„Am 2. Mai, einem sonnigen, warmen Frühlingstage, lagen I.
Bataillon in der Kampf-, III. Bataillon in der Bereitschaftsstellung, in die
sie in der Nacht zuvor eingerückt waren, und erfreuten sich einer auffallenden
Ruhe im Abschnitt, die sich sowohl auf den Kampf zur Erde, wie in der Luft
erstreckte. Ers war die Ruhe vor dem Sturm, der am 3. Mai 5.30 Uhr früh mit
einem gewaltigen Feuerüberfall rechts vom Divisionsabschnitt einsetzte und nach
wenigen Minuten mit einer aus allen Kalibern zusammengefaßten Stärke auf den
eigenen übersprang. Die tagelang erwartete Schlacht war entbrannt und bis weit
nach rechts hinüber, in die Gegend von Lens, erhellten die weißen Leucht-kugeln
das nächtliche Dunkel, das gerade der Dämmerung zu weichen begann. Auch in unserem
Abschnitt stiegen – etwas später, als im Abschnitt c der 124er – dauernd rote
Leuchtkugeln hoch, die das eigene Sperrfeuer auslösten und schnell zu großer
Heftigkeit steigerten. Nur wenige Minuten dauerte die Artillerievorbereitung
des Gegners auf unsere vorderen Gräben, dann ging seine Infanterie zum Angriff
vor, bahnte sich durch das Drahtgewirr einen Weg und erschien, teilweise in
dichten Linien, vor der vordersten Stellung. Hier stand das I. Bataillon, von
rechts nach links in der Reihenfolg seiner Kompagnien, erst seit 24 Stunden in
Stellung, frisch und ausgeruht und bereitete den Engländern einen heißen
Empfang. Ein erster Ansturm brach unter schwersten Verlusten im Handgranaten-
und Maschinengewehrfeuer zusammen, der aber mit zahlreichen neuen Wellen immer
wieder versucht wurde und zu den erbittertsten Nahkämpfen auf den Flügeln
führte, wobei auch das Bajonett und Messer eine Rolle spielten.
Während das Zentrum des Abschnitts dauernd fest in der Hand des Regiments
war, wogte der Kampf zur Rechten wie zur Linken hin und her. Vor Bullecourt
tauchten mehrere Tanks auf, die dank der Artilleriewirkung und des Feuers
unserer Maschinen-gewehre außer Gefecht gesetzt oder zur Umkehr gezwungen
wurden. Vizefeldwebel Rahn, einer der Maschinengewehrzugführer, holte persönlich
aus einem zerschossenen Tank dessen Führer mitsamt seinem Brieftaubenkörbchen
heraus und brachte ihn trotz eigener Verwundung als Gefangenen zum
Regimentsgefechtsstand zurück. So hatten die Engländer wiederum vergeblich auf
die Tanks ihre Hoffnung gesetzt und des erwarteten Schutzes entblößt stieß ihre
Infanterie am Rande von Bullecourt auf eine unzermürbte Truppe, die bis zum
letzten Mann bereit war, diesen entscheidenden Stützpunkt zu halten. Es war die
von der 1. M.-G.-Kompagnie wirksam unterstützte 1. Infanterie-Kompagnie unter
Führung von Leutnant d. R. Schmieg, die, noch immer verfügend über einen
ausgezeichneten Stamm alter Unteroffiziere und Grenadiere, hier in tagelangen
Kämpfen keinen Fußbreit Boden preisgab. Ja im rechten Nachbarabschnitt, wo der
Gegner im Lauf seiner Angriffe eingedrungen war, holte sie sogar im Verein mit
Teilen der 10. und 11. Kompagnie verlorenes Gelände im Gegenstoß zurück, so daß
um 12 Uhr mittags der Südrand von Bullecourt völlig frei vom Gegner war. Eine
eigentliche Leitung des Gefechtes gab es nicht mehr, es waren Kämpfe von Mann
zu Mann, von Gruppe zu Gruppe, die sich hier um Dorfreste, Stolleneingänge und
Granattrichter abspielten. Sie zählten zu den schwersten Infanteriekämpfen, die
das Regiment je auszufechten hatte, und schwere Blutopfer mußten in jenen
Maitagen auf der Höhe von Bullecourt dargebracht werden.
Auf dem linken Flügel waren die Kämpfe nicht minder hart und die
Lage war dort kritischer, da der im halben Regimentsabschnitt von 124 bis zur
1. Linie eingedrungene Gegner den linken Kompagnieabschnitt des
Grenadierregiments b 4 von Flanke und Rücken angriff und mehr und mehr
eindrückte. Trotz verzweifelten Widerstands der hier verteidigenden 4.
