Über
die Tätigkeit der Krankenträger in Nordfrankreich im Winter 1916/’17 berichtet
ein bayerischer Sanitäts-Unteroffizier:
„Fünf
Uhr ist unsere Stunde. Die Sanitätskompagnien sind zur Stelle. Der
französischen Artillerie muß in anständiger Zug nachgesagt werden: Einige
Morgenstunden der Ruhe gönnt sie sich und stets Angefaßt also, je vier Mann
eine Bahre und raus! Jeder Bahre schließen sich mehrere Leichtverwundete an.
Ich bin wieder Führer der ersten Patrou-ille.
Morgenluft!
Ganz im Osten ein Sonnenrändchen! Diese haushohen Löcher um das Fort herum sind
wohl Spuren unserer 42er? Rasch durch den Wald! Kann man noch Wald ein
„Stoppelfeld“ nennen, auf dem zersplitterte Baumstämme die Halme darstellen?
Kein einziger ganzer Baum, kein Grashalm! Granatloch neben Granatloch; man
möchte sagen, übereinander, als hätte der betrunkene Allherrscher Tod ein
Kanonenrohr ge-schultert, Veitstänze aufgeführt vor der roten Scheibe der
aufgehenden Sonne und mit jedem taumelnden Schritt die Mutter Erde verwundet.
Und
nun sah ich eine Saat des Todes: unzählige Blindgänger aller Kaliber, Haufen
ver-schossener und verlassener Munition, Pferdekadaver, zerschossene Geschütze
und Mu-nitionswagen nebst Gespann, Minen, Handgranaten, Gewehrpatronen,
Tragbahren, Flugapparate und immer wieder Blindgänger.
Ich
habe Ostpreußen gesehen, man hat die dortigen Verwüstungen beschrieben,
photo-graphiert, gefilmt. Man hebe sie ins Quadrat: und Ostpreußen bleibt noch
immer ein Paradies im Vergleich zum französischen Kampfgebiet!
Die
Verwundeten brachten wir an den Waldrand bis zur Feldbahn, wo sie notiert,
ge-stärkt und verladen wurden. Wir können ein Stück mitfahren. Ich klammere mich
wegen Platzmangels an die Bremse. „Herr Unteroffizier, setzen Sie sich ruhig
auf die Bahre zwischen die Beine des Verwundeten, er ist doch tot! Wahrhaftig.
Wahrhaftig, während des Transports auf den Schultern von vier Kameraden
gestorben.
Das
war der erste Tag, der zweite sah uns um 2 Uhr nachts auf den Beinen zum
Steil-hang eilen. Das Artilleriefeuer tobte schwächer als gestern und nur
zwischen den Bat-teriestellungen.
„Eben
erhielt unser abseits stehender Batteriechef einen Volltreffer,“ meldet ein
Muniti-onsschlepper, „es blieb nichts von ihm übrig….“ Einer verirrten
Gasgranate fällt auch der erste meines Transports zum Opfer. es ist der zweite
Verlust eigentlich, denn nach der Rückkehr erfahren wir, daß ein anderer
Kamerad, der monatelang meiner Korporal-schaft angehört hatte, den Strapazen der
ersten Nacht erlegen war. Fieber, Krämpfe, und ehe die Ärzte die Ursache feststellen
konnten – tot!
Ein
zerschossener Steinabhang ist unser Ziel. In jedem Loch sind schwerverwundete
der Nachtkämpfe geborgen. Ohne Zwischenfall können alle zur Feldbahn getragen
werden, auch die verwundeten Franzosen.
Eins
wirkt erhebend in all dem unbeschreiblichen Elend: die keine Land- und
Uniform-unterschiede kennende Menschlichkeit! Höchste Achtung vor dem Gegner,
die auch, wie leicht festzustellen ist, erwidert wird. Die gefangenen und
verwundeten Franzosen bewegen sich unter uns wie Kameraden, was sie nicht im
geringsten erstaunt, denn auf ihrer Seite sei es genau so. Uns Soldaten ist
eine anständige Behandlung des überwun-denen Feindes eine Selbstverständlichkeit,
denn wir wissen, daß tagtäglich auch von uns etliche gefangen und verwundet
werden.“
aus: „Schwäbisches Kriegstagbuch“, Stuttgart 1917
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