„Das
Unternehmen „München“ ist auf den 27. Juni festgesetzt. Das Landw.-Inf.-Regt.
119 setzt vier Stoßtruppen an. Zwei davon sollen zwischen Molkenrainweg und dem
nördlich davon liegenden französischen Infanteriewerk bis in die feindliche 3.
Linie vorstoßen. Der dritten Abteilung ist das französische Vorwerk am
Luderbachgrund als Ziel gesetzt und die vierte soll im Steinbachtal gegen die
dortigen Postenstände vorbrechen. In der Woche zuvor werden überall vom
bayrischen Minenwerferbataillon 9 die neu zu erprobenden Albrechtswerfer
eingebettet. Man staunt über die gewaltigen Flügelminen, die den Franzosen auf
die Unterstände fallen sollen. Aber als das Schießen am 27. abends 8.15 Uhr
anhebt, fallen die meisten neuen Werfer aus, die Konstruktion der Flügel versagt
und so wird ihr Schießen ungenau. Das Zerstörungsfeuer der Artillerie und der
Minenwerfer des Regiments funktioniert dafür umso besser. Wohl fahren die
Franzosen mit ihrer Artillerie darein und beschädigen einzelne Minenwerfer,
glücklicherweise sind keine Menschenleben dabei zu beklagen. Es ist ein
gewaltiger Anblick, von der Höhe des Hartmannsweilerkopfes bis auf die Höhe 425
die ganze feindliche Linie in schmutziggelben Rauch gehüllt zu sehen, den die
aufspritzenden Erdspringbrunnen mit dem Rauch der platzenden Granaten
verursachen. Es ist ein tolles Sonnwendfeuer, das da an dem Abend eines sinkenden
schönen Junitages anhebt. Von 9.45 Uhr an riegeln die Geschütze die
Einbruchstellen ab und punkt 10 Uhr abends treten die Patrouillen aus ihren
Unterschlüpfen in der 1. Linie zum Sturm an. Die beiden linken Stoßtruppen
müssen im letzten Augenblick zurückgehalten werden, da es den an diesen Stellen
eingesetzten Albrechtswerfern nicht gelungen war, den Stürmenden eine Bresche
ins feindliche Drahtverhau und die feindliche Stellung zu schlagen. 7.30 Uhr
kommt der Befehl der Division, die die Vorstöße hier abstoppt. Die Last und die
Ehre des Tages liegt so auf dem I. Bataillon allein, das seine Sturmtruppen aus
Freiwilligen des I. und II. Bataillons, des Sturmbataillons und aus Pionieren,
zu denen sich zwei Kanoniere gesellen, gebildet und in Ollweiler für die
Aufgabe herangeschult hatte. Zuerst stürzen die seitlichen
Sicherungsabteilungen vor bis zur 2. feindlichen Linie. Der linken Abteilung
unter Vizefeldwebel Daniel gelingt es, im ersten Ansturm einen Sappenposten von
drei Mann aus einem Stollen zu ziehen. Der Ersatzreservist Brutschy von der 1.
Kompagnie zeichnet sich dabei besonders durch sein kühnes entschlossenes
Vorgehen aus. Den Sicherungen auf dem Fuß folgen die Haupttrupps. Auf dem
rechten Flügel führt Leutnant Rebholz seine 28 Mann in kühnem Anlauf über die
1. Linie vor. Da schlägt ihnen schweres französisches Artilleriefeuer entgegen.
Es gelingt, das Sperrfeuer zu durchlaufen und im Nu sind sie im 2. Graben.
