„In der Nacht vom 22./23. wurde verstärkter Patrouillengang
angeordnet, ferner wurde am rechten Flügel des Regiments eine starke Postierung
vorgeschoben mit dem Auftrag, sich dort einzugraben, um auch während des Tages
dort verbleiben und die Mulde m übersehen zu können. Am 23. 5.15 Uhr vormittags
stellten diese Sicherungsabteilungen feindliche Bewegung in der Mulde fest.
Schon vorher wurde die Luft sehr dick, wie unsere Leute sagten.
Wirkungsfeuer, Trom-melfeuer, ein Feuerwirbel, der auch den alten Sommekämpfern
neu war. Unsere Stel-lung war allmählich verschwunden, nur noch
unzusammenhängende Löcher bargen die braven Verteidiger. Nun glaubten die
Engländer leichtes Spiel zu haben.
Der Großkampftag des 23. April beginnt!
5.45 Uhr vormittags branden die ersten starken Infanteriewellen an
unsere Stellung heran, aber sie werden warm empfangen. Der Schnitter Tod legt
dicke Garben von Leichen vor unsere Linien. Was übrig bleibt, flutet in den
feindlichen Graben zurück. Jeder, der dazu mithilft, daß die schwache Linie
nicht reißt, der Ausschau hält im Feuer, der im rechten Augenblick den
Entschluß zum Schuß findet, der ruhig feuert, auch wenn das feindliche Bajonett
schon dicht an ihm ist, verdient sein eigenes Heldenlied. Aber „wer zählt die
Völker, nennt die Namen“?
Unserem linken Flügel gegenüber sieht es einige Augenblicke
bedenklich aus. Da ist es dem Engländer gelungen, 30 m vor unserer Linie 2
Maschinengewehre in Stellung zu bringen, die unsere Stellung flankieren
konnten, zudem versucht eine Sturmkolonne in einem alten, von Monchy auf
unseren linken Flügel zuführenden Graben vorzukommen, offenbar in der Absicht,
uns von links aufzurollen. Leutnant d. R. Pflüger erkennt die uns drohende
Gefahr, er säubert selbst den Graben mit Handgranaten und der Führer des
Flügelzugs, Unteroffizier Fauser aus Dagersheim, Oberamt Böblingen, läßt die
Maschi-nengewehre unter zusammengefaßtes Feuer nehmen und springt sie dann mit
ein paar Leuten an, ehe sie feuern können. Die beiden Gewehre und die
überlebende Bedienung sind in unserer Hand. Fauser kommt als Vizefeldwebel
zurück. Der Feind weicht. Die inzwischen vorgezogenen Kompagniereserven stoßen
ihm nach und bringen ihm schwere Verluste bei – mit den von ihm
zurückgelassenen 12 Lewis-Maschinengeweh-ren.
Eine vor der 4. Kompagnie sich lange haltende Besatzung eines
Granattrichters nimmt Leutnant d. R. Gnädig dadurch gefangen, daß er mit
gezückter – Leuchtpistole auf sie eindringt. Vor diesem furchtbaren Kaliber
erschreckend ergibt sich die Besatzung von 7 Mann.
Der Angriff war begleitet von zwei feuerspeienden Tanks. Diese
damals in ihren Bewe-gungen noch sehr schwerfälligen Ungetüme waren aber durch
Artilleriefeuer sehr bald außer Gefecht gesetzt. Der erste Anprall war restlos
abgewiesen.
Dabei hatten sich auch die Minenwerfer durch Abgabe von Sperrfeuer
vortrefflich bewährt, insbesondere deshalb, weil sie den richtigen Mann als
Beobachter in die vorderste Linie gesandt hatten. Kaum war er vorn, war die
Strippe abgeschossen, als es aber galt, gibt er ruhig seine Signalzeichen ab
und lenkt das Feuer an den rechten Platz. Und als die erste Gefahr vorüber ist,
flickt er im heftigen Artilleriefeuer ruhig seinen Draht nach hinten zu neuem
Empfang des Feindes. Es hat sich gelohnt. Der Tapfere ist Unteroffizier
Forschner aus Boll bei Göppingen.
Bei der Nachbardivision nördlich der Scarpe schien der Feind mehr
Erfolg gehabt zu haben, denn frühzeitig bekam das I. Bataillon
Maschinengewehrfeuer aus Roeux. Die im Hohlweg liegende 6. Kompagnie erhielt
daher den Auftrag, die rechte Flanke des Regiments zu schützen und etwaige
Gegenangriffe im Nachbarabschnitt zu unterstützen. Zu diesem Zweck wurde der 6.
Kompagnie ein Maschinengewehr von der beim K.-T.-K. befindlichen Reserve zur
Verfügung gestellt.
Um nach dem ersten Ansturm zu wissen, wo der Feind sich zum
zweiten sammelt – denn daß er kommt, war allen klar – schlich sich der
Musketier Hertneck aus Vaihingen a. d. F. mit einem Kameraden in einer alten
Sappe vor. Halt, da lauern ein paar braune Gesellen. Doch sie sind Tot. Also
weiter. Sie müssen kriechen, ein Maschinengewehr streut das Gelände ab.
Plötzlich bewegt sich einen Winkel ein Arm
mit der Pistole. Hertneck, schnell besonnen, faßt den Gegner am Hals,
ein kurzes Ringen und ein Oberstleutnant war gefangen. Ein eisernes Kreuz war
der Lohn.
