„Am 19. Mai war es. Wir lösten damals alle 4 Tage ab,
Offiziere und Mannschaften, da man es länger bei dem dauernden eigenen und
feindlichen Feuer ohne Schlaf nicht aushielt. Der gerade in Ruhe befindliche
Batterieführer Leutnant Bosler wurde eben vom Regiment angerufen, er möge
selbst nach der Feuerstellung sehen, da sich dort ein Unglücksfall ereignet
habe. Ich ging gleich mit.
In der Feuerstellung fanden wir alles beschäftigt, den Unterstand
des 2. Geschützes, dessen Eingang ein Volltreffer zugedrückt hatte,
freizulegen. Wir erfuhren, daß gegen Mittag schwere feindliche Artillerie mit
Fesselballonbeobachtung sich gegen die Batterie eingeschossen habe und sofort
Wirkungsfeuer folgen ließ, das die ganze Batterie zudeckte. Diesen Zauber
hatten wir hier schon öfters erlebt.
Da die Stellung erst wenig ausgebaut war, – sie hatte nur
Laufgräben hinter den Geschützen und Stolleneingänge von etwa 16 Stufen –
hatten wir uns bisher vor empfindlichen Verlusten dadurch geschützt, daß wir,
solange kein Feuerbefehl vorlag, auf ein Pfeifensignal hin rechts oder links
auswichen.
Ob nun das 2. Geschütz dieses Signal nicht gehört oder es
vorgezogen hatte, die sicher scheinende Stollentreppe nicht zu verlassen,
jedenfalls fehlten die Kanoniere Weber, Flaig, Fahrer Schellenberg, sowie
Waffenmeister Dangelmayer und sein Gehilfe Bauer, die gerade in der Stellung zu
tun gehabt hatten.
Während die Geschützbedienung von der Seite aus zusah, wie ein
Schuß nach dem andern – auf 28 Zentimeter-Kaliber geschätzt – in die Stellung
kam, tauchten aus derselben die Kanoniere Weber und Flaig auf. Mit Kreidestaub
überzogen, blutig geschunden, sahen sie eher wandelnden Leichen gleich. Sie
gaben an, daß sie im Stolleneingang des 2. Geschützes verschüttet gewesen
seien; sie hatten sich mit den Händen einen Durchgang nach oben gegraben und
dabei immer wieder leises Stöhnen aus der Tiefe gehört.
Da zur selben Zeit auch das feindliche Geschützfeuer nachließ, so
wurde sofort mit vereinten Kräften die Ausgrabung des zugeschütteten Stollens
in Angriff genommen.
Nach anderthalb Stunden mühsamer Arbeit, die, als man tiefer
gelangte, nur noch von wenigen sich gegenseitig Ablösenden mit der größten
Vorsicht verrichtet werden konnte, war es endlich gelungen, ein kleines Loch,
gerade groß genug, um einen Mann hindurch zu lassen, in den unteren Stollenraum
hinein durchzubrechen. Vorher war immer wieder leises Stöhnen aus der Tiefe zu
vernehmen, nun war es möglich, mit dem Fahrer Spellenberg sich in Verbindung zu
setzen, allerdings ohne den Eingeklemmten sofort zutage fördern zu können.
Unteroffizier Heuß ließ sich, an den Füßen angeseilt, in das durchgeschlagene
Loch hinunterhängen und brachte auf diesem Wege dem von Durst gequälten
Spellenberg die ersehnte Feldflasche. Spellenberg erzählte dem Heuß, daß er
unter sich noch lange Stöhnen vernommen habe, doch jetzt sei es seit etwa einer
halben Stunde ganz ruhig geworden.
Mit fieberhafter Eile wurde nun weitergegraben, besonders auch
deshalb, weil ein neuer Feind in Gestalt von immer mehr sich zusammenballenden
Gewitterwolken sich zeigte. Schon fielen auch die ersten Tropfen, und es war
noch immer nicht gelungen, den frisch ausgeworfenen Schacht so zu verbreitern,
daß wenigstens dem noch lebenden Spellenberg aus seiner Lage hätte geholfen
werden können. Der Regen wurde immer stärker und ergoß sich schließlich
wolkenbruchartig, die frisch ausgeworfene Erde ins Wandern bringend: Das Werk zweier
mühsamer Stunden wurde in wenigen Minuten vernichtet, die zwei im Schacht angeseilt
Arbeitenden mußten sofort heraufgezogen werden, um nicht unter den
zusammenbrechenden Erdmassen ebenfalls verschüttet zu werden. So plötzlich das
Gewitter gekommen war, so rasch hatte es sich auch wieder verzogen, doch die
drei verschütteten Kameraden konnten am selben Abend nur noch als Leichen
geborgen werden.“
aus: „Das
Württembergische Reserve-Feldartillerie-Regiment Nr. 54 im Weltkrieg 1914-1918“,
Stuttgart 1929
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