen, 1 Minenwerfer, 3 Maschinengewehren, 10 Gewehren, wichtigem Befehls- und Kartenmaterial.
Aus dieser Gliederung gehen auch die neu zugeteilten Kräfte hervor.
Die Beute des 2. Juni bestand aus 4 Geschützen, 1 Minenwerfer, 3 Maschinengewehren, 10 Gewehren, wichtigem Befehls- und Kartenmaterial.
Aus dieser Gliederung gehen auch die neu zugeteilten Kräfte hervor.
aus:
„Das Infanterie-Regiment „Kaiser Friedrich, König von Preußen“ (7. Württ.) Nr.
125 im Weltkrieg 1914–1918“ׅ,
Stuttgart 1923
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