Mittwoch, 23. August 2017

23. August 1917


„Am 21. ging der Marsch zur 206. Inf.-Division, hinter der wir bereitgestellt werden sollten, weiter. Der Regimentsstab kam nach Andevanne. Auf allen Straßen in Richtung Buzancy sah man die Kolonnen der Division marschieren, ein strahlend schöner Tag war es, eine herrliche Gegend, und überall ertönten Marschlieder. Der ganze Krieg hatte sofort ein ganz anderes Gesicht, wenn einmal marschiert werden konnte. Eine ganz andere Stimmung kam dann auf, als in dem ewigen Stellungskrieg, der einem nach-gerade zum Halse heraushing. Aber gleich auf dem Marsche ereigneten sich einige merkwürdige Unfälle. Ein Unteroffizier des Regimentsstabes stürzte mit dem Pferd und wird schwer verletzt. Offizierstellvertreter Huber, Verpflegungsoffizier der I. Abteilung, ein außerordentlich tüchtiger und aufrechter Mann, früher im Frieden mein Wacht-meister bei der 6./13, stirbt infolge eines Sturzes vom Wagen, dessen Pferde durchgin-gen, wobei noch ein Mann verletzt wurde.
Der Anfang war nicht gut. Aber es kam bald noch schlimmer.
Als wir Andevanne erreichten, ertönte in Richtung auf die Front eine mächtige Detonation. Was war das? Fliegerbombe konnte es nicht sein, dafür war die Detonation zu stark. Ein Schuß auch nicht, man hatte sein Herankommen nicht gehört, Die boden-ständigen Truppen der 28. Inf.-Division wußten Bescheid. Es war ein neues, torpedo-artiges Geschoß von 34 cm Kaliber, mit dem der Gegner nach Romagne schoß, wo der Bahnhof und Munitionsdepots sich befanden. Wir hörten diese Einschläge mehrmals in jeder Stunde, das Kommen der Geschosse war nicht zu hören, auch in der Nähe von Romagne nicht.
Die Stimmung war überall, wohin man kam, nervös, wie sie nach ungünstig verlaufen-den Kampfhandlungen zu sein pflegte. Allmählich erfuhr man einiges aus den Kämpfen. Der Gegner hatte am 20. beiderseits der Maas angegriffen, mit starker Artillerie-vorbereitung. Der „Tote Mann“ war verloren gegangen. Vor und hatte der Gegner nach Niedertrommelung der Infanteriebesatzung unsere vordersten Gräben genommen, welch bisher die 29. Inf.-Division gehalten hatte. Teile der 206. Inf.-Division waren in die Schlacht geworfen worden, und unsere Division sollte als weitere Verstärkung einge-setzt werden, da man eine Fortsetzung der Angriffe befürchtete. Von der Front hörten wir den dauernden Artilleriekampf, dazwischen die Einschläge in Romagne.
Schon in der Nacht vom 22. auf 23. August sollten die 1., 2., 9./Res. 54 die 7,. 9., 6./265 der 206. Inf.-Division ablösen. Den Einsatz sollte die abzulösende Division leiten. Der Regimentsstab war mal wieder ausgeschaltet, was sich nach unseren Erfahrungen nie bewährte. Fremde Stäbe und Truppen hatten naturgemäß nie dasselbe Interesse wie eigene. Ihnen war das Herauskommen wichtiger, als der Einsatz unserer Batterien. Die drei Batterien sollten neue, unausgebaute Stellungen östlich Montfaucon beziehen. Der Befehl zum Einsatz erreichte die Batterien etwa um 3 Uhr nachmittags. Um 4 Uhr sol-lten die Batterieführer am Straßenkreuz Montfaucon sein, um in ihre neuen Stellungen eingewiesen zu werden. Aber sie warteten stundenlang vergebens auf einen ortskun-digen Führer. Was tun? Leutnant Ottenheimer ritt zum Artilleriekommandeur der 206. Inf.-Division zurück. Die Batterien wollten keine Stellung beziehen, die nicht genau erkundet war. Inzwischen hatten die beiden andern Batterieführer den für die „Ein-weisung“ bestimmten Offizier gefunden, der merkwürdigerweise erklärte, er sei heute selber zum erstenmal in dieser Gegend, aber der ihn begleitende Vizewachtmeister wisse ausgezeichnet Bescheid. Jetzt hatte der Vizewachtmeister das Wort. Und was sagte er? Hier ungefähr – und dabei beschrieb er mit dem Arm einen weiten Halbkreis – sollen die Batterien in Stellung gehen, dann tauchte er mit seinem Begleiter in der Dämmerung unter.
Die zweite Batterie war infolge eines falsch überbrachten Befehls schon am Nachmittag vorgezogen worden. Sie stand angespannt an einem Steilhang im Schutze dichter Büsche und Bäume. Deshalb war sie zuerst zur Stelle. Leutnant Cantner wollte die Batterie am jenseitigen Waldrand in Stellung bringen, aber es war schlechterdings unmöglich, um die mit Granattrichtern besäte und noch immer unter Feuer liegende Ostecke des Waldes von Montfaucon herumzukommen. Es blieb nur ein schmaler Raum zur Aufstellung der Geschütze übrig. Vor der Batterie führte eine ziemlich tief einge-schnittene Feldeisenbahn vorbei. Rechts gähnte ein großer Steinbruch und nur nach links hatte die Batterie ein wenig Bewegungsfreiheit.
Das Einrichten der Geschütze dauerte ziemlich lange. Die über den Köpfen hinsur-renden Flieger gestatteten die Benützung von Taschenlampen immer nur für Augen-blicke.
Eben bog auch die Batterie Bosler in ihre „Stellung“ ein. Deutlich drangen die Kom-mandos zum Abprotzen zur 2. Batterie herüber. Fast gleichzeitig schlugen die feind-lichen Granaten in die 9, Batterie.
Der Batterieführer, Leutnant d. R. Bosler, und der soeben zur Batterie kommandierte Leutnant d. R. Klemm fielen, 4 Mann waren tot bzw. starben an ihrer Verwundung: Gefreiter Laichinger aus Eberbach, F. Emmendorfer von Wolfratshausen, Georg Mahler von Asch, gest. im Res.-Laz. 18 in Dun, Jakob Möst von Talheim. Die Leutnants d. R. Stählin und Wurster, 1 Vizewachtmeister, 1 Unteroffizier und 9 Mann waren schwer, 5 weitere leicht verwundet.
Die Batterie mußte sofort wieder herausgezogen werden, da kein Offizier mehr vorhan-den war und eine Neueinteilung erforderlich wurde. Als Batterieführer wurde Leutnant Niemann vom Regimentsstab zur 9. Batterie versetzt; an dessen Stelle trat Leutnant d. R. Klotz von der 1. Batterie zum Regimentsstab.
Bei der 2. Batterie waren die Bespannungen unversehrt geblieben, aber die Geschützbe-dienungen, die dem feindlichen Feuer ohne jede Deckung preisgegeben waren, erlitten ebenfalls starke Verluste. Der 42jährige Kriegsfreiwillige Unteroffizier Hofmann aus Ludwigsburg, der Sanitätsgefreite Zumsteeg, der Kanonier Roth und Gefreiter Olpp fielen, 2 Unteroffiziere und 5 Mann waren zum Teil schwer verwundet.
Die 1. Batterie war gerade im Anmarsch. Sie suchte sich dem Feuer, das auf dem Weg Montfaucon – Septsarges lag, so gut es ging zu entziehen. In starkem Tempo fuhr sie hinter der 9. Batterie vorbei. Der inzwischen selbst verwundete Batterieführer, Leutnant d. R. Ottenheimer, ließ die Batterie am Waldrand abprotzen und schickte Protzen und Pferde schnell zurück, um größeres Unheil zu vermeiden. Die Geschütze wurden links neben der 2. Batterie in Stellung gebracht. Der Batterieführer mußte nun die Stellung verlassen und sich in Lazarettbehandlung begeben. Außer ihm waren 6 Unteroffiziere und Mannschaften verwundet.
In der Nacht vom 23. auf 24. wurden 4. und 3. Batterie eingesetzt, was sich nunmehr ohne Verluste vollzog, da die Führer Zeit gehabt hatten, sich vorher zu orientieren. Auch der Einsatz der übrigen Batterien geschah ohne Verluste.“


aus: „Das Württembergische Reserve-Feldartillerie-Regiment Nr. 54 im Weltkrieg 1914-1918“, Stuttgart 1929

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