„Hénin,
früher ein Ort von etwa 500 Einwohnern jetzt ein Trümmerhaufen, aus dem noch
einzelne, dürftige Häuserreste hervorragen, liegt eingebettet in das flache Tal
des Cojeulbaches, eines Nebenflüßchens des Senséebaches. Der Cojeulbach wendet
sich kurz vor der Ortschaft aus west-östlicher Richtung nach Norden, teilt die
Ortschaft in zwei ähnlich große Hälften. In der Mitte des Dorfes führt über ihn
eine für Kolonnen fahrbare Brücke. Südlich dieser Brücke ist der Bach 5 – 6,
nördlich 4 – 5 Meter breit und 1½ Meter tief. Außer der Brücke sind einige
Baumstämme und schmale Bretter-stege über den Bach gelegt in Abständen von 30–
50 Meter. Die Ortschaft steigt auf beiden Seiten des muldenförmigen Tales an
den sanften Abhängen empor, am westli-chen etwas höher. Von beiden Seiten aus
ist sie ganz eingesehen. Vom Südosten führen zwei Hohlwege, der nördliche von
Croisilles, der südliche von St. Leger ins Dorf. Bei ihrem Eintritt ins Dorf
treten sie aus den Böschungen heraus, etwa 80 Meter hinter dem Dorfrand
vereinigen sie sich zur Hauptstraße, die quer durchs Dorf über die oben
genannte Brücke führt und auf der nordwestlichen Seite wieder als Hohlweg die
Anhöhe hinaufsteigt.
Die
Bereitstellung der Bataillone I. und III. ging ruhig und sicher vor sich, kaum
belästigt durch vereinzeltes Maschinengewehrfeuer von der linken Flanke.
Dagegen wurde die Bereitstellung des II. Batl. durch Flieger- und
Erdbeobachtung erkannt. Das Bataillon kam nicht zur Beteiligung am Angriff des
Tages, aber leichter war seine Rolle darum nicht. In den Hohlweg eingeklemmt
war es den Bomben und dem feindlichen Artilleriefeuer ausgesetzt, das sich bis
11 Uhr vormittags mehr und mehr steigerte und den ganzen Tag über in gleicher
Stärke anhielt, gegen Abend, kurz nachdem das Bataillon sich 400 Meter östlich
vom Hohlweg aufgebaut hatte, zu trommelfeuerartigem Feuerüberfall auf den
Hohlweg und das Gelände östlich davon anschwoll. Der Tag brachte einzelnen
Kompagnien des Bataillons mehr Verluste als denen der angreifenden Bataillone.
Der Bataillonsführer, Major Keerl, wurde durch mehrere Granatsplitter an der
Ferse verwundet, der Kompagnieführer der 5. Komp., Leutnant d. R. Häußler, an
der Hand.
Um
7.30 Uhr vormittags war die Bereitstellung der zwei anderen Bataillone
durchge-führt. Beim III. Bataillon fand alles gute Deckung gegen Sicht hinter
Mauerresten, Gebüschen und in Granatlöchern. Das I. Batl. war in seinem Hohlweg
weniger günstig dran, fand aber immerhin dort einige englische Baracken, die
mit ihren Resten engli-schen Überflusses die Stärkung für die kommenden
Anstrengungen geben. Die Beo-bachtung läßt sich nicht unterdrücken, und hat uns
immer wieder zu denken gegeben, daß, wenn das englische Volk in der Heimat
durch unsern U-Bootkrieg Mangel leidet, es dies sein Feldheer kaum fühlen läßt.
Die Ausrüstung des Tommy mit vorzüglichen Stoffen, hohen Gummistiefeln,
westenartigen über dem Waffenrock getragenen, ärmel-losen Lederjuppen, und die
Verproviantierung mit Fleischkonserven, Tee, Zigaretten, Schokolade ist immer
noch vorzüglich. Auch an Grabenbaumaterial scheint es weniger als bei uns zu
fehlen, abgesehen vom Holz. Freilich der englische Unterstand ist weit nicht so
fest und sicher gebaut wie der unsrige. Sollte unser Artilleriefeuer das
weniger nötig machen? Auch ist er nicht so heimelig ausgestattet wie der
deutsche. Dafür, wie für die pietätvolle Ehrung seiner Toten, hat der einseitig
praktische Engländer entschie-den weniger Sinn als der gemütvolle Deutsche. Wo
wir aber in mühseliger Arbeit mit Faschinenreisig unsere Grabenwände
einflechten, wird dem englischen Soldaten zu diesem Zweck festes engmaschiges
Drahtnetz fix und fertig geliefert. Nach den Vorräten an Munition, die wir in
englischen Gräben vorfanden, scheint auch daran wenig Mangel zu sein. Überall
ist noch aus dem Vollen geschöpft. Der Gedanke, daß der brave deut-sche Soldat
unter so viel schwereren Bedingungen schafft, ist schmerzlich.
