„Wie am 7. August bei Korolowka beginnt um 6 Uhr morgens plötzlich auf der
ganzen Front ein äußerst heftiges Feuer sämtlicher russischer Batterien. Der
bisher so ruhige Feind erwacht zu eifrigster Tätigkeit. Soweit man sehen kann,
überall, auch im ganzen Abschnitt des Infanterie-Regiments 129, liegt schweres
feindliches Feuer auf allen deutschen Stellungen.
Gegen ½10 Uhr ist bereits ein großer Teil der Gräben des II. Bataillons
eingeebnet. Die 6. Kompanie leidet unter schwerem feindlichem Minenfeuer.
Die Lage ist äußerst kritisch. Das Regiment, das in den letzten Wochen so
Schweres durchgemacht hat, ist nicht geeignet, einen erneuten russischen
Großangriff auszuhalten und mit Erfolg abzuwehren. Darüber konnte sich
eigentlich niemand im Unklaren sein. Der Ersatz, der in Halicz angekommen war,
hatte zum Teil noch nie im Feuer gestanden. Von einer eigentlichen Ruhe oder
gar Ausbildung hatte man in den letzten Tagen nicht reden können.
Der Regimentskommandeur sah daher mit ernster Sorge den Mittagsstunden
entgegen.
Es kam noch ein anderer Umstand hinzu, der diese Besorgnis erhöhen mußte.
Hinter der Front standen keinerlei Reserven – Reserven, mit denen man rechnen
konnte. Denn die paar österreichischen Kompanien des Regiments 52, die seit dem
4. September auf Höhe 333 an der Straße nach Meducha lagen, die waren
abgekämpft und kamen für Gegenstöße gar nicht in Frage. Das
Reserve-Jäger-Bataillon 15 aber, das bisher in Folw. Stawiska gelegen hatte,
wurde am 5. September von der Division in die Gegend von Zielona gezogen, da
dort die Gefahr eines russischen Durchbruchs besonders groß zu sein schien.
Es ist 10 Uhr vormittags. Noch immer rast das Feuer auf den Stellungen des
Regiments. Der Gefechtsstand von Oberstleutnant von Alberti ist am Waldrand
dicht nördlich der Straße Meducha – Drysczow. Von hier aus sieht man über die
Höhe 339, auf der das II. Bataillon liegt, eine lange schwarze Rauchwand wogen.
Im Wald von Stawiska herrscht eigentümlicherweise Ruhe.
Eine Anfrage bei Abteilung Prohaska bestätigt, daß die feindliche
Artillerie den Wald frei läßt.
Hier wird der Russe also nicht angreifen. Der Wald fällt von selbst, wenn
er umgangen ist – so denkt der Führer drüben in Byszow. Und nicht mit Unrecht.
Die ausnehmend heftige Beschießung des II. Bataillons bestärkt den Regimentskom-mandeur
in der Annahme, daß dort der Hauptstoß der Russe zu erwarten sei. Daher werden
die drei Kompagnien des noch als Reserve vorhandenen österreichischen
Bataillons 52 folgendermaßen bereitgestellt:
Das II. Bataillon meldet gegen ½11 Uhr bereits schwere Verluste. Das
Hindernis sei an vielen Stellen durch die feindlichen Minen zerstört, der
Verkehr in den Gräben wegen vielfacher Verschüttung unmöglich.
Die Kompanie westlich der Höhe 339 erhält nur ganz schwaches Feuer. Es
erscheint sicher, daß der Hauptstoß des Feindes östlich des Weges Byszow – W.
H. kommen wird.
Der Wald beim Regimentsstab erhält von ½12 Uhr ab starkes Granat- und
Schrapnellfeuer. Die Fernsprechleitungen bleiben jedoch intakt.
Um ½1 Uhr der bekannte Ruf in allen Telephonen: „Die Russen greifen an!“ Schlagartig
setzt unser Artilleriesperrfeuer ein. Gleichzeitig zischen im Wald beim
Regimentsstab einige Gasgranaten auf. Also zu allem hin auch noch die Gasmaske!
Wenige Sekunden später sind sämtliche Gefechtsleitungen gestört. Nirgends mehr
kommt Antwort.
Der Donner der Geschütze ist zu einem ohrenbetäubende Rollen angeschwollen.
Über dem Kampffeld lagert eine graue Rauch- und Dampfmasse, die jeden Überblick
verhindert. Nur der Wald von Stawiska liegt klar im Grund, als hätte er mit dem
ganzen Angriff gar nichts zu tun.
Vorne beim II. Bataillon vollzog sich zu dieser Stunde das Geschick des
Tages. Dem Russen konnte es nach 6½stüdigem Trommelfeuer nicht mehr schwer
fallen, die von ein paar einzelnen Leuten der abgekämpften Kompanien besetzten
Gräben zu überrennen. Die Maschinengewehre waren fast alle verschüttet, weil
das Bataillon sie fälschlicher-weise in die vordere Linie gesteckt hatte, anstatt
sie im rückwärtigen Gelände einzu-bauen. (Doch damals war man ja eben erst im
Begriff, derartige Erfahrungen zu sammeln!) Und so stieß der Russe durch das
II. Bataillon hindurch und wandte sich mit Teilen nach Osten gegen das I.
Bataillon und nach dem Wald von Stawiska gegen die Abteilung Prohaska.
Oberstleutnant von Alberti warf, sobald er dies erkannte, sofort seine
letzte Reserve, die österreichische Kompanie am Waldrand, gegen die Höhe 339,
um die zurückflutenden Teile des II. Bataillons aufzunehmen.
Allein das war ein Tropfen auf einen heißen Stein. Die siegreich
vordringenden Russen-Bataillone konnten von einigen Zügen nicht mehr
aufgehalten werden.
Der Durchbruch brachte sofort die ganze Front ins Wanken. Das I. Bataillon,
das Regiment 129 – alles war gegen 2 Uhr bereits im Zurückgehen gegen die
Straße Meducha – Drysczow.
Von diesen Vorgängen konnte das III. Bataillon noch nicht viel ahnen, Es
mußte unter allen Umständen zurück und aus dem Grund heraus, in dem es im Wald
von Stawiska lag. Daher gab der Regimentskommandeur um ½2 Uhr den Befehl, „daß
das III. Bataillon auf die Höhen nördlich Folw. Stawiska zurückzugehen habe“.
Inzwischen hatten sich die vorgesandte österreichische Kompagnie, eine
halbe Jäger-Kompagnie, der Regimentsadjudant mit ein paar Gefechtsordonnanzen
und Leuten des II. Bataillons und 2 Maschinengewehren zwischen Höhe 339 und
Straße Meducha – Drysczow festgesetzt und feuerten auf die über die Höhe 339
vordringenden Russen. Der Feind schoß mit 18 cm-Granaten nach der Straße und in
den Wald. Links drüben in Richtung Zielona sah man die eigene Infanterie eben
in den Wäldern verschwinden, verfolgt von braunen Russenmassen, die in
schwerfälligem Schritt über die Stoppel-felder stampften, ohne auf das Feuer
einzelner sich hier und dort noch widersetzender deutscher Abteilungen zu
achten.
Südlich der Höhe 333 bei W. H. steht eine offen aufgefahrene preußische
Batterie. Sie feuert in direktem Schuß auf 800 Meter in die Russen hinein. Aus
dem Grunde bei Folw. Stawiska kommen jetzt die Besatzungen der Waldstellungen
zurück, Österreicher, Jäger, Honved, Füsiliere, alles im Rückzug. Von Südosten
faucht eine russische Maschinen-gewehrgarbe die Mulde herauf. Hier und dort
reißt eine schwere Granate den Boden auf.
Nur noch die kleine Gruppe von Füsilieren, Jägern und der Kompanie 52 hält
auf der Höhe südlich W. H. Etwas weiter links liegt noch Oberleutnant Maentel
mit 2 Maschi-nengewehren.
Gegen ½4 Uhr müssen auch diese Abteilungen zurückweichen. Weiter östlich
ist der Russe bereits in den Wald gestoßen, der nördlich der Straße nach
Drysczow liegt. Auf der ganzen Front von Stawiska bis Zielona klafft ein großes
Loch.
In diesem Augenblick, etwa 4 Uhr nachmittags, trifft das
Reserve-Infanterie-Regiment 37, das wohl von weit hergeholt war, bei Höhe 333 W.
H. ein und bringt den russischen Stoß zunächst an dieser Stelle zum Stehen.
Die zurückgeworfenen Teile des Füsilier-Regiments sammelten sich in dem
Grunde nordwestlich des Dubnica-Waldes. Bis gegen 5 Uhr nachmittags waren dort
etwa 400 Mann wieder in der Hand des Regimentskommandeurs.
Auf dem Weg von Konkolniki her war ein Ersatztransport von 135 Mann für das
Regiment im Anmarsch. Er wurde sofort zusammen mit den Resten der Bataillone
zur Besetzung einer vorbereiteten Stellung verwendet. Sie lag auf dem Hange
südlich des Bachgrundes, in dem sich das Regiment wieder gesammelt hatte. Es
wurden drei Abteilungen – Bataillone konnte man nicht mehr sagen! – gebildet,
je eine unter Major Wolter, Hauptmann Helmke und Hauptmann Dippert. Links vom
Regiment sah man das Infanterie-Regiment 129. Der Feind erschien bei Einbruch
der Dunkelheit an den gegenüberliegenden Waldrändern. Die Lage war folgende:
Es war am Abend des 5. September nicht mehr festzustellen, wer rechts vom Regiment
lag. Von einer 3. bayrischen Infanterie-Division wurde gesprochen, die auf der
Höhe Nad Trantam stehen sollte. Eine Verbindung mit diesen Truppen wurde nicht
erreicht. Wo das Reserve-Regiment 37 stand, war auch nicht klar.
Die Leute des Regiments waren an diesem Abend völlig erschöpft. Eine
Abteilung österreichischer Sappeure, die beim Ausbau der neuen Stellung helfen
sollte, schlief sofort auf dem Stoppelfeld, in dem sie lag, ein. Man muß
bedenken, daß in der Stellung, gegen die am Morgen der russische Angriff
erfolgt war, weder Stollen noch Unterstand vorhanden war, daß die Leute dem
heftigen Artillerie- und Minenfeuer sechs Stunden lang ausgesetzt waren, ohne
mehr Deckung zu haben, als eben der Graben selbst bot.
Der Russe griff in der Nacht nicht mehr an.“
aus:
„Das Füsilier-Regiment Kaiser Franz Joseph von Österreich, König von Ungarn (4.
württ.) Nr. 122 im Weltkrieg 1914–1918“, Stuttgart 1921
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