Kompagnie war ihr Abschnitt gegen 9 Uhr vormittags teilweise verloren und nur
mit Aufbietung der letzten Kraft konnte sie sich dem Ausbreiten des Gegners
entgegenstemmen. Die 4. Kompagnie litt hier unsagbar und ging ihrer völligen
Aufreibung entgegen; 24 Tote, 9 Vermißte und 52 Verwundete, unter diesen den
Kompagnieführer Leutnant d. L. Hencke, verlor sie schon an diesem ersten
Kampftag. Beim Scheiden aus der Stellung hatte sie allein 98 Mann verloren, was
einem Satz von 90 % bei einer Grabenstärke von 110 Köpfen entspricht. Auch in
der Mitte des Abschnitts lag dauernd verheerendes Feuer, das u. a. dem Führer
der 2. Kompagnie, Leutnant d. R. Walker, ein Bein zerschmetterte. Bei solch
hohen Verlusten reichte die Kraft des Kampfbataillons, das damals unter
Oberleutnant a. D. Aich stand, bald nicht mehr aus und Unterstützungen mußten
herangezogen werden. Als erste Maßregel hatte das Regiment, das über diese Tage
für den abkommandierten Kommandeur Oberstleut-nant Kündiger (Ul. R. 19) führte
und seit 2. abends seinen neuen Gefechtsstand bezogen hatte, schon 5 Uhr früh
das Reservebataillon (II.) aus Villers herangezogen, wo es mit der Anlage einer
Ortsbefestigung beschäftigt war. 5. und 6. Kompagnie trafen als erste auf dem
Gefechtsfeld ein und wurden in den Gräben beim Gefechtsstand bereitgelegt,
welche durch die nach vorn abgerückten Kompagnien des Bereitschaftsbataillons
(9. und 10.) frei geworden waren. Letztere waren nach der
Artillerieschutzstellung vorge-zogen worden, aus der heraus die dort
untergebrachte 11. Kompagnie schon um 6.30 Uhr früh, von Leutnant d. R. Walter
musterhaft durchs Sperrfeuer vorgeführt, die vorde-re Linie verstärkt hatte. Mit
zwei Zügen lag sie in b 1, mit einem in b 3. Ihr folgte um 10 Uhr die 10.
Kompagnie, die gleichfalls da, wo es nottat, das Kampfbataillon unterstütz-te.
An ihrer Stelle bezog die 5. Kompagnie die Artillerieschutzstellung, welche
durch die Arbeit des Regiments in den letzten 14 Tagen einen guten Ausbau
erfahren hatte und jetzt für Reserven und Nachschub von größtem Nutzen wurde.
Auch ein Sturmtrupp der Divisionsabteilung traf ein, der gemeinsam
mit der Kampf-truppe bemüht war, von b 4 aus nach links aufzurollen. Aber
Anfangserfolge, die sie hatten, konnten wegen schwerer Verluste und mangelnden
Handgranatennachschubs nicht gehalten werden. Ebenso scheiterte ein gegen 12
Uhr mittags mit Teilen der 10. Kompagnie nochmals durchgeführter ähnlicher
Versuch. Der Gegner, der überraschend schnell Maschinengewehre, Minenwerfer und
Gewehrgranaten vorgebracht hatte, hielt sich nicht nur erfolgreich in der
etwa 1 km breiten Einbruchsstelle, sondern drückte seinerseits mit immer
schärferer Wucht auf ihre Flanken und brachte allmählich die ganze linke Hälfte
des Abschnitts b 4 in seine Hände. Auch nach der Tiefe hatte er nochmals Boden
gewonnen, stand im Hohlweg nördlich der zweiten Linie von b 4 und c 1 und strebte
mit allen Mitteln darnach, die Wegespinne südwestlich Riencourt zu erreichen, von
der aus in genau südlicher Richtung der „Cannstatter Graben“ führte. Hier
warfen sich ihm zwei Züge der 12. Kompagnie entgegen, die um 2 Uhr mittags aus
den Katakomben von Riencourt heraneilten, und es gelang ihnen, den Gegner aus
dem Cannstatter Graben wieder hinauszuwerfen. Unmittelbar südlich der Wegespinne
aber behauptete er sich und 2 Maschinengewehre, die er dort in Stellung
gebracht hatte, waren dauernd sehr lästig. Sie konnten sowohl von links
rückwärts in unsere linke Flanke feuern, als auch das Hintergelände und die
Anmarschwege bis zur Straße Hendecourt / Riencourt hinauf unter direkten Schuß
nehmen, was den an sich schon nicht leichten Trägerdienst bei dem großen Bedarf
an Handgranaten und Munition keineswegs erleichterte.
Am Abend des 3. Mais war die Lage demnach so, daß Bullecourt
restlos gehalten war, aber der bis zu 300 m tiefe Einbruch auf dem linken Flügel
des Grenadierregiments und beim I. R. 124 nicht ausgeglichen werden konnte. Der
Gegner saß fest in der Flanke des Regiments und mit bangen Gefühlen sah man dem
Fortgang der Kämpfe entgegen, da schon am ersten Kampftag die Hälfte des
Regiments beim Kampfbataillon eingesetzt war und die eigenen Kräfte schnell zu
schwinden begannen. Als letzte Reserve dieses Tages war abends 8 Uhr noch die
5. Kompagnie dem bedrohten linken Flügel zu Hilfe gesandt worden, wodurch sich
für den 4. Mai folgende Kräfteverteilung ergab: Kampfzone 1., 2., 3., 4., 10.,
11., 5., Teile 9., sowie zwei Züge 12. Kompagnie (letztere vorübergehend beim
I. R. 124 eingesetzt); Artillerieschutzstellung ein Zug 12., 8., Teile 9.,
Katakomben in Riencourt 6., Wotanstellung 7. Kompagnie.“
aus: „Die
Ulmer Grenadiere an der Westfront“, Stuttgart 1920
– Datum der Skizze leider falsch angegeben –
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