„Die Zeit in St. Quentin war besonders für diejenigen, die
Gelegenheit hatten, in die Stadt zu kommen, sehr interessant. Die
Siegfriedstellung umschloß die Stadt auf drei Seiten und lag dicht an der
Stadt. Die Stadt selbst war Anfang März von der Bevöl-kerung geräumt worden und
vollständig leer. Wenn auch alles brauchbare Material einschließlich Möbel
abtransportiert worden war, so befand sich doch noch vieles in den Häusern. So
war beim Marktplatz ein Warenhaus, das vom Keller bis zum vierten Stock mit
Glas- und Porzellanwaren angefüllt war; dort konnte man nach Herzenslust billig
„einkaufen“ und Küchen und Kasinos ergänzten ihre Einrichtungen daraus. In
einer Kutscherei befanden sich noch Wagen, die in den Bagageführern neue Herren
fanden. Findige Nasen entdeckten in den Häusern und Kellern versteckte
Gegenstände wie Kleider, Wäsche, Weißzeug, Lebensmittel und Wein. Eine
Maschinengewehrkompagnie des Regiments fand in einem Fabrikhof vergraben
mehrere Wagenladungen Autoreifen. Die Stadt lag Tag für Tag unter französischem
und englischem Feuer; täglich brannte es an mehreren Stellen, ein Häuserblock
nach dem andern fiel dem Krieg zum Opfer. Warum sollte man da nicht retten, was
noch zu retten war, ehe es unter Schutt begraben wurde oder verbrannte?
Während in der Stadt die Granaten einschlugen und Schrapnells über
den Häusern platzten, bewegte sich eines Tages ein feierlicher Hochzeitszug
durch die Straßen der Vorstadt Isle, Herren im Frack und Zylinder, die etwas
robust aussehende Damen in hellen Kleidern am Arm führten. Es waren Leute eines
der Bereitschaftsbataillone, die sich trotz Artilleriefeuers den Scherz
gestatteten. Wer bis in die Mitte der Stadt vorge-drungen ist, konnte die
berühmte Kathedrale besichtigen. Sie sah schon damals trostlos aus und hat
später noch mehr gelitten. Alle Kunstgegenstände waren sorgfältig verpackt in
Sicherheit gebracht worden, das Gebäude selbst bekam aber fast täglich einige
Granaten und zeigte starke Beschädigungen. Das Innere der Kirche lag voll mit
herun-tergestürzten Steinen und bot ein Bild der Zerstörung. Neben der Kirche
war früher das Denkmal des berühmten Malers La Tour. Die Bronzefigur war
beseitigt worden, aber auf dem weißen Marmorsockel stand ein großer ausgestopfter
Hund. Wer weiß, wer diesem Hund zu diesem Ehrenplatz verholfen hat!
Es wurde schon oben erwähnt, daß die Stellung des Regiments
teilweise hinter dem Hang lag. Es fehlte deshalb jede Erdbeobachtung. Um diesem
Überstande abzuhelfen, sollte die Stellung wieder zurückerobert werden. Um
einen Angriff zu vermeiden, versuchte das Regiment, die Stellung durch Ausheben
eines neuen Grabens weiter vor zu verlegen. In mühevoller Arbeit, die leider
auch einige Verluste kostete, gelang es in einigen Nächten, einen neuen Graben
zu ziehen. Die Stellung wurde dadurch günstiger, aber der Zweck war noch nicht
ganz erreicht. Es wurde deshalb eine Unternehmung großen Stils ausgearbeitet
und vorbereitet.“
aus:
„Das Württembergische Reserve-Inf.-Regiment Nr. 121 im Weltkrieg 1914–1918“
Stuttgart, 1922
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