Inzwischen arbeitet alles fieberhaft an der Verbesserung der
Stellung, verschüttete Maschinengewehre werden ausgegraben, Munition und
Handgranaten werden ergänzt.
Das wahnsinnige feindliche Artilleriefeuer setzt wieder ein. Wir
wissen Bescheid, die englische Artillerie schießt neuen Angreifern Mut zum
Vorgehen.
Von 8.15 bis 9.30 vormittags setzten sich mit großen Pausen
mehrere dichte Schützen-linien von den Hügeln von Monchy nach der Mulde m vorm
Regimentsabschnitt zu in Bewegung. Unsere Artillerie nimmt sie sofort unter
verheerendes Feuer, sie fluten zurück.
9.15 Uhr vormittags kommen auch Kolonnen entlang des Scarpe-Tals
auf uns zu. Doch auch diese veranlaßt unser artilleristischer Gruß und der
Geschoßhagel unserer Maschi-nengewehre zu schleunigster Umkehr.
10.30 Uhr vormittags läßt das feindliche Artilleriefeuer etwas
nach. Englische Kranken-trägerkolonnen sammeln Verwundete, englische
Sanitätsautos fahren weit vor.
Von 11.45 Uhr vormittags ab streuen die feindlichen Geschosse
wiederum unseren ganzen Abschnitt ab und 5.30 Uhr nachmittags beginnt der Feind
mit seiner gesamten Artillerie auf die vorderste Linie zu trommeln. Kein Schuß
geht mehr nach rückwärts. Wiederum wälzen sich englische Sturmwellen von den
Höhen herunter der Mulde m zu. Dank der sich vortrefflich bewährenden
Lichtsignalverbindung konnte Hauptmann Hug das jeweils für nötig gehaltene
Artilleriefeuer anfordern. Unsere treffliche Artillerie läßt uns vorn im Graben
nicht im Stich. Das Vertrauen der Infanterie zur Schwesterwaffe steigt, weil
die nach rückwärts gemeldeten infanteristischen Wünsche fast augen-blicklich
verwirklicht werden. Diese augenfällige Unterstützung stärkt den Helden im
Graben das Rückgrat, sie sind entschlossen, auch in dieser schweren Stunde
nichts von dem aufzugeben, was sie seit dem frühen Morgen so mannhaft
verteidigt haben.
Diesmal war es dem Gegner doch gelungen, von seinen gewaltigen
Menschenmassen eine Anzahl in die Mulde vor unserer Stellung hineinzuführen,
die sich da zum weiteren Vorstoß aufbaute.
Die Artillerieschlacht wütet unterdessen noch zwei Stunden weiter,
unsere Gräben scheinen dem Engländer noch nicht genügend zusammengetrommelt.
7 Uhr abends werden die 1. und 4. Kompagnie als beinahe ganz
verschüttet gemeldet. Die 5. Kompagnie mit einem Maschinengewehrzug wird
daraufhin nach vorn gezogen, um die entstandenen Lücken auszufüllen.
Endlich
7.30 Uhr abends hält der Gegner uns für vernichtet und steigt aus der Mulde.
Welle auf Welle kommt dicht hinter seinem Artilleriefeuer angelaufen. Hauptmann
Hug ruft durch Leuchtzeichen und Lichtspruch die Hilfe unserer Kanonen an. Sie
versagen auch diesmal nicht. Unsere Leute buddeln sich aus den verschütteten
Erdlöchern, suchen aus dem Schutt der Stellung die letzten Handgranaten
zusammen und empfangen den Gegner mit wohlgezielten Würfen, dazwischen rattern
die wenigen noch unver-sehrten Maschinengewehre und am Morgen erbeutete
Lewisgewehre. Fortes fortuna adjuvat! Auch dieser Angriff wird restlos
abgeschlagen.
Als
der Gegner weicht, folgt ihm unter anderen der Ersatzreservist Dalacker aus
Oberroth, Oberamt Gaildorf. Vor dem Drahtverhau findet er in einem Trichter
geduckt zwei Engländer. Er lädt sie unmißverständlich ein, in unseren Graben zu
kommen und setzt nach diesem Zwischenfall seinen Weg fort. Ihn interessiert die
Mulde und richtig, er sieht, wie sich dort die Reste des Gegners wieder
sammeln, die Bajonette blitzen herauf. Aber er wird entdeckt. Eine Kugel
zerschmettert sein Gewehr, Granatspritzer verletzen ihn im Gesicht. Doch er
weiß genug und kriecht zurück, nicht ohne unterwegs noch ein Lewisgewehr
aufzulesen. Auf seine Meldung hin wird die Mulde kräftig befunkt. Sein Eisernes
Kreuz hat er redlich verdient.
Noch
einmal versucht der zähe Gegner sein Glück. Diesmal kommt er, uns durch
Maschinengewehrfeuer niederhaltend, unter dem Schutze der Dunkelheit bis auf 5
m an unsere Stellung herangekrochen. Nicht einem einzigen Engländer gelingt es,
in unseren Graben einzudringen.
Der
Großkampf am 23. April war ein voller Sieg. Wohl hatte er auch uns empfindliche
Wunden beigebracht, aber das stolze Bewußtsein, dem Feinde trotz aller Kaliber
über-legen zu sein, hielt uns aufrecht.“
aus:
„Das Infanterie-Regiment „Kaiser Friedrich, König von Preußen“ (7. Württ.) Nr.
125 im Weltkrieg 1914–
1918“ׅ,
Stuttgart 1923
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