„Im allgemeinen beschränkte sich die Kampftätigkeit des Feindes in den
ersten Tagen auf geringes Artillerie- und mäßiges Minenfeuer, letzteres
besonders im Abschnitt „Rechts“, das Gewehr- und M. G.-Feuer war nur
unbedeutend. Das änderte sich vom 2. Oktober ab. Die Nacht vom 2. auf 3.
Oktober war stockdunkel. Am Abend herrschte Ruhe. Da setzt plötzlich 8.55 Uhr
abends ein rasendes M. G.- und Gewehrfeuer von etwa 15 Minuten Dauer auf der
ganzen Front ein. Danach wurde es ganz ruhig. Was sollte das? Erstaunt und
kopfschüttelnd sah man sich gegenseitig an. „Ein Feuerüberfall!“ Mit dieser
Antwort gab man sich zufrieden, denn solche Feuerüberfälle waren an sich nichts
Ungewöhnliches. Es wird wieder ganz ruhig und dunkel. Da! Um 9.45 Uhr derselbe Feuerüberfall! Wieder
nach 15 Minuten: Ruhe. Man fängt an, etwas kribbelig zu werden. Da! Um 11.30
Uhr abends dasselbe Bild! Man wird nicht klug daraus, wundert sich über dieses
neuartige, sinnlose Verschwenden von Munition und geht für die Nacht endgültig
zur Ruhe über. Verluste waren in den tiefen Gräben nicht eingetreten. Aber
aufregend war die Sache doch etwas, besonders da, abgesehen von dem normalen
Minen- und Artilleriefeuer, der Feind sich im allgemeinen ruhig verhielt.
Am nächsten Abend wiederholte sich das Bild genau zur selben Stunde und in
derselben weise. Wir waren nun schon darauf gefaßt und rechneten damit. Die
Grabenbesatzung war auf alle Möglichkeiten vorbereitet, jedermann war auf
seinem Posten. Die Artillerie, schwere und Feldartillerie, Die Minenwerfer,
Fernsprecher, Stäbe, Führer aller Grade und jeder einzelne Mann wartete
gespannt, was daraus werde.
Am 4. Oktober abends setzte heftiges Sturm- und Regenwetter ein. Das I.
Bataillon wurde im Abschnitt „Rechts“ durch das III. Bataillon abgelöst und kam
in Ruhe. Gerade in Ablösungsnächten litt die Truppe ganz besonders unter solch‘
heftigem Witterungs-umschlag.
Da! Wieder dieselben Feuerüberfälle, wie an den Vortagen, zur selben Zeit
und in derselben Art. Aber 248er lassen sich nicht aus der Fassung bringen. Der
Massenver-schwendung an Infanterie- und M. G.-Munition antworteten wir mit ein
paar hundert Schuß M. G.-Feuer. Wir halten unser Pulver trocken, bis das Rätsel
sich gelöst haben wird.
Das trat am nächsten Abend, am 5. Oktober, ein. Es war ein milder Herbstabend,
der leichte Westwind brachte ab und zu einen Regenschauer. Mit Spannung
erwarteten alle die Wiederholung der Feuerüberfälle.
Pünktlich 8.55 Uhr abends setzte das allabendliche heftige M. G.-Feuer ein
– 10 Minu-ten lang. Dann aber kam nicht die bisherige Ruhe, sondern ein heftiges
Minenfeuer. Das schien das Zeichen für etwas Besonderes. Eigenes
Artilleriefeuer wurde angefordert und sofort eröffnet. Unter das Schießen der
Minenwerfer mischten sich verdächtige Rauch-wolken, bald darauf wurde
„Gasangriff!“ gemeldet. Erst schien es unwahrscheinlich. Bald aber mehrten sich
die Anzeichen. Rote, grüne, rot-grüne Leuchtsignale, später auch blaue, dazu
die die ganze Gegend taghell erleuchtenden Leuchtkugeln im Verein mit den
platzenden Minen und Granaten boten ein schaurig-schönes nächtliches Schauspiel
und machten auf alle einen überwältigenden Eindruck.
Unsere Artillerie setzte mit Sperrfeuer ein.
Auf die ersten Anzeichen des Gasangriffs war das allgemeine Zeichen für
Gasalarm!“ gegeben worden, auf das hin jedermann seine bereitgehaltene Gasmaske
aufsetzen mußte. Das war oft geübt und instruiert worden. Jetzt galt es, das
Erlernte in die Tat umzusetzen. Dies gelang leider nicht allen so, wie die
riesengroße Gefahr es erforderte. Die Folgen blieben nicht aus.
Schon begann die Truppe vorn aufzuatmen und die Gasmasken abzunehmen; 9.45
Uhr wurde das Sperrfeuer der eigenen Artillerie eingestellt. Es wurde ruhig. Da
setzte nach wenigen Minuten, 9.50 Uhr, erneut heftiges Minenfeuer und M.
