„12.
August 1917. „Artilleriekampf!“ – für die Daheimgebliebenen ein Wort, das in
den Heeresberichten der Obersten Heeresleitung ohne viel Aufhebens gelesen
wurde, für den Mann an der Front aber ein Erleben von ungeheurer Tragweite
bedeutete. Schon Ende Juni steigerte sich der Artilleriekampf, ein Unternehmen
jagte das andere, Tage und Nächte waren ausgefüllt mit Arbeit, die den vollen
Einsatz der Kraft jedes Einzelnen verlangte. Bedrückend ist das Gefühl der
zahlenmäßigen Unterlegenheit, dazu noch die Beschränkung im Munitionsverbrauch.
Unter solchen Umständen dem Feinde doch die Stirne zu bieten und seine
Artillerie auch etwas „einzuseifen“, das gibt Mut und gesteigerte
Arbeitsfreudigkeit. Schade, daß die Verpflegungsration diese Steigerung nicht
mitmachen konnte. Sie war und blieb mager – wie wir. Eine Ausnahme machte nur
noch der Sonntag, der Braten und Salat brachte – manchmal auch etwas weniger!
So war auch der 12. August wieder mal ein Sonntag. Es schien, als hätte man
jenseits Avocourt auch das Bedürfnis nach Ruhe, und freute sich des herrlichen
Sommertages und noch mehr, daß die Geschütze hüben und drüben ruhig waren. Man
wusch sich mal wieder ordentlich; der Batteriebarbier Röckle, den „Dolch“ in
der Zigarrenkiste, spuckte ordentlich auf seine Kalodermaseife und machte ein
gutes Geschäft. Er hat uns oft mit „zarter Hand“ unterm Messer gehabt. So auch
an diesem Sonntag. Man war guter Laune und die Stellung war „sauber wie am
Sonntag“. Es war 4.30 Uhr nachmittags, als sich erst mehrere Flieger von drüben
zeigten. „F-l-i-e-g-e-r-d-e-c-k-u-n-g!“ rief der Posten, und schon heulten die
ersten „vier“ vom Hermont herüber. „Die sind nicht aus Pappe!“ meinte unser
„Schnuckle“. Kurz darauf die nächsten vier, welche aber ins Beausognetal
rutschten. Aber dann kam jede Lage näher; die Flieger hatten sich erheblich
verstärkt und hielten sich die wenigen deutschen Flugzeuge vom Leibe. Was nun
folgte, war ein wohlgeleitetes Feuer schwerster Kaliber von etwa 5 bis 6
Batterien aus Richtung Hermont und Cigalerie. Ich hatte Dienst am Telephon im
Offizierunterstand. Die Leitung nach dem linken und rechten Zug war 10 Minuten
nach Feuerbeginn noch intakt. Freund Theo Golz meldete sich: „Alles da, ich
rufe dir von Zeit zu Zeit wieder an.“ Nach 5 Minuten mache ich Leitungsprobe.
Linker Zug meldet sich, rechter Zug nicht. das Feuer, das auf der Stellung lag,
hat sich inzwischen gesteigert, die Unterstände erbeben, Wasser dringt ein und
steht bald 20 cm hoch im Verbindungsstollen zwischen Offizierstand und dem
Stollen des linken Zugs. Zwei Stunden schon hämmern schwere Granaten herein.
Gott sei Dank, bis jetzt halten unsere Stollen. Die Arbeit, der Schweiß,
welcher tief unter der Erde auf den Felsengrund des Cheppy rann, war nicht
umsonst gewesen. Habt heute noch Dank, ihr braven Kanoniere, Albinger, Bayha,
Alber, Weiß, Widmann, Benz, Heilig usw.
Es
war kurz nach 7 Uhr abends. Die Einschläge hörten auf. Es waren wohl die Rohre
heiß und eine Pause konnte uns und denen drüben nichts schaden. Rasch heraus
und Umschau gehalten. Wer kennt nicht den Geruch frischer Granateinschläge?
Rasch herüber nach dem rechten Zug! Aber wo war denn dieser? Nichts mehr
erinnerte an sein Aussehen vor etwa zwei Stunden. Ein Trichterfeld. Doch was
hören wir da? Ver-zweifelte Hilferufe mit schwacher Stimme. Wir kommen näher und
finden Kanonier Teuffel im Luftschacht des rechten Unterstandes eingeklemmt.
Bald ist er befreit, und nun weiter im Luftschacht, die Kameraden retten.
Zuerst stoßen wir auf Kanonier Plappert. Schwer verwundet bringen wir ihn nach
oben. Hans Bok, welcher nach heldenhafter Gegenwehr am Ende des Krieges noch
fiel, gab dem Verwundeten Trost im Gebet. Kurz darauf wurde er von den
Schmerzen erlöst. Was wir nun weiter sahen im Unterstand, darüber zu schreiben
versagt der schreibenden Hand die Kraft. Wir haben 11 tote Kameraden, den
ganzen rechten Zug, geborgen. Ihre Namen sind: Unteroff. Theo Golz, Hörter
(Waffenmeister), Christian Müller, Gefr. Widmann, Geißlinger, Benz (Sanitäter),
Kann. Alber, Burkhardt, Weiß (R.), Peter, Wetzel. Das waren mit unsere Besten.
Wenn der rechte Zug schoß, das war geschossen. Und die braven Leute wußten dies
und hatten berechtigten Stolz darauf! und jetzt? Bleich und leblos, und doch
sahen uns einige noch lächelnd an, als lebten sie. Unteroff. Golz, der mir
wieder anrufen wollte, hatte den Fernsprecher noch ans Ohr gelegt. Der Tod hat
ihm verboten, anzu-rufen. Unfaßlich schien uns der Verlust, doch die beendete
Feuerpause rief uns zurück in die rauhe Wirklichkeit. Und nun folgte eine Nacht
des Grauens. Wehrlos im Stollen sitzen, ein unheimliches Feuer auf der Stellung
liegen, das drückt auf die Stimmung. Die Nachricht von dem großen Verlust
konnten wir durch Läufer weitergeben, und spät abends kam noch unser
Batterieführer, Herr Oberleutnant Dill, in die Stellung. Ein gütiges Geschick
hatte ihn unversehrt durch den Feuer- und Eisenhagel wider in unsere Mitte
geführt. Unsere Stollen hielten noch immer stand, und so graute der Morgen. 14
Stunden lag nun schon das Feuer, als man scheinbar drüben auch müde war. Die
feindlichen Flieger besahen sich des Morgens in aller Ruhe das Werk der
Zerstörung, und sie konnten zufrieden sein, denn nichts mehr war übrig
geblieben – außer dem linken Zug. Und seine beiden Geschütze waren unversehrt!
Nachdem wir an Stelle der zwei zerstörten Geschütze Ersatz erhalten hatten,
stellten wir die neuen Geschütze auf den linken Flügel der Batterie. Der linke
Zug hat also das Erbe des vernichteten rechten Zuges angetreten. Noch 18 Tage
haben wir dort unsere Pflicht in schwerstem Artilleriekampf getan, bis uns der
31. August endlich Ablösung brachte. Unsere Toten vom 12. August aber haben wir
auf dem großen Friedhof in Romagne sous Montfaucon bestattet “
aus: „Das Württembergische Landw.-Feld-Art.-Regiment
Nr. 2 im Weltkrieg 1914-1918“, Stuttgart 1927
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