„Am 4. Juli zeigte sich bei Tagesanbruch die merkwürdige Tatsache, daß die
Russen ihre Linien zurückgenommen hatten. Das Regiment schob daher am Vormittag
auf Befehl der 105. Division seine Kompanien weiter vor. Bis ½1 Uhr nachmittags
hatte das I. Bataillon im Anschluß an das am Südost- und Ostrand von Zywaczow
liegende Infanterie-Regiment 21 die Höhe 238. das II. die südwestlich davon
gelegene Höhe 287 besetzt. Nach Süden schloß weiter das Infanterie-Regiment 58
der 119. Infanterie-Division an, die dem Dorfe Chocimirz gegenüber die Höhen
der Wilcza Gora hielt. Der Russe lag auf dem Höhenzug nördlich Zabokruki
beiderseits des Folw. Zielona in mehreren Linien hintereinander und zwar
zweifellos sehr stark. Er hatte hier eine vorbereitete Stellung bezogen.
Zunächst bekam das Füsilier-Regiment den Befehl, sich in den am Nachmittag
erreichten Linien zur nachhaltigen Verteidigung einzurichten. Beim I. Bataillon
wurden zwei Züge, beim II. ein Zug der Maschinengewehrkompagnie Bauer
eingebaut. Abends erhielten beide Bataillone die Weisung, durch starke
Patrouillen eine gewaltsame Aufklärung gegen die feindliche Stellung
einzuleiten, als Vorbereitung für den voraus-sichtlich am 5. Juli erfolgenden
weiteren Angriff.
Aber zu diesem Angriff sollte es nicht mehr kommen, da der Russe am 5. Juli
selbst zu einem großen Angriff überging, und zwar auf der ganzen Front vor
beiden Divisionen.
Um 9.20 Uhr vormittags brachen dichte Russenhaufen beiderseits Folw.
Zielona gegen das I. und II. Bataillon und gleichzeitig auch gegen den linken
Flügel der 119. Infanterie-Division bei Chocimirz vor. Die
Feldartillerie-Abteilung Seeger setzte sofort mit vernichtendem Feuer ein, so
daß die Maschinengewehre und Schützen der beiden Bataillone nur noch geringe
Arbeit hatten, den Angriff abzuschlagen.
Um 12 Uhr mittags war Ruhe eingetreten. Die Russen lagen 600 Meter vor dem
I. und 800 Meter vor dem II. Bataillon, ohne weiter vorzugehen.
1.30 Uhr versuchte der Feind vor dem I. Bataillon einen neuen Vorstoß, der
aber ebenfalls in unserem Feuer zusammenbrach. Weiterhin unterhielt der Feind
ein dauerndes Artilleriefeuer, das teilweise aus südwestlicher Richtung
flankierend kam und sehr verlustreich wirkte. Zu einem erneuten
Infanterieangriff schien indessen dem Gegner die Lust vergangen zu sein. Rechts
vom Füsilier-Regiment hatte sich der Russe bis auf 50 Meter an das
Infanterie-Regiment 58 herangearbeitet und setzte um 2 Uhr nachmittags mit
einem neuen Angriff ein.
Dagegen war um diese Zeit die Lage auf dem nördlichen Divisionsflügel sehr
bedenk-lich geworden.
Beim Regimentsstab wußte man genaueres über die Verhältnisse östlich Olesza
nicht. Es war starkes Feuer während der letzten Stunden aus nördlicher Richtung
zu hören. Mit der Division war nur zeitweise Verbindung vorhanden.
Um 4 Uhr nachmittags kam der kurze telephonische Befehl, „wenn irgend
möglich sofort zwei Maschinengewehre nach Olesza zu senden zur Entlastung der
dort östlich kämpfenden Truppen“.
„Östlich Olesza!“ – Das konnte sehr viel bedeuten. Gleichzeitig brachte ein
Berittener folgende Meldung des Infanterie-Regiments 21:
„An Füsilier-Regiment 122.