Nirgends ein Franzose. So geht’s auf die 3. Linie, die Unterstände dort werden
durchsucht, sie sind alle leer. Nun stößt die Patrouille über ihr gesetztes
Ziel weiter hinaus in die 4. Linie. Dort müssen die Franzosen hocken. In einem
Stichgraben steht ein Maschinengewehr Hotchkiss. In schneidigem Draufgehen wird
es genommen, Unteroffizier Maier von der 1. Maschinen-gewehr-Kompagnie montiert
es schleunigst ab, zwei Mann bekommen den Auftrag, es zurückzubringen. Sie
kommen nicht zurück und sind wohl dem feindlichen Sperrfeuer erlegen. Leutnant
Rebholz sucht nun weiter in der 4. Linie, nichts zu sehen! Da will er eben das
Zeichen zur Umkehr geben, als ein schweres Geschoß in unmittelbarer Nähe
einschlägt, 8 Mann sinken tot um. Unteroffizier Maier ist nur leicht verwundet,
zwei andere können sich noch erheben. Mit ihnen tritt er den Rückweg an. In der
3. Linie treten ihnen plötzlich 6 Franzosen entgegen. Maier stürzt, seiner
Verwundung ungeach-tet, auf sie los und fordert sie auf, sich zu ergeben. Der
vorderste will sich zur Wehr setzen, da schießt er ihn nieder, die andern
ziehen sich eiligst in einen langen Stollen zurück. Handgranaten fliegen ihnen
nach. Aber auf einen Kampf kann der tapfere Unteroffizier es mit seinen zwei
Verwundeten nicht ankommen lassen, er muß sie schleunigst zurückbringen.
Leutnant
Hofmann führt die zweite Patrouille, die aus weiteren 2 Offizieren und 25 Mann
besteht. Auch ihr schlägt beim Überspringen des 2. feindlichen Grabens das
feindliche Sperrfeuer entgegen. Eine Granate reißt den kühnen Führer sterbend
zu Boden. „Vorwärts, vorwärts,“ ruft er noch den stutzenden Leuten zu, da
haucht er seine Seele aus. Leutnant Ludwig und Leutnant Steinbach übernehmen
sofort die Führung und reißen die Leute, die der plötzliche Tod des verehrten Führers
in tiefster Seele getroffen, mit sich fort. Die harte Aufgabe ruft, da müssen
die Gefühle und Schmerzen verstummen. Es geht über die 2. Linie hinweg, in die
3. hinein. Da muß ein Unterstand sein! Da taucht er auf, neben ihm ein Stollen.
Der Ausgang ist besetzt. Leutnant Ludwig fordert die Franzosen mit Handgranaten
in der Hand auf, sich zu ergeben. Als sie zaudern, macht er sich zum Wurf
bereit; das zieht und 1 Unteroffizier und 12 Mann des Territorialregiments 57
ergeben sich widerstandslos. Ein fusil mitrailleur wandert noch mit. Die
Pioniere werfen die geballten Ladungen in den Stollen und sprengen ihn in die
Luft. Nun kommt die Rückkehr. Es gelingt, mit sämtlichen Gefangenen heil in die
eigene Stellung zurück zu kommen. Inzwischen ist’s 11 Uhr geworden. Noch immer
brennt auf Punkt 371 das grüne Leuchtfeuer, das in der einbrechenden Dunkelheit
den Weg in den eigenen Graben weisen soll. Man zählt und zählt, ob alles wieder
zurück ist, damit das verabredete Schlußzeichen abgegeben werden kann. Aber noch
fehlen die Leute, die mit Leutnant Rebholz ausgezogen. Wo stecken sie? Da hört
man von weit hinten aus den französischen Linien das Hilferufen eines Menschen.
Leutnant Steinbach und Unteroffizier Brucker stürzen mit dem Stoßtrupp über die
französische 1. Linie, auf der immer noch das französische Sperrfeuer liegt,
wieder hinüber. Kaum dem Höllen-rachen entgangen, gibt’s für die tapferen
todesmutigen Helden kein Besinnen, wenn Kameraden in Not sind. Ihre Mühe lohnt
sich reichlich. Es gelingt ihnen, im Gewirr der Drähte, Löcher und Trichter
zwei Verwundete zu finden und sie herüber zu bringen. Viermal stoßen sie vor in
die feindlichen Linien. Sie finden keinen der Eigenen mehr. Da kehren sie in
ihre Unterstände zurück und ruhen aus von der gewaltigen Anstrengung der Seele
und des Körpers.“
aus:
„Das Württembergische Landwehr-Inf.-Regiment Nr. 119 im Weltkrieg 1914–1918“,
Stuttgart 1923
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen