„In der Nacht vom 8./9. Oktober wurde das II. Bataillon von Falvy in die
vordere Stellung vorgezogen. Erheblich gesteigerte feindliche
Artillerietätigkeit, häufig sich wiederholende Trommelfeuerüberfälle der
letzten Tage kennzeichneten den Ernst der Lage. An einem trüben, kalten,
regnerischen Sonntag gingen in aller Frühe die Kompagnieführer mit ihren
Einweisungskommandos in die vordere Stellung. Aus früherer Schanztätigkeit her
war sie ihnen nicht mehr ganz unbekannt. Ein Kompag-nieführer-Gefechtsstand beispielsweise
befand sich in dem Meldegraben bei den letzten Häusern von Génermont. Der
Stollen war geräumig und hatte zwei Ausgänge, deren einer aber ganz senkrecht,
nur als Luftschacht und eventuell als Notausgang dienen konnte, während der
andere als Ein- und Ausgang benutzbar war. Die Erddeckung betrug kaum 3 Meter
und der Raum diente gleichzeitig als Depot für mehrere tausend Handgranaten.
Die Kompagnieführer kehrten nochmals nach Falvy zurück, um in der
darauffolgenden Nacht ihre Kompagnien selbst vorzuführen. Der Führer der 6.
Kompagnie, Leutnant d. R. Köstlich, ließ beim Einmarsch seiner Kompagnie zur
Sicherung gegen größere Verluste durch das Streufeuer zugweise in Abständen von
etwa 30 Minuten vorgehen. Er selbst marschierte mit seinem Stab voraus. Das
Feuer schien in der Ablösungsnacht lebhafter als gewöhnlich, doch war der
Kompagniestab gut durch Licourt hindurch-gekommen, dann die bekannten Wege an
der Quaststellung und am Park von Misery vorbei, wo immer noch der Schimmel
hoch aufgedunsen an der Wegegabel lag. Weiter ging man dem Bahndamm zu; da
schlugen vorne auf der Höhe – rechts vom einzel-stehenden Haus – funkensprühend
Granaten ein. Einen Augenblick stutzte der Stab, doch zu langen Überlegungen
war keine Zeit, und er entschloß sich kurz möglichst rasch über die Höhe
hinwegzugehen. Ein eigenartiges Gefühl war es, als man gleich darauf die frisch
aufgeworfenen Granatlöcher überschritt. Kaum hatte man sie hinter sich, da
sauste wieder eine Lage dicht über die Köpfe hinweg, an der selben Stelle, wie vorher
einschlagend. Das Glück war bei uns, dachte wohl jeder vom Kompagniestab bei
sich. Wenn das nur für die nachfolgenden Züge auch so glücklich abläuft, war
die nächste Sorge des Führers. Nach Überschreiten der Riegelstellung gelangte
der Führer der 6. Kompagnie in den nach Génermont führenden Laufgraben und bald
darauf in den Meldeweg und den Kompagnieführerstollen. Der nun abgelöste
Kompagnieführer der 12. Kompagnie, Leutnant Bäuerle, machte aus seiner Freude,
zurück zu kommen, keinen Hehl, denn auch er sah die Lage sehr ernst an und
rechnete bald mit einem Angriff, was er aus der systematischen Beschießung der
Stellung seit einigen Tagen, besonders am linken Flügel und dem daran
angrenzenden Abschnitt, schloß. Lange Stunden des Wartens vergingen indessen,
bis endlich die Züge der 6. Kompagnie in der Stellung eintrafen und die
vollzogene Ablösung meldeten. Der letzte Zug traf allerdings erst am Morgen
ein. Er war nach dem Überschreiten des Bahndammes bei Marchélepot in
Granatfeuer gekommen und hatte schwere Verluste erlitten: 1 Mann fiel, 1
Unter-offizier (Rieker) und 9 Mann wurden verwundet. Für die Kompagnie galt es
nun, sich möglichst rasch im Kompagnieabschnitt einzuleben und alle Maßnahmen
für den weiteren Ausbau der Stellung und für einen bevorstehenden Angriff zu
treffen. An eine gleichmäßige Besetzung des Abschnittes war nicht zu denken bei
der großen Breite von mehr als 500 Meter. Ein Zug wurde in der Sappe und
vorgelagerten Schanzen, ein Zug in der Mitte, ein Zug auf den rechten Flügel
des Kompagnieabschnittes gelegt, große Grabenstücke blieben unbesetzt, doch man
durfte die Kampfkraft der Kompagnie nicht zersplittern. Der Tag brachte sonst
nicht viel Bemerkenswertes. Tagsüber schwoll das Artillerie- und Minenfeuer
wieder erheblich an, wobei besonders der Meldeweg in seinem linken Teil an
vielen Stellen verschüttet wurde.
Schon der frühe Morgen des 10. Oktober hatte bei der 6. Kompagnie einige
Opfer gekostet. Als der Kompagnieführer durch die Stellung ging, schlug in
seiner Nähe eine Granate ein und beim Passieren der nächsten Grabenecke kam er
hinzu, als die Musketiere Mollenkopf und Weizenegger und Krankenträger Goller
in ihren letzten Zügen lagen. Ein Volltreffer mit unbeschreiblicher Wirkung
hatte den Graben getroffen. Die Gefallenen waren in der Nacht vorne auf
Schleierposten gelegen und hatten nun
nach Rückkehr noch beim Einsteigen in den Grabenden Heldentod gefunden.“
aus:
„Das Württembergische Reserve-Inf.-Regiment Nr. 122 im Weltkrieg 1914–1918“,
Stuttgart 1922
mit noch nicht einmal 21 Jahren in den Tod gehen, welch ein Wahnsinn!
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