„Als der neue Tag graute, war es zunächst außergewöhnlich ruhig. Aber als
die Sonne herauskam, wurde es klar, daß der Gegner diesmal die Priez-Ferme
wegnehmen wollte. Schwerstes Feuer wühlte aufs neue das ganze Gelände um.
Wieder kreisten feindliche Flieger tief über den Stellungen, die nun auch
weiter nach Norden hin zertrommelt wurden.
Hauptmann Beckh, der tapfer am bedrohtesten Punkte aushielt, wurde
verwundet, der Stahlhelm rettete ihm das Leben. Das Bataillon ordnete an, daß
die in der Gegend der Priez-Ferme liegenden Mannschaften nach Norden ausweichen
sollten. Aber es war in dem rasenden Feuer natürlich nicht möglich, diesen
Befehl jedem einzelnen mitzuteilen. In den Nachmittagsstunden wurden Bewegungen
im Anderlu-wald und in der Trichtergegend südlich der Ferme sichtbar. Das sofort
darauf einsetz-ende M.-G.-Feuer nützte nicht viel. Der Gegner konnte sich, durch
die vorhandenen Grabenreste und Trichter gedeckt, ungesehen näher
heranarbeiten. Sperrfeueran-forderung wurde von der Artillerie nicht beachtet. den
ganzen Tag über fiel kein Schuß der eigenen Artillerie vor diesem Teil der
Front. Da alle Leuchtzeichen nichts nützten, mußte der Versuch gemacht werden,
eine mündliche Meldung an das Regiment gelangen zu lassen. Eine
Gefechtsordonnanz des Bataillons, der Ersatzreservist Haspel, wurde dafür
bestimmt. Es war eine der schlimmsten Aufgaben während der Somme-schlacht. Mancher
Meldegänger ist von solch einem Gang nicht zurückgekehrt. Sobald Haspel den
Auftrag erhalten hatte, begann er ganz ruhig abzuschnallen und den Waffen-rock
auszuziehen. Der Adjudant fragte ihn verwundert, was er denn mache. Er meinte,
je leichter er angezogen sei, umso schneller komme er vorwärts. Tatsächlich
legte er den Weg bis zu dem fast 2 Kilometer entfernten Regimentsgefechtsstand
in 12 Minuten zurück. Der Regimentskommandeur, über diese Leistung und über das
Lebenszeichen von vorn erfreut, gab dem Bataillon Weisung, Haspel sofort zur
Verleihung des Eisernen Kreuzes einzugeben. Er hat es auch bekommen.
Aber die Artillerieunterstützung blieb doch aus. Dagegen sah man die
Anschüsse feindlicher Geschütze nur 1500 bis 2000 Meter entfernt. Auf dem
Höhenrücken zwischen Le Forest und Combles hatte der Gegner eine Blinkstation
eingerichtet, mit der er dauernd Zeichen gab. Auf nahe Entfernung sah die
französische Infanterie behaglich zu, wie die deutsche Trichterbesatzung
zusammengetrommelt wurde und wartete den Augenblick ab, bis sich kein Leben
mehr zeigte. Schon am 12. September hatten wir mit stiller Wut zugesehen, wie
die Franzosen nachlässig, Zigarette im Mund und mit umgehängtem Gewehr
dahergeschlendert kamen, um die niedergestampften deutschen Gräben zu besetzen.
Das war kein Sturm, das war nur ein vorsichtiges Nachfühlen. Hätten die
Franzosen die moralische Stärke ihrer Gegner gehabt, so hätte sich die
Sommefront nicht einen Tag lang halten lassen. Nun wurde beobachtet, wie sich
dauernd neue Massen in der Sturmstellung ansammelten. Sogar ein Bursche zog
ganz friedensmäßig einen Kompagniegaul am Halfter hinter sich her.
Gegen Abend hatten die Franzosen endlich soviel Mut gesammelt, den
„Angriff“ zu wagen. Am Anderluwald wurde es lebendig, auch auf der Höhe südlich
der Ferme. Von Trichter zu Trichter springend, bewegten sich die
schmutzigblauen Gestalten vorwärts. Was dann an der Ferme geschah, wird
schwerlich einer erzählen können. Vom Zuge Weber wurden nachher der Führer und
14 Mann vermißt. Es ist später festgestellt worden, daß Fähnrich Weber gefallen
ist, ob von den andern noch einer lebend den Franzosen in die Hände fiel, ist
unbekannt.
Sobald das Bataillon Nachricht erhielt, der Feind sei in der Ferme, gab es
der einzigen Reserve, der 6. Kompagnie, Befehl, die Stellung wiederzunehmen.
Aber die Franzosen hatten einen dichten Sperrfeuerriegel hinter die Stellung
gelegt. Die Kompagnie schmolz schnell zusammen, Leutnant Deppe wurde verwundet,
und schließlich sah Leutnant Schäf noch etwa 10 Mann um sich, mit denen er
unmöglich das französische Bataillon vertreiben konnte. Bei Einbruch der
Dunkelheit versuchte der Gegner weiter vorzudringen, wurde aber von den Resten
der 8. und 6. Kompagnie und weiter westlich von der 5. Kompagnie unter Leutnant
Wied daran verhindert.
Schlimmer sah es östlich der Ferme aus. Am Tage vorher schon waren von der
1. Kompagnie Leutnant Bach und Leutnant Uhland verwundet worden. Gegen Mittag
waren noch etwa 40 Gewehre da unter Leutnant Berger. Alles übrige war unter dem
entsetzlichen Feuer im deckungslosen Gelände kampfunfähig geworden. Auf Befehl
des Bataillons zogen sie sich etwa 150 Meter nach Norden zurück auf eine als
Rückhalt dienende Kompagnie des Reg. 65, die aus dem Gallwitzriegel dorthin
beordert worden war. Am Abend waren noch 11 Mann kampffähig. Sie wurden als
Staffettenposten verwendet.
Die 4. Kompagnie hinter dem Friedhof und die 3. rechts davon wurden auch fast
ganz zusammengeschossen. Leutnant Spieth wurde verwundet. Aber als gegen Abend
die Franzosen vorgingen, wurden sie schon auf 1000 Meter beschossen. Sie kamen
bis etwa 100 Meter an den Friedhof heran. Darüber hinaus drangen sie nicht vor.
In die Südecke von Rancourt kamen sie vorübergehend hinein, wurden aber bald
wieder hinausge-worfen. Bis zur Priez-Ferme klaffte also immer noch die breite
Lücke, und bei Dunkelheit trieben sich dort auch französische Patrouillen
herum. Sie wurden aber von eigenen Patrouillen beschossen und wichen zurück.
Größere Kräfte wagten es nicht, die Lücke zu benutzen. Das I. Bataillon war
also bis auf einen kleinen Rest zusammenge-schmolzen, der sich teils nördlich
des Friedhofs, teils im Hohlweg an der Nordwestecke von Rancourt hielt, das II.
hielt sich mit den Überbleibseln von zwei Kompagnien noch im Frégicourtriegel,
mit der 5. im Comblesriegel (zwischen Ziegelei und Ferme) und mit der 7. in der
Nordostecke von Combles. Das III. hatte nur unter starkem Feuer zu leiden
gehabt. Der Bataillonsstab war aus der Ziegelei in die Nordostecke von Combles
zurückgegangen. Am Abend hatte es so ausgesehen, als wenn ein allgemeiner
Angriff auf den Ort käme. Die Engländer, die sich am Birkenwäldchen festsetzen,
schossen von Nordwesten, die Franzosen von Südosten mit Maschinengewehren in
die Straßen. Die 7. Kompagnie lag mit dem Bataillonsstab ausgeschwärmt hinter
Häusertrümmern und am Hohlweg, der nach der Ferme zu führt. Aber mit Einbruch
der Dunkelheit wurde wieder alles ruhig.
Noch einmal atmete man auf, aber am nächsten Tag mußte ja nun doch die
Katastrophe kommen, denn diese kümmerlichen Reste des Regiments konnten doch
auf einer Front von mehr als 3 Kilometern keinen ernstlichen Angriff abwehren.
Da kam die erste Hilfe. Das III. Bataillon wurde durch ein Bataillon des
bayr. Inf.-Reg. 19, das I. und II. durch je ein Bataillon des sächsischen
Res.-Reg. 104 verstärkt.
Aber nur die 2. Kompagnie wurde abgelöst. Bis zur vorderen Linie fanden die
Sachsen nicht vor. Die 3. und 4. Kompagnie blieben in ihrer Stellung.
Als beim II. Bataillon die Verstärkung eintraf, wurde erneut die
Wiedernahme der Ferme erwogen, aber man nahm doch Abstand davon, denn
einerseits hatte der Gegner sich jetzt mit starken Kräften eingebaut, die ohne
Artillerievorbereitung nicht zu vertreiben waren, andererseits nützte der
Besitz der Ferme nichts, wenn nicht auch die Höhe südlich davon wieder genommen
wurde.
Am Morgen des 15. September begann das Artilleriefeuer aufs neue. Der
Unterstand des II. Bataillons wurde von einer französischen Batterie auf nahe
Entfernung sechs Stunden lang beschossen. Als er begann, von oben her
zusammenzubrechen, mußten die Insassen an den Auszug denken. Nur mit größter
Mühe gelang es, einzeln aus der Mausefalle zu entkommen. Am Abend kamen Teile
des Reg. 74 an. Sie wurden dazu benutzt, die 5. Kompagnie abzulösen, die noch
immer unter schweren Verlusten im Comblesriegel aushielt. In der Nacht wurden
auch die Überbleibsel der 3. und 4. Kompagnie abgelöst und hinter Rancourt
zurückgeführt, am nächsten Tag aber noch einmal bis Frégicourt vorgeholt.“
aus:
„Das Württembergische Reserve-Inf.-Regiment Nr. 247 im Weltkrieg 1914–1918“
Stuttgart, 1924
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