„Beim hochgelegenen Morval, das halbwegs lag, begann die Artilleriezone und
rundum blitzten die Abschüsse unserer Geschütze in der hereinbrechenden Nacht
auf, während die Brisanzgranaten des Gegners krachend in unseren
Batteriestellungen zur Entzündung kamen. Unaufhörlich rauschten die Geschosse
über die Häupter der dem Feind entgegengehenden Grenadiere; Schrapnells und
Leuchtkugeln wiesen ihnen den Weg zur Front. Am Schnittpunkt der Straße mit der
aus Combles heraufführenden Bahnlinie lag der Regimentsgefechtsstand; dort
verließ man die Straße, um auf dem Bahnkörper, der als Richtschnur dienste, in
die Regimentsstellung zu gelangen. Nur schwer war im Dunkel der Nacht der Weg
zu finden, denn Meter um Meter, den die Truppe näher an die Gefechtslinie kam,
nahm das Gelände einen aus unzähligen Kratern gebildeten Wellencharakter an,
der selbst die Bahnlinie nicht mehr erkennen ließ. Schwül war die Nacht und
mühsam der Weg. Schritt um Schritt, dicht aufgeschlossen, arbeiteten sich die
Kompagnien durch das Trichtergewirr hindurch, die ersten Granaten kreuzten den
Weg, Schrapnells streuten ihren Inhalt über die erstmals getragenen Stahlhelme
aus. Gerade aus züngelten die Flammen aus der in Brand geschossenen
Zuckerfabrik südöstlich Longueval. Plötzlich stiegen rechts drüben am
Delville-Wald bunte Leuchtzeichen in den nächtlichen Himmel und in wenigen
Sekunden war die ganze Front angesteckt von diesen Raketensignalen, die, als
einzig schönes Feuerwerk, in grünen, roten und orangenen Sternen tausende von
Geschützen hüben und drüben zu ihrer vernichtenden Arbeit aufforderten. Die
Ablösungen lagen in schwerem Sperrfeuer, preßten sich in die Granatlöcher,
suchten auszuweichen, wurden versprengt und fanden sich wieder. Es fauchte,
zischte, heulte , krachte und bebte – ein ohrenbetäubender Lärm, bei dem kein
Wort mehr zu verstehen war. Am Nordrand von Guillemont rissen 30er und 38er
Granaten haustiefe Löcher in den ausgetrockneten Boden und warfen sie im
nächsten Augenblick wieder zusammen. Staub, Gas und Schwefelgeruch legten sich
beizend auf die Augen und brannten in der Nase. War ein Nachtangriff im Gang,
hatte ein Ängstlicher vorzeitig das Leuchtzeichen gelöst? Niemand wußte es und
erst, als die Wut des Feuers sich legte, fand man sich wieder zurecht, tastete
weiter und erreichte um 2 oder 3 Uhr früh die Stellung, wo einem die Sachsen
erklärten, daß es sich nur um einen der üblichen Feuerüberfälle gehandelt habe.
Kurze Zeit nur waren die Kompag-nien in Stellung, da schlug eine schwere Granate
in einen Zug der 1. M. G. Kompagnie, setzte ihn nahezu restlos außer Gefecht
und tötete den Zugführer, Leutnant d. R. Dettling. Dies waren unsere ersten
Verluste in der Sommeschlacht, deren Grauen in jener nächtlichen Ablösung mit elementarer
Wucht über uns gekommen war.
Nun lagen die Kompagnien in den zerschossenen Gräben, rechts die 5., links
die 6. Kompagnie, bei ihnen 5 Maschinengewehre, der Rest des Bataillons und 2
Maschinen-gewehre in Reservestellung um Ginchy herum. Der K. T. K. lag mitten im
schwersten Feuer am Nordrand von Guillemont, bei ihm 2 weitere
Maschinengewehre, Ordonnanzen, Meldeläufer, Sanitäter, Verwundete, Gefangene –
Alles eng gepreßt in einem tiefen ehemaligen Artilleriestollen, in dem eine von
Hitze, Staub und Aus-dünstung gesunder und verletzter Menschen zusammengesetzte
Luft sich lähmend auf Geist und Körper legte. Die Kompagnien draußen in den
Gräben hatten nicht einmal eine solche Unterkunft und nirgends war eine
Stellung zu erkennen, als man am Morgen das Auge über Trichterkämme, Kalk,
Staub und Erde schweifen ließ. Zur Linken waren die Reste von Guillemont
sichtbar, welche I. R. 124 zu schützen hatte, rechts anschließend lag das
Grenadierregiment, das mit seinem linken Flügel am ehemaligen Bahnhof Anschluß
an den Nachbar hatte. Nach rechts hin war Anschluß erst nach Tagen zu bekommen,
wo das I. R. 52 bald hernach durch die 26. I. D. abgelöst wurde. Nur ein
Verbindungsweg führte nach rückwärts; aber es war ein enge Schlauch, der in dem
ewigen Feuer nahezu völlig zerschossen war, so daß der Verkehr übers freie
Gelände gehen mußte und ein Erreichen der vorderen Linie bei Tag nur einzelnen
Leuten, von Granatloch zu Granatloch springend, möglich war.
Dort hausten in kleinen seitlichen Nischen, in Minen- und Granatrissen,
ruhend und halb sitzend, halb stehend, die Schützengräbenmänner, immer lauernd
auf den Gegner, immer schaufelnd und grabend, wenn die Granate, die das bißchen
Unterkunft zusam-menwarf, einen selbst am Leben gelassen hatte. Nur einige ganz
wenige Stollenansätze in dem auf einer Kreideschicht liegenden Lehmboden boten
splittersichere Deckung. Der Magen verweigerte die Nahrung in dem
unausstehlichen Verwesungsgeruch der Gefallenen, die inmitten der Schlacht ihre
letzte Ruhe finden mußten, und von Durst geplagt lagen Offiziere und Mann in
ihren Löchern; regungslos bei Tage, um die Stellung nicht zu verraten,
arbeitsam bei Nacht, um wenigstens die nötigste Verbindung unter den
Schützengruppen aufrecht zu erhalten. Wer verwundet war, blieb liegen, bis die
Nacht Erlösung brachte, die den Krankenträgern ihr mühsames Amt ermöglichte.
Über sich vom frühen Morgen an eine Unzahl Flieger, denen die Deutschen
entfernt nicht gewachsen waren, vor sich eine immer frische angriffsfreudige
Infanterie, um sich den eisernen Teufelsspuk einer aufs Wahnsinnigste
gesteigerten Artillerie, hinter sich einen ungenügenden eigenen
Artillerieschutz – und trotzdem hielten jene Männer noch in der dritten ebenso
wie in der ersten. In dieser fürchterlichsten aller Lagen gab es nur einen
Zeitbegriff und das waren die 3 mal 24 Stunden, die man in der Kampfstellung
verbringen mußte. Dann ging’s in völliger Abspannung in Bereitschaft oder
Reserve zurück, wo man von dem Fortgang der Schlacht nicht viel wissen wollte,
bis ein Alarm- oder Ablösungsbefehl der Ruhe ihr Ende bereitete.“
aus: „Die
Ulmer Grenadiere an der Westfront“, Stuttgart 1920
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