„Otto Meyer.
Geboren in Berg
bei Stuttgart als Sohn des Fabrikanten Heinrich Meyer am 14. April 1870.
Stuttgarter Gymnasium. Studium der Theologie in Tübingen, mit einer
Unter-brechung von zwei Semestern in Halle 1889 – 1893. Vikar in Schrozberg.
Aufenthalt in England 1895 – 1903, zuerst als Hilfsgeistlicher an der deutschen
Gemeinde in Islington-London, dann von 1897 an als Pfarrer in Bradford. Heirat
mit Kätchen Wendt aus London 1897. Pfarrer in Dietersweiler bei Freudenstadt
1903 – 1905. Stadtpfarrer in Tübingen seit 1905.
Was an meinem
Bruder zunächst ins Auge fiel, war die Frische und Herzlichkeit seines Wesens.
Ein leidenschaftliches Bedürfnis, das Leben nach allen Seiten kennen zu lernen
und durchzuproben, erfüllte ihn; er liebte den Wechsel, der ihn in neue
Verhältnisse brachte, und alles Gefährliche war für ihn von besonderem Reiz.
Auch das geistige Interesse zog bei ihm weite Kreise und beschränkte sich nicht
bloß auf die Theologie, deren Entwicklung er mit lebendigem Anteil folgte. In
allem fühlte er sich nicht als ein Fertiger, er war immer ein Werdender und
blieb daher auch immer jung. Frisch und freudig, wie er war, verstand er es,
Frische und Freude auf seine Umgebung zu über-tragen; seine Herzlichkeit und
Gemütlichkeit gewann ihm alle Seelen; er war ebenso gerne gesehen in den
Kreisen der Universität, als sich ihm die Türen und Herzen der kleinen Leute
öffneten, von denen viele ihm mit unwandelbarer Anhänglichkeit ergeben waren.
Es war ihm wohl, wo Herz und Gemüt Befriedung fanden, am wohlsten aber in der
Familie, der er ein nie versagender Gatte, Vater und Bruder gewesen ist.
Aber alle diese
Lebensfrische und Herzenswärme einer echten Siegfriednatur ruhte auf dem
ernsten Untergrund einer festen religiösen Überzeugung. In dem aus tiefsten
Erleben geflossenen Glauben an die Liebe Gottes hat er sich ebenso innerlich
gebunden, wie äußerlich frei und unabhängig von jeder Autorität und zum
freudigen Genuß der Lebensgüter berufen gefühlt. Auch ins Predigtamt hat ihn
dieser Glaube begleitet, und wenn auch der Zwiespalt zwischen seiner freien
Überzeugung und der Gemeinde-theologie ihn in manche Not gebracht hat, so hat er
doch in der kirchlichen Tätigkeit immer wieder seine Befriedigung gefunden; er
war auch wie geschaffen für sie. Seine erlebte Frömmigkeit und seine
eindrucksvolle Rednergabe haben eine zahlreiche Gemeinde um ihn versammelt, und
die Fähigkeit, mit dem Sonnenhaften seiner Natur auch andere zu erwärmen und
sie mit freundlichem gemütvollem Humor oder mit ernster Zusprache über ihre
Leiden zu erheben, haben ihn zum willkommenen Helfer und Tröster aller Armen
und Bedrückten gemacht.
Als der Krieg
ausbrach, da trieb ihn seine warme Vaterlandsliebe, sein unerschütter-licher
Glaube an Deutschlands Zukunft und seine natürliche Freude am Erregenden und
Abenteuerlichen ins Feld. Seit Juni 1915 wirkte er im Elsaß als Feldprediger bei
der 7. Landwehrdivision, Armee-Abteilung Gäde. Rasch gewann er sich die Liebe
der Soldaten durch die kameradschaftlich-volkstümliche Art seines Verkehrs und
durch den Mut, mit dem er sie, unbekümmert um die Gefahr, in den vordersten
Gräben aufsuchte. Zu seinem großen Leidwesen wurde er im Oktober 1916 von der
Front in die Etappe versetzt und zum Gouvernementspfarrer in Warschau bestimmt.
Als er am 15. August 1917 Warschau zum langersehnten Urlaub verließ, trug er
den Keim des Todes in sich, den er sich bei den seelsorgerischen Besuchen der
Ruhrkranken zugezogen hatte. Die Krankheit zwang ihn in der Heimat auf ein
schmerzensreiches Krankenlager, von dem er sich nicht mehr erholen sollte. Am
15. September verschied der allzeit Hoffnungs-volle in den Armen seiner Gattin,
der treuen Pflegerin seiner letzten Tage, und wurde zwei Tage später unter
ungemein zahlreicher Begleitung der trauernden Freunde und Gemeinde auf dem
Tübinger Friedhof zur Ruhe bestattet.
Stuttgart. Theodor
Meyer..“
aus:
„Gedenkbuch der Tübinger Normannia für ihre Gefallenen“, Stuttgart 1921
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