G.-Feuer ein. 9.55 Uhr wird eine neue, stärkere Gaswolke mit Rauchentwicklung
beobachtet. Die Masken sind schnell aufgesetzt, da die Gefahr sofort erkannt
wird. Wieder unterstützt unsere Artille-rie tatkräftigst und in hervorragender
Weise durch ihr Sperrfeuer.
Gegen 10.30 Uhr flaut das Feuer ab. Um 11 Uhr tritt völlige Ruhe ein. Die
Gasmasken wurden allmählich wieder abgelegt, aber für alle Fälle in
Bereitschaft gehalten.
Die Grabenzerstörungen im rechten Abschnitt des III. Bataillons waren
bedeutend.
Die Kompagnien begannen sofort, noch in der Nacht, mit Aufräumungs- und
Wieder-herstellungsarbeiten; insbesondere bei den verschütteten
Maschinengewehren.
Aber es blieb nicht ruhig. Um 11.30 Uhr neuer Feuerüberfall mit M. G.- und
Infanterie-gewehren! Auch Gas wird gemeldet. „Gasalarm“ wird beim III. Bataillon
angeordnet, bald auch beim II. Bataillon. Auch die feindlichen Minenwerfer
feuern lebhaft. Unsere Artillerie antwortet mit Sperrfeuer. Ein feindlicher
Infanterieangriff erfolgt nicht. Nach Mitternacht wird alles Feuer eingestellt.
Vereinzelte Schüsse unterbrechen die Stille der dunklen Nacht. Um 1.15 Uhr
erfolgt noch einmal ein feindlicher Feuerüberfall mit M. G.- und
Infanteriefeuer, der jedoch nur 5 Minuten dauert. Dann tritt absolute Ruhe ein.
Da lebt um 2.50 Uhr nochmals das feindliche Feuer auf, diesmal mit schweren
Minen und schwerer Artillerie! Unsere Artillerie antwortet mit ruhigem Feuer,
auch unsere Minenwerfer beteiligen sich am Abwehrfeuer.
Um 3 Uhr hört das feindliche Feuer nahezu ganz auf, setzt aber nach kurzer
Zeit auf einzelne Unterabschnitte mit verminderter Heftigkeit wieder ein.
Gegen ½4 Uhr morgens wurde vom Handgranatenwerfertrupp der 4. Kompagnie und
den Schützen des M. G. 5 eine starke feindliche Patrouille bemerkt. Trotz des
M. G.-Feuers kamen die Engländer bis auf 20 m an den Graben heran. Hier wurden
sie mit Handgranaten empfangen, soviel unsere Leute nur werfen konnten. Die
Abwehr der Patrouille gelang glänzend. 6 – 8 tote Engländer blieben vor den
M.-G.s liegen, die andern zogen sich ohne Erfolg zurück.
Erst allmählich hörte das Feuer ganz auf, nachdem unsere Artillerie noch
mit schweren und Feldgeschützen ein wirksames Vergeltungsschießen abgegeben
hatte. Der feindliche Gasangriff und die im Zusammenhang mit diesem
vorgeschickte feindliche Großpa-trouille war erfolgreich abgeschlagen.
Am nächsten Morgen – 6. Oktober – besichtigte ich die Stellung und sah mir
die Folgen an Ort und Stelle an. An den Stellen, wo das vom Feinde abgeblasene
Gas unsere vordere Linie erreicht hatte, war alles Gras zerstört, mehrere Ratten
und Mäuse lagen tot und mit zerstörtem Fell herum, die Gewehre waren mit einem
Rosthauch, die Patronen mit Grünspan überzogen, ja die Regts.-Nummern auf den
Achselstücken der Offiziere und die Sporen an ihren Stiefeln, alle Metallteile
waren von dem überaus starken Giftgas angegriffen.
In der nächsten Nacht gelang es einer besonders schneidigen eigenen
Patrouille, dem gefallenen, vor unserem Hindernis liegenden Führer der
englischen Patrouille, einem englischen Kapitän, seine Papiere abzunehmen.
Unter diesen befand sich auch der Befehl für das mehrtägige Unternehmen. Nun
war das Rätsel der letzten vier Tage ganz gelöst. Die Engländer hatten ihren
Zweck, sich eine deutsche Gas-Leiche zu verschaf-fen, um die Wirkung ihres Gases
festzustellen, zwar nicht erreicht, aber die Verluste durch den Gasangriff
waren sehr groß und schmerzlich. 3 Tote und 69 Gaskranke wurden festgestellt,
darunter etwa 20 schwere Fälle.
Die schweren Gasverluste – es starben im Lazarett noch 5 Leute – lasteten
wie ein Alp-druck auf Herz und Gemüt der Kameraden. Wir empfanden es daher als
eine Erlösung, als die Nachricht kam, daß wir in den nächsten Tagen abgelöst
und abbefördert werden sollten..“
aus:
„Das Württembergische Reserve-Inf.-Regiment Nr. 248 im Weltkrieg 1914–1918“,
Stuttgart 1924
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