Samstag, 1. Oktober 2016

1. Oktober 1916


„Am Ausgang von Grandcourt nach Miraumont stand noch als letzte Reserve des Regiments die 12. Komp. Schon nachmittags hatte sie einen halben Zug als Hand-granatentrupp für die „Staufenfeste“ abgegeben, der aber dort nicht mehr zum Eingreifen kam. Abends löste sie 99er im „Köhlergraben“ ab und traf die Reste der 7. Komp. Die 8. Komp. besetzte in der Frühe des 30. September den „Staufenriegel“ hinter ihr; die 5. wurde tags darauf im Nordteil der „Feste Staufen“ eingesetzt und löste die Reste der 8. Inf.-Division ab. Der 30. September verlief fast kampflos. Versuche, aus dem „Hessengraben“ heraus den „Köhlergraben“ anzugreifen, wurden von der 12. Kompagnie rasch erstickt. In der Frühe des 1. Oktober übernahm der Stab des I. Batl. den „Staufenriegel“. Marineinfanterie war östlich des „Köhlergrabensׅ“ neben die 26. Res-Division getreten. Um 3 Uhr nachmittags begann wieder schweres Wirkungs-schießen. Im schwäbischen Merkur schilderte ein Mitkämpfer den heißen Kampftag.
„Zwei schwere Batterien überschütteten den Köhlergraben mit ihren Geschossen. In Fetzen fliegt das Drahthindernis. Volltreffer zerstören den Graben., Explosionen brüllen, zerreißen das Trommelfell. Splitter pfeifen und schwirren. Der Sanitäts-unteroffizier Kolbe waltet ruhig und unerschrocken seines Amtes und birgt die Verwundeten im Stollen. Schon füllen sich die englischen Gräben. Bajonette blitzen über die Brustwehr. Stahlhelm drängt sich an Stahlhelm. Kampferregt drängt sich die Mannschaft aus den Stollen, den Sturm abzuwehren. Noch ist es zu früh. Mit derben Worten muß sie der Führer zurücktreiben, um unnötige Verluste zu vermeiden. Leuchtkugeln fordern von der deutschen Artillerie Sperrfeuer an, soweit man sieht.
Jetzt bricht der Gegner vor. Heraus! Im Nu ist der Graben besetzt. Ein Maschinen-gewehr wird in Stellung gebracht. Und aus 100 Feuerschlünden fliegt dem Engländer der Tod auf blanken Geschossen entgegen. Hei, wie er stutzt, verdutzt zögert, sich niederwirft und Schutz sucht. Langsam feuern! Bedächtiges Scheiben-schießen löst das erste erregte Schnellfeuer ab. Wo ein englischer Kopf sich zeigt, fliegen ihm schwäbische Kugeln um die Ohren. Da versucht uns der Feind von rechts in den Rücken zu kommen. Die Stellung ist schlecht. Wir können nicht nach rechts schießen. Einige Gruppen springen aus dem deutschen Graben heraus, nehmen Front nach dem neuen Angreifer und bereiten ihm das Schicksal seiner Brüder. Deutsche Artillerie setzt ein. Aber eine Batterie schießt zu kurz. Leucht-signale zeigen es ihr an. An der Barrikade krachen die Handgranaten. Vizefeld-webel Frech mit seiner wackeren Schar wehrt alle Angriffe ab. Wie lange schon? Keiner weiß es. Die Zeit fliegt. Schon geht es dem Abend zu. Wütend über den mißlungenen Angriff trommelt die englische Artillerie aufs neue. Der Feind holt zu neuem Stoß aus. Im Laufgraben geht ein Handgranatentrupp vor. Und uns gehen die Handgranaten zur Neige. Feuer auf die vorgehenden Engländer! Um-sonst! Gebückt finden sie Schutz im halbzerschossenen Graben. Eine Kugel zerschmettert dem Kompagnieführer im Anschlag den Arm. Die Zugführer sind verwundet. Der letzte Offizier übernimmt die Kompagnie. Mit dem Rest der Handgranaten halten die Tapferen an der Barrikade stand. Einer um der andere fällt. Die letzte Handgranate! Wehrlos im ungleichen Kampf ziehen sich die Ver-teidiger zurück. Die Engländer drängen nach bis an den Unterstand, in dem Verwundete liegen. Mit Handgranaten und Rauchbomben suchen sie die Be-satzung herauszutreiben. Aber keiner ergibt sich. Sie wissen, daß ihre Kameraden sie nicht verlassen werden.
Die Lage ist ernst. Vergebens suchen einzelne Gruppen den Graben zu nehmen. Der Mangel an Handgranaten macht alle Versuche nutzlos. Die Engländer bringen ein Maschinengewehr in Stellung. Zwei Tapfere, Vizefeldwebel Benz und Gefreiter Frey suchen es mit Handgranaten zum Schweigen zu bringen. Umsonst! Sie werden verwundet. Leutnant d. Res. Engelhaaf, der Führer der 8. Komp., erkennt von hinten die Gefahr, eilt aus dem Nebenabschnitt über das freie Feld zu Hilfe und bringt den Angriff der Engländer zum Stehen. Als er die letzte Hand-granate geworfen hat, tötet ihn der Splitter einer englischen. Wieder drängen die Engländer weiter. Da bringt der Trägertrupp des Regiments neue Munition. Durch den Tod ihrer Führer gereizt, stürzen sich die Reste der 7., 8. und 12. Komp. in frischem Ansturm mit Spaten und Handgranaten auf den eingedrungenen Gegner. Wütendes Handgemenge, Explosionen, blutige Spaten, Schreie, Röcheln. Um 8 Uhr abends ist der ganze Graben, blutgetränkt, wieder deutsch. An der Barrikade steht wachsam der Handgranatentrupp und mitleidig breitet die Nacht ihre dunklen Schleier über die Leiden und Qualen des Tages. Von 175 Mann, mit denen die 12. Komp. in den Graben gerückt war, bleiben noch 46 übrig.“
In der Nacht zum 2. Oktober wurde die 4. Komp. in Feste Staufen eingesetzt und die 2. löste die Trümmer der 7. und 12. Komp. ab. Der Gegner hatte seine Kraft erschöpft und zog neue Stoßdivisionen heran. Der Kampflärm verebbte. Schwache Angriffsversuche am „Stumppweg“ und an der Barrikade im „Köhlergraben“ wurden mühelos abgewehrt. Mäßiges Streufeuer mit einzelnen Feuerwirbeln gestattete den Ausbau der zerschos-senen Stellung. Die Munitionsvorräte wurden ergänzt und die zahlreichen Toten in Granattrichtern beerdigt.“


aus: „Das Württembergische Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 119 im Weltkrieg 1914–1918“, Stuttgart 1920

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