Die Russen sind in unserer linken Flanke bei österreichischen Truppen
nord-westlich Isakow durchgebrochen. Österreicher weg. Regiment 21 hält seine
alte Stellung. Das Regiment hat alle Reserven eingesetzt und erbittet dringend
Hilfe nach Zywaczow. Lage in der linken Flanke bedroht. Regimentsstab in
Zywaczow, östlich der Zahl 352 (Dubniki). Verbindung mit Division unterbrochen.
gez. Lüdicke, Oberstleutnant und Regimentskommandeur.“
Zur selben Minute fragt der Führer der 10./122 schriftlich durch
Meldegänger:
„10. und 12. Kompanie haben Divisionsbefehl, sofort nach Olesza zu rücken.
Wo sollen die Kompanien hin?
Weidner, Leutnant.“
Die Lage war also äußerst ernst.
Vor der Front des Regiments konnte jeden Augenblick ein neuer feindlicher
Massen-angriff einsetzen. Die letzten Reserven des Regiments beorderte ein
unmittelbarer Divisionsbefehl sofort nach Norden, nach Olesza. Das
Nachbarregiment 21 bat dringend um Hilfe.
Was nun tun? Es war ein schwieriger Entschluß für Oberstleutnant von
Alberti. Die Entscheidung mußte aber sofort fallen.
Die letzte Kampfkraft des Regiments, die noch nicht eingesetzt war, bestand
in einem Maschinengewehr. Es wurde zum Infanterie-Regiment 21 geschickt.
Leutnant Weidner erhielt Weisung, unverzüglich nach Olesza zu rücken. Der
Division wurde gemeldet, daß nunmehr das Regiment alles eingesetzt habe und
keinen Mann mehr für Olesza frei machen könne, da die Gefahr russischer
Angriffe unverändert bestehe.
Kurt darauf kam folgender Befehl der Division:
„Infanterie-Regiment 21 hält wenn irgend möglich den Ostrand von Zywaczow.
Kann diese Stellung nicht mehr gehalten werden, so ist unter allen Umständen
die Dubniki-Höhe zu halten. – 105. Division.“
Was war nun inzwischen östlich Olesza geschehen?
Kehren wir kurz zurück zum III. Bataillon, als es am 2. Juli abends nach
Olesza als Reserve gelegt worden war. Am nächsten Morgen – 3. Juli – erhielt
das Bataillon den Befehl der Division, als Rückhalt der k. u. k. Brigade Leide
in das Suchodol-Tal in die Gegend des Punktes 260 zu rücken. Diese Brigade,
bestehend aus dem Landwehr-Regiment 5 und dem Honved-Regiment 10, lag im Kampf
mit den Russen dicht west-lich Isakow und zwar wie sie behauptete, „stets in
fortschreitendem Angriff“. (Welcher Angriff im Fortschreiten war, der ihrige
oder der russische, das war mit Klarheit nicht herauszubringen.)
Das III. Bataillon rückt an den befohlenen Platz. Am Nachmittag kommt
plötzlich der eilige Befehl, sofort im Suchodol-Tal nach Süden, Richtung Zywaczow,
zu rücken, um dem schwer bedrängten Infanterie-Regiment 21 zu helfen. Als die
Gegend nördlich dieses Dorfes erreicht ist, müssen zwei Kompanien, die 9. und
die 10., zum Füsilier-Regiment nach Jezierzany aus den bereits erwähnten
Gründen in Marsch gesetzt werden. So bleibt nur noch der Stab mit 11. und 12.
Kompanie südwestlich Isakow. Major Brandenburg war inzwischen erkrankt.
Hauptmann Schwenhage übernahm die Führung des Halbbataillons.
Der folgende Tag verging ruhig. Dann aber kam der 5. Juli.
Doch hören wir zur Schilderung der Ereignisse an diesem heißen Kampftage
den Bericht des Führers, Hauptmann Schwenhage, den er am 6. Juli an das
Regiment sandte, und der die Kämpfe zwischen Olesza und Isakow charakteristisch
wiedergibt:
II./122. – Ostausgang Olesza, 6. Juli 16, 11 Uhr vorm.
An Füsilier-Regiment 122.
