Samstag, 28. Oktober 2017

28. Oktober 1917


„Während das Regiment bisher in Reserve war, rückte es jetzt an die Spitze mit dem II. Bataillon als Vorhut. Der nach einstündiger Rest nunmehr folgende Nachtmarsch gehört zu den größten Anstrengungen der ganzen italienischen Offensive; es gießt in Strömen, die Mannschaften sind mit der Zeit am Ende ihrer Kräfte, auf aufgeweichten, schlechten Wegen schleppen sie sich mit Energie weiter, keiner will zurückbleiben! Halbwegs zwischen Cividale und Udine stößt die Spitze des II. Bataillons – bei ihr, wie immer, ihr tapferer Bataillonskommandeur Hauptmann Schempp mit seinem Stab – plötzlich auf eine feindliche Feldwache, im Schein brennender Biwakfeuer sieht sie eine Menge herumstehender und ruhender Italiener. Ohne den Feind zur Besinnung kommen zu lassen, stürzt sie sich, durch einige Leute verstärkt, mit Hurra und aufgepflanztem Bajonett auf den Feind. Tödliches Erschrecken ist die Folge; die Wachen setzen sich zur Wehr, im Handgemenge werden sie überwältigt und mit Erbeutung einer Menge Trage-tiere 300 Gefangene gesammelt.
Westlich Selvis, etwa 6 – 7 Kilometer östlich Undine, entsteht gegen 2 Uhr morgens ein überraschendes Feuergefecht; man war auf ernstlichen Widerstand gestoßen. In breiter Front und mit zahlreichen M.-G. hatte der Feind das Ostufer des Tort Torre besetzt. Regimentsstab, Brigade- und Divisionsstab liegen mitten im feindlichen Feuer, so ist bei der großen Nähe am Gegner, der offenbar die Eisenbahnbrücke in Besitz hatte, jede Bewegungsfreiheit, jede Befehlsgebung äußerst erschwert. Da außerdem der Truppe die Kraft zu einem Größeren Angriff fehlte, wurde solcher zunächst verschoben Die Zahl der Gefangenen hatte sich inzwischen stündlich durch Versprengte vermehrt, sie war auf 850 angewachsen.
Mit Tagesanbruch machte auf die an Zahl geringe Bewachung eine italienische etwa 50 Mann starke Abteilung einen Befreiungsangriff. Die entstandene Verwirrung benutze ein großer Teil zur Flucht. Durch rasches, energisches Eingreifen des dort befehlenden Vizefeldwebels Vollmer der 6. Kompagnie war trotz der äußerst kritischen Lage – es befand sich nur noch der Regimentsstab zur Stelle – unter Mitwirkung aller Anwesen-den die Ordnung bald wieder hergestellt; die Gefangenen wurden beim Durchstreifen der naheliegenden Gehölze wieder beigebracht und abtransportiert.
Nach wenigen Stunden Ruhe traten die Bataillone neben dem Gren.-Reg. 119 entfaltet den Vormarsch zum Angriff auf Udine an; der dortige Bahnhof lag bereits unter dem Feuer der Artillerie. Vorausgesandte Offizierpatrouillen brachten die Meldung, daß die Stadt fluchtartig geräumt werde. In beschleunigtem Vorrücken wird die tote, an vielen Stellen brennende Stadt gegen Abend erreicht. Wenige Kilometer vor dem Ziel erreicht das Regiment die tieftraurige Kunde von dem Verlust seines gefallenen kommandieren-den Generals v. Berrer, der, mit seinem begleitenden Offizier, in bekannter Tapferkeit als einer der Ersten Undine erreichen wollte und von fliehenden Italienern überfallen, den Heldentod erlitt. Die hochschlagenden Flammen beleuchten die sonst dunklen Straßen; kein Einwohner zeigt sich, Tote liegen umher, vereinzelt hört man noch Schüsse in den Straßen. Der Regimentskommandeur wird zum Ortskommandanten von Udine bestimmt und hat die Unterbringung der vielen, von allen Seiten nachstürmenden Truppenteile zu regeln. In dem dem Regiment zugewiesenen Westteil bringen sich die Kompagnien selbständig straßenweise unter. Sicherungen werden an alle Ausgänge weit vorgescho-ben. Die Beute, die hier dem Regiment in die Hände fiel, ist nicht aufzuzählen, sie hat Millionen Werte! Trotz aller riesenhaften Anstrengungen fand die Mannschaft noch Zeit und Kraft, für sich zu sorgen; sie hatte es für ihre musterhaften Leistungen auch redlich verdient. Die Kompagnien schaffen sich bespannte Wagen herbei – es war ja alles zu haben – und beladen sie für den Weitermarsch reichlich mit Lebensmitteln.“


aus: „Das Infanterie-Regiment „Alt Württemberg“ (3. Württ.) Nr. 121 im Weltkrieg 1914–1918“ׅ, Stuttgart 1921

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