„30.
Oktober! Ponte della Delizia, Gorriciza! Welchem Alt-Württemberger aus dem Jahr
1917 schlägt das Herz nicht höher bei diesen Namen; wem klingen sie nicht als
stolze Kriegserinnerungen, bildet doch der Tag den Glanzpunkt in der
italienischen Offensive, unvergessen in der Geschichte des Regiments!
Während
der Nacht war höheren Ortes bekannt geworden, daß die Masse der italieni-schen
Armee mit ihrem gesamten Troß auf die westlich von Codroipo befindlichen großen
Brücken über den Tagliamento in wilder Flucht seien. Nun galt es den letzten
Streich zu führen, und dem Feind den Weg über das Wasser abzuschneiden.
Frühmorgens
bekam zunächst das II. Bataillon den Befehl, nach Süden gegen die Ponte della
Delizia abzubiegen und sich in den Besitz der Brücken zu setzen, anschließend
sollte das I. Bataillon Gradisca – Gorriciza nehmen und an das II. Bataillon
Anschluß suchen, während das III. Bataillon mit dem Regimentsstab nach Pozzo
rückte. Das II. Bataillon trat mit der 6. Kompagnie alsbald als Vorhut an; bei
dem Gehöft Madonna de Loretto kam sie auf Sturmentfernung in lebhaftes Feuer.
Zu ihrer Entlastung wurde die 5. Kompagnie unter ihrem, keine Gefahr scheuenden
Führer Leutnant Bracher über die deckungslose Ebene rasch nach rechts heraus
bis an den hohen Uferdamm des Flusses gezogen. Links vom II. Bataillon sollten
die 11. Jäger vorstoßen. Die 7. Kompagnie deckte weiter rückwärts die rechte
Flanke, während die 8. Kompagnie hinter der 6. als Reserve verblieb. Nach einer
letzten Feuersteigerung aus allen vorgezogenen M.-G. stürmte der tapfere
Leutnant d. R. Hengstberger mit einer Handvoll Leute den vom Feind besetzten
Graben. Alle übrigen Teile der 6. Kompagnie, unter denen sich der
Ersatzreservist Dennenmoser, der Landsturmpflichtige Rupp und die Musketiere
Heller und Bentele ganz besonders hervortaten, drangen in das Gehöft ein und nahm
es mit blanker Waffe in Besitz. 300 Italiener, 4 M.-G. waren die Beute. Vom
Dache des Hauses aus konnte der Bataillonsführer, Hauptmann Schempp, und der
vom Regiment entsandte Verbindungsoffizier, Oberleutnant Dobel, erkennen, daß
man der Schlüsselpunkt zur Besitznahme der feindlichen Stellung in Händen
hielt. Stark besetzte Schützengräben mit Drahthindernissen lagen in mehreren
Linien vor dem Ziel, dem noch 600 Meter entfernten Brückeneingang; feindliches
M.-G.-Feuer schlug aus den Gräben herüber. Mit genugtuender Freude wurde auch
das Vorgehen der 5. Kompagnie, die unter starkem Flankenfeuer von rechts
rückwärts zu leiden hatte, am Flusse gesehen und gemeldet. Mit größter
Schnelligkeit brachte der Bataillonsführer seine M.-G.-K. des Leutnants d. R.
Lamparter mit einem Zug des Vizefeldwebels Kettemann durch die Dachluken in
Stellung und ließ die endlosen Kolonnen unter Feuer nehmen und zum Halten
bringen. Verwirrung, Ineinanderfahren, Halten war die Folge. Dieser Erfolg
erfrischte in hohem Maße die Kämpfenden, zumal gleichzeitig in Richtung
Gradisca der Gefechtslärm des I. Bataillons hörbar wurde. In prächtiger Weise
war auch die 5. Kompagnie wieder vorwärts gekommen; die Unteroffiziere Reustlen,
Zimmermann, Jentsch (schwer verwundet), Kawälde, der Gefreite Schlotterbeck und
die Musketiere Kreye, Hees, Geymann (schwer verwundet) und Traib waren dabei
ganz besonders vorbildlich. Unter Wirkung der überhöhend schießenden M.-G.
stürzte sich die 6. Kompagnie auf den Feind. Nur dem furchtlosen
Vorwärtsdrängen jedes Einzelnen ist es zu danken, daß die in etwa zwanzigfacher
Übermacht in den Gräben stehenden Italiener zum größten Teil gefangen wurden.
Gegen 1000 Gefangene, viele M.-G. blieben in der Hand des Bataillons. Aus einem
Barackenlager in der linken Flanke drohte der Kompagnie erneute Gefahr.
In
diesem kritischen Augenblick erschien die 8. Kompagnie und setzte zum Angriff
an, der der Kompagnie dort ebenfalls 1000 Gefangene brachte. Vereint ging der
Sturm der drei Kompagnien gemeinsam weiter; die 7. Kompagnie war nahezu zum
Gefangenen-transport aufgebraucht. Fluchtartig strömte der Italiener der Brücke
zu; sein Zurück-gehen sollte ihm durch Feuer vom jenseitigen Ufer erleichtert
werden, dem jedoch die 5. Kompagnie ihre leichten M.-G. auf einer Kiesbank
entgegensetzte.
Die
große Holzbrücke war im Besitz des Bataillons, Noch strömten hunderte Feinde
der Brücke zu. Das schneidige Vorgehen des Vizefeldwebels Saud der 6. Kompagnie
vereitelte auch dies und schnitt ihnen den Weg ab.
Als
die vordersten Teile des Bataillons über die Brücke stürmen wollten, schlug
ihnen schlagartig konzentrisches Feuer vom jenseitigen Ufer entgegen, hinter
dem Wirrwarr der Wagen mußten die Stürmenden Schutz suchen, das Ufer war nicht
zu erreichen, die letzte Strecke war gesprengt oder abgebrannt. Gleichzeitig
hatten sich die Jäger in den Besitz der Eisenbahnbrücke gesetzt.
Um
dieselbe Morgenstunde trat das I. Bataillon mit der 1. Kompagnie auf Gradisca
an, nahm daselbst eine feindliche Feldwache gefangen und ging zum Angriff auf
Pozzo vor, von wo aus von in den Häusern eingenisteten feindlichen Schützen
heftiges Infanterie- und M.-G.-Feuer kam. In ¾ stündigem Häuserkampf, in dem
jedes Haus einzeln genommen werden mußte, wurde die feindliche Gegenwehr
gebrochen. Tödlich ver-wundet fiel hier der schon in der Flandernschlacht so
hervorragend tapfere Offizier-stellvertreter Bernhard. 600 Gefangene, 10 M.-G.,
25 Maultiere waren die Beute. Auf das stark besetzte Gorriciza geht der Angriff
weiter. Durch Umgehung im Buschgelände und rasches Zugreifen gelingt es dem Zug
Schnitzer, ein Geschütz zu nehmen. Doch ein 300 Meter breiter Wiesenstreifen
vor dem Nordrand des Dorfes läßt den Angriff stocken. Da naht Hilfe. Im Galopp
kommt ein Zug der 12. M.-G.-K. mit italienischer Bespannung vor und greift ein,
ebenso etwas später die 3./119.
Nachdem
noch die in Pozzo auf Befehl des Regiments aufgefahrene österreichische
Gebirgsbatterie das Feuer eröffnet hatte, setzte der Bataillonsführer, Major
Völter, gegen Mittag die 4. Kompagnie von S. Nocco aus westlich umfassend,
hinter ihr die 3. Kompagnie, je mit zugeteilten schweren M.-G. zum Angriff an.
In schweren Einzel-kämpfen geht der Sturm bis an den Westrand von Codroipo
vorwärts, wo mit dem fechtenden Gren.-Reg. 119 Verbindung genommen wurde. Auch
hier, wie beim II. Bataillon, bot sich den erstaunten Blicken ein
unvergeßliches Schauspiel dar. Auf der Chaussee standen und fuhren, noch zum
teil in dreifacher dichtgedrängter Reihe hunderte von Fahrzeugen, Geschützen,
Kraftwagen; dazwischen wimmelten Haufen von Italienern. Im Straßengraben, von
den Fahrzeugen, aus den Dächern schossen feindliche Schützen; das mörderische
Feuer der M.-G. dämpfte jedoch bald jeden Widerstand. Massen von Italienern
aller Truppenteile warfen die Waffen weg und stürzten, vermischt mit
zahlreichen Zivilpersonen, mit hocherhobenen Händen und wehenden Tüchern auf
die Truppe. Nur schwer konnte man sich durch das Knäuel ratternder Autos, wild
um sich schlagender, getroffener Pferde usw. durchwinden. Ein geschlossenes
italienisches Bataillon, der Kommandeur zu Pferde an der Spitze, wollte noch
der Brücke zueilen. Zu spät; einige M.-G.-Garben genügten, es zu zersprengen.
Am
Bahndamm ließ der Bataillonsführer die Verbände in Ordnung bringen und
dirigi-erte das Bataillon seinem Auftrag gemäß gegen die Ponte della Delizia, wo
es sich mit Einbruch der Dunkelheit als Reserve bereitstellte. Neben
ungezählter Beute machte das Bataillon 4000 Gefangene.
Im
ganzen betrug die Beute des Regiments an diesem Tage etwa: 85 Geschütze, 250
Kraftwagen, 1200 Fahrzeuge, 1000 Pferde, 2 Flugzeuge, 30 Protzen, 30
Feldküchen, 30 M.-G., 5 Lastzüge, eine Kriegskasse mit 43 000 Lire. An
Gefangenen wurde ein General, 267 Offiziere, etwa 11 475 Mann eingebracht.
Während
die erschöpften Bataillone zurückgezogen auf ihren Lorbeeren ausruhten,
übernahm das III. Bataillon die Besetzung des Ufers und der Brücke. Ein um
Mitternacht versuchter neuer Sturm, in der Hoffnung, noch auf einigen
vorhandenen Balken das jenseitige Ufer zu gewinnen, konnte nicht gelingen, da
tatsächlich die letzte Brückenstrecke zerstört war und dauernd unter
feindlichem Feuer lag.“
aus: „Das Infanterie-Regiment „Alt
Württemberg“ (3. Württ.) Nr. 121 im Weltkrieg 1914–1918“ׅ, Stuttgart 1921
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