Gefechtstätigkeit am 5. Juli 1916: 11./122 schlägt als Reserve bei Höhe 320
halbwegs Straße Zywarczow – Isakow einen mehrgliedrigen russischen
Infanterie-Angriff ab, wird aber von Kosaken von der linken Flanke angegriffen,
da Honved 10 zurückgeht. Bajonettkampf. Landwehr 5 geht ebenfalls zurück. 11.
und 12./122 gehen fechtend, 12. die 11. aufnehmend, bis in die umstehend
gezeichnete Stellung zurück. 11./122 schlägt unterwegs bei der Mühle, halbwegs
Höhe 320 und Ostausgang Olesza eine Kosakenattacke ab. Rückzug der 11. und
12./122 liegt unter starkem russischem Maschinengewehr- und Schrapnellfeuer.
Verluste werden noch gemeldet. Etwa 65 Verwundete der 11./122 bleiben in
russischer Hand.
Ein Ergänzungszug des Infanterie-Regiments 21 wurde angehalten und zur
Besetzung der jetzigen Stellung verwendet (Division ist einverstanden). Etwa 80
Österreicher und Ungarn wurden mit der Pistole aus Olesza in die Stellung
vorgetrieben. Honveds und Landwehr gingen fluchtartig zurück. Befehl bekam das
Halbbataillon von keiner österreichisch-ungarischen Kommandostelle.
Tele-phonverbindung mit II./Honved 10 war da. Eine Ordonnanz des III./122
brachte im kritischen Augenblick als einzige Nachricht, daß der Stab und
sämtliche Truppen zurück- oder übergelaufen seien. Gestern waren von Honved Nr.
10 etwa 150, heute 200 Mann im ganzen da, Landwehr 5 etwa 150–170!! Der
Entfer-nungsmesser des Bataillons ist gefallen, Apparat war verloren. 11./122,
Oberleut-nant Mäntel, hat sich ganz vorzüglich gehalten, 12./122 nicht minder.
Hauptmann Blum mit 9. und 10./122 als Reserve für Brigade Leide nach Dumka
bestimmt, wurde von mir am 5. Juli angehalten und eingesetzt. (Division ist
einverstanden.) Brigade Leide hatte keinen Befehl für Hauptmann Blum, nur die
Worte, „er solle der Lage entsprechend handeln!!“
III./122 soll jetzt der Gruppe des Honvedoberst Kolek unterstehen; ich hole
noch Bestätigung der Division ein. Zwischen die Trümmer der k. u. k.
Regimenter, die durchaus unzuverlässig sind, habe ich deutsche Truppen
(Füsiliere – Jäger) gelegt (Division einverstanden).
Bei abgeschossenen Donkosaken wurden in den Satteltaschen Zivilkleider und
österreichische Uniformen gefunden. Die Kosaken sollen unsere Verwundeten
niedergesäbelt haben. Ich werde das noch genauer feststellen.
gez. Schwenhage, Hauptmann.“
Am Nachmittag des 5. Juli war also durch den russischen Angriff die Brigade
Leide durchbrochen worden, deren Teile, soweit sie nicht überliefen, in wilder
Flucht auf Olesza zurückgingen. Die 11. und 12./122 unter Führung des
Hauptmanns Schwenhage, die sich dem Russenansturm mit hervorragender Tapferkeit
entgegenwarfen, dürfen den Ruhm für sich in Anspruch nehmen, daß sie an diesem
Tag das Schicksal der 105. Division entschieden haben. Denn hätte dieses
Halbbataillon nicht durch seinen zähen Widerstand die Russen zwischen Olesza
und Isakow zu Stehen gebracht, so wäre am Abend dieses Tages das Geschick der
Division besiegelt gewesen. Die gesamten Stellungen zwischen Chocimirz und
Isakow mit den Regimentern 122 und 21 wären aufgerollt worden, und von den
Truppen dieser Regimenter hätten wohl nicht mehr allzuviel die Nacht überlebt.“
aus:
„Das Füsilier-Regiment Kaiser Franz Joseph von Österreich, König von Ungarn (4.
württ.) Nr. 122 im Weltkrieg 1914–1918“, Stuttgart 1921
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