Um
so kampffreudiger war jetzt die Stimmung. Endlich an den Gegner! „Was meinst,
Christian, des Kriegle gwenne mer?“ ruft der Kompagnieführer der 3., Leutnant
d. R. Kupferschmid, seinem Burschen zu. Eine Stunde nachher war er tot. Eine
Kugel von der linken Flanke trifft noch im Hohlweg einen Mann seiner Kompagnie
in den Kopf, daß er lautlos umsinkt. Darob bestürzte Gesichter. „Hänget keine
so Gsichter ronder! 's ist im Krieg no emmer so gwesa, daß gschossa hat!“ So
wenig ernst vor einem über Tod und Leben entscheidenden Sturm? Nein, der Ernst
versteht sich von selbst, aber vorbild-licher tiefer Humor, der die eigene und fremde
Stimmung meistert.
Von
der Stellung des III. Batl. aus überblickt man die ganze Ortschaft und das
Angriffs-gelände. Freilich zeigt ein Blick durchs Fernglas auf die
gegenüberliegende Höhe, daß dort eine ausgebaute, durch bedeutendes hohes
Drahthindernis geschützte feindliche Stellung auf uns wartet. Aber nur ruhig!
Unsere Artillerie wird schon die Bresche schießen! In das Dorf hinein werden
Patrouillen geschickt zur Feststellung der eigenen vorderen Linie. Die 234.
Inf.-Division sollte noch vor uns sein. Merkwürdig, daß man von ihr auf dem
Marsch zur Bereitstellung gar nichts entdeckt hatte! Die Patrouillen vertreiben
einige Engländer aus der Ortschaft und kehren mit der Meldung zurück, daß eine
eigene vordere Linie überhaupt nicht vorhanden sei – erste Enttäuschung! – und
daß der Feind jenseits des Orts seine Gräben aufgefüllt habe und in gut
ausgebauter Stellung, die das ganze Tal und den Übergang über den Cojeulbach
beherrsche, bereit-stehe.
Um
10 Uhr soll nach Brigadebefehl das Wirkungsschießen der Artillerie einsetzen.
Es wird 10 Uhr, nichts rührt sich. Man wartet und wartet. Die Leute werden
unruhig. Wieviel von einer wirkungsvollen Artillerievorbereitung für das
Gelingen des Sturmes abhängt, kann der gemeine Mann gut beurteilen. Die
mehrmalige Meldung der Batail-lone an das Regiment und die Weitermeldung von
dort nach oben, daß ohne reichliche artilleristische Vorbereitung der Sturm
unmöglich sei, bleibt erfolglos. Woran liegt’s? Die Meinung, der Gegner sei
infolge des deutschen Vordringens weiter links im Abbau, war nach den Meldungen
von der stark besetzten englischen Stellung gegenstandslos. Gegen ¾11 Uhr
platzen einige Schrapnells mit hochgelegenem Sprengpunkt über dem englischen
Graben, einige Granaten leichten Kalibers fahren weit vor den englischen Gräben
in die Wiesen. Sie rühren nicht an das englische Hindernis. Das
Maschinenge-wehrfeuer, besonders von der linken Flanke, wird immer lästiger.
Wird gestürmt? Wird nicht gestürmt? Es wird gestürmt! Punkt 11 Uhr ruft’s am
ganzen Ortsrand: „1. Welle raus!“, einige Sekunden nachher: „2. Welle raus!“
Und nun spielt sich ein Vorgang ab, an den das Regiment ewig mit Stolz und
Schmerz denken wird. Mancher Kompagnie-führer mag sich der stillen Sorge nicht
ganz haben erwehren können: Wie werden sich meine Stellungskrieger nach
dreijährigem Stellungskrieg dieser ungewohnten Aufgabe gegenüber benehmen? Sie
war unnötig. Wie ein Mann erheben sich die Wellen, stürzen vor, die jungen Zugführer rücksichtslos und
schneidig voraus, die Kompagnieführer mit ihrem Stab anfänglich bei der 3.
Welle, allmählich sich an die Spitze ihrer Kompagnie vorarbeitend, die
Bataillonsführer, Hauptmann von Raben (III. Batl.) und Hauptmann Schneider (I.
Batl.) in ungestümem vorwärtsreißendem Drang inmitten ihrer Bataillone. Kaum hat
der Gegner die Bewegung erkannt, so knattert’s, knallt’s, pfeift’s, saust’s von
allen Seiten. Ein Höllenlärm! „Wieviel Dutzende von Maschinengewehren haben
denn die da drüben?“ Dazu schießen die eigenen Maschinengewehre, die sich auf
der Anhöhe im Rücken aufgebaut hatten, überhöhend hart über die Köpfe weg.
„Alles eigene Maschinengewehre!“ ruft der Kompagnieführer der 12. Komp., kann
aber nicht mehr überzeugen, wie die ersten stürzen. Es gelingt unseren vorzüglich
schießenden Maschi-nengewehren, dieses oder jenes feindliche Maschinengewehr
niederzuhalten. Aber der Feind ist zu überlegen an Zahl. Die Ortschaft ist in
Staub gehüllt. Geschosse und Steine fliegen um die Köpfe und schlagen prasselnd
auf Straße und Mauerreste. Jetzt setzt auch das feindliche Sperrfeuer ein.
Gottlob liegt es mit seiner Hauptwirkung auf dem östli-chen Teil des Dorfes, ist
also von den Stürmenden schon unterlaufen. Von Granatloch zu Busch, von Busch
zu Mauerrest huscht Mann für Mann vor. In notdürftiger Deckung schnauft er
einige Sekunden auf. Dann ein Ruck des Willens, und er stürzt wieder vor,
fällt. Der nächste ihm auf demselben Weg nach, fällt, aber keiner bleibt
zurück. Hier bricht einer lautlos zusammen, dort stürzt einer mit grellem
Aufschrei hintenüber, den Vorbeieilenden trifft der flehentliche Blick eines
Schwerverwundeten Sterbenden. Ein kleiner junger Unteroffizier der 11. – in
Flandern hat er sich erst ein paar Gefangene und dafür das E. K. I geholt, zur
Division war er auf sicheren Posten kommandiert gewesen, hielt das Stubenhocken
nicht aus, wollte zurück zur Kompagnie, – der ruft: „Nur alle mir nach! Wir
werden die Kerle schon kriegen!“ läuft einige Schritte, fällt. Die Wellen haben
sich zu einzelnen Gruppen aufgelöst, die sich beherzten Führern und
Draufgän-gern anschließen. Es fällt manch kühnes, aufmunterndes Wort, manche
Heldentat wird vollbracht. Aber wer nennt all die Namen? Schnell arbeitet man
sich durch das Dorf zum Cojeulgrund hinunter. Dort muß auf Baumstämmen und
schwankendem schmalem Steg über den ziemlich breiten Bach balanciert werden.
Nur einer ist, glaub ich, hinein-gefallen. Es war doch nützlich, daß man auch
diese Kunst auf der Hindernisbahn geübt hat. Aber ein dankbares Ziel für den
Gegner ist es, wie Mann für Mann über den Bach muß. Furchtbar haust das feindliche
Feuer unter denen, die im Gefechtsdrang der War-nung ihres Kompagnieführers
vergessend, den Übergang über die große Brücke erzwin-gen wollten. Ein Haufen
Toter liegt nachher an der Stelle.
Das
III. Bataillon erreicht durch den ansteigenden teil des Dorfes den
Nordwestrand. Die 12. Komp. mit dem Kompagnieführer an der spitze macht in
ihrem Vorwärtsdrang dort nicht Halt, sondern stürmt auf die etwa 100 Meter vor
dem Dorf dem Dorfrand entlang führende englische Stellung los, gelangt bis ans
Hindernis. Dort ist freilich jedes Vorwärtskommen ausgeschlossen. Kein Gang,
nicht die geringste Lücke erkennbar in dem 10 Meter tiefen, 2 Meter hohen
Hindernis! Also einzeln zurückkriechen! In den vor dem Ortsrand liegenden
Weidengebüschen und einzelnen kleinen Löchern sucht man und schafft man sich
durch vorsichtiges Eingraben Deckung unter stärkstem feindli-chem
Maschinengewehrfeuer. Die kühne Bedienungsmannschaft eines leichten
Maschi-nengewehrs findet einigen Schutz hinter einer Steinpyramide in der Nähe
der feindli-chen Stellung und feuert unentwegt drauf los. Am Rand des Dorfes
bleibt man in dauerndem rasenden Maschinengewehrfeuer und immer mehr sich
steigernden Artil-leriefeuer liegen.
Das
I. Batl. war von seiner Ausgangsstellung (im Hohlweg Hénin – Croisilles hart vor
dem Dorf) unmittelbar hinter den letzten Wellen des III. Batl. vorgestoßen,
aber mehr in westlicher Richtung. Die 1. Komp. erreichte die Mitte des Dorfes,
die 2. Komp. ging links davon vor. Die beiden Kompagnieführer, Oberleutnant
Widmer (1.), Leutnant Scheurlen (2.), auch der Kompagnieführer der 1. M. G. K.,
Leutnant d. R. Sannwald, wurden bald verwundet. Über den Bach kamen die
wenigsten Leute der Kompagnie. Mit einer Gruppe war Leutnant Menzinger (2.) und
Fähnrich Hertkorn über die gefähr-lichen Bachübergänge und ein im Dorf
befindliches starkes Drahthindernis bis in die Nähe des südwestlichen
Dorfrandes vorgedrungen, fanden den aber von einem hinter Sandsackbarrikaden
gedeckten Maschinengewehr besetzt. In raschem kühnem Handgra-natenkampf wurde
die Bedienung vertrieben. Sie zog sich in ein kleines Grabenstück westlich vom
Ortsrand zurück. Rasches Nachdrängen war unmöglich, da man von einem
Maschinengewehr in der linken Flanke beschossen wurde. Langsam arbeitete man
sich also an den Ostrand heran und beobachtete von dort zwei in dem nahen
Grabenstück aufgestellte Maschinengewehre mit etwa 50 Engländern. „Ach was! Die
holen wir!“ ruft der junge Führer in ungestümer Begeisterung, erhebt sich, und
fällt dem Fähnrich tot in die Arme. Frech und frohlockend über den Fall des
Führers steigen die Engländer auf den Grabenrand.
Die
5. Komp. war mit ihrem rechten Flügel am südlichen Dorfrand vorbeigestürmt bis
an den Bach. Leutnant d. R. Kupferschmid hatte mit seinem Kompagniestab hart am
Ostrand einen Übergang gesucht und den Bach überschritten. Außer seinem
Burschen, der auf dem Weg dorthin verwundet und von deinem Herrn noch verbunden
worden war, ist niemand mehr vom Kompagniestab von dort lebend zurückgekommen.
Von vorne, von links und von rechts übers Dorf weg hatten sie rasendes
Maschinengewehr-feuer bekommen. Der Führer eines Maschinengewehrzuges, Leutnant
d. R. Kietschke, eben erst zum Regiment gekommen, sucht inmitten der
Infanteriewellen und 50 Meter vor ihnen eine Stellung für seine
Maschinengewehre. Vorbeieilend sieht er, daß eines seiner Maschinengewehre
Ladehemmung hat. „Kerls schießt! Ihr blamiert ja die ganze Innung!“ In einem
Granatloch, wo er einen Augenblick Deckung sucht, erhält er gleich darauf einen
Schuß durch die Schulter.
Der
Regimentsstab lag während des Angriffs auf der Höhe östlich Hénin. Am 23. hatte
er noch vor Héninel die Hälfte eines Stollens bewohnt, die der Stab vom
Inf.-Reg. 458 geräumt hatte, ungern, aber: „O weh“, hatte der Adjudant gemeint,
„jetzt kommen die Württemberger, mit denen ist nicht gut Kirschen essen. Die
schmeißen uns einfach raus!“
Der
Überblick über das Angriffsgelände, den der am 24. etwa 10 Uhr bezogene
Ge-fechtsstand gewährt, war gut – oder wäre vielmehr gut gewesen, wenn man ihn
hätte ungestört ausnützen können.
Das
Artilleriefeuer, das bald auf die Gegend einsetzte, besonders nachdem der in
der Nähe aufgestellte Blinker nach vorne Zeichen gegeben hatte, zwang zum
mehrmaligen Stellungswechsel. Das Maschinengewehrfeuer von der
gegenüberliegenden Höhe pfiff um die Ohren. Mancher Herr, der sonst das Haupt
aufrecht zu tragen gewohnt ist, hat dort die Rekrutenkunst des Kriechens auf
dem Bauche wieder gelernt.
Der
Sturm hatte nicht länger als eine halbe Stunde gedauert. Jetzt lagen die
Kompagnien rings am Ostrand, wie und wo sie ihn erreicht hatten. Jede Bewegung
war unmöglich, denn rasend pfiffen die Maschinengewehrgeschosse hart über
Löcher und Steine weg, hinter denen man lag. Das Eingraben konnte nur mit
äußerster Vorsicht und unter großen Schwierigkeiten vor sich gehen. Wo der
Gegner das geringste Ziel erkannte, überschüttete er es mit Feuer, dazu nahm
das Artilleriefeuer auf das Dorf im Lauf des Tages immer mehr zu mit mittleren
und schweren Kalibern. Die Lage erinnerte an den übelsten Tag in Flandern. Und
das war nur der erste Tag der großen Offensive für das Regiment! Der Eindruck unverschuldeten
Mißerfolgs verbunden mit schmerzlichen Verlusten legte sich lähmend aufs Gemüt.
Mit unvergleichlicher Tapferkeit und wahrem Todesmut waren Offiziere und
Mannschaften vorgegangen. Wir hatten später Gelegen-heit, uns von einem andern
Regiment erzählen zu lassen, daß es einen ähnlichen Auftrag bekommen hatte.
„Wir konnten doch nicht vor,“ meinten die, „es waren ja noch Maschi-nengewehre
da.“ Die Ehre des Regiments ist nicht verloren, aber viel edle Begeisterung und
frischer Mut. Quälende Fragen liegen uns auf der Seele. Wo steckte die
Artillerie? „Sie haben keine Munition zur Hand gehabt.“ Unsere
Divisionsartillerie beim ersten Sturm keine Munition? Eine halbe Stunde nach
dem Sturm lag unser Artilleriefeuer vorzüglich im englischen Graben. Warum hat
man die alte Lehre, die wir dem Feinde in Flandern und an der Somme zu seinem
Schaden oft genug gegeben hatten, vergessen? Wie oft haben wir ihn dort von
unserer zusammengetrommelten Stellung mit den wenigen geretteten
Maschinengewehren mit blutigen Köpfen heimgeschickt! Und nun rennen wir gegen
eine wohlausgebaute, völlig unberührte, mit Maschinengewehren gespickte
Stellung an! Im Augenblick des Angriffs weist der Soldat solche Fragen von
sich. Es gibt kein Warum und Wozu. Aber nachher, wenn das gekommen ist, was
kom-men mußte, wenn er die toten Kameraden im Granatloch einbettet, die
Verwundeten wegträgt, wenn die Kompagnien sammeln und es fehlen so viele, so
viele! Doch still davon! Der Sturm wird bald wiederholt! Unter günstigeren
Bedingungen! Den Namen Hénin wird das Regiment nie vergessen. Anscheinend
beruhte der Angriffsbefehl auf einer falschen Voraussetzung. Der Gegner war
nicht auf dem Rückzug, wie man an-nahm. Die Beobachtung war wohl gemacht worden
vor dem Sturm, aber die in vorder-ster Linie gemachte Feststellung über den
Ausbau und die Besetzung der feindlichen Stellung konnte nicht mehr bis zur
Artillerieleitung durchdringen. Außerdem waren nicht alle Regimenter der
Brigade bei Tagesanbruch mit der Bereitstellung fertig. Die vom Gegner beobachtete
Bereitstellung eines Regimentes gab ihm die Möglichkeit wirksamer
Gegenmaßnahmen.
Bei
Einbruch der Dunkelheit werden die Verbände geordnet und für die Abwehr nach
der Tiefe gegliedert. Im III. Bataillon übernimmt die 9. Komp. die von der 11.
und 12. Komp. erreichte Ortsrandstellung, die 12. wird an den Ostrand Hénin,
die 10. und 11., Minenwerferzug und Maschinengewehrzug mit dem Bataillonsstab
in eine Batterie-stellung östlich Hénin zurückgezogen. Beim Rückmarsch durch
Hénin mußten die Gas-masken aufgesetzt werden. Der Gegner schoß einiges Gas.
Doch das können wir besser! Wenigstens das Gas mit dem bekannten süßlichen
Geruch, das wir schon lange kennen, führt wohl zum Weinen, aber nicht zum
Sterben. Leider konnten die Verwundeten trotz aller Bemühungen der Kompagnieführer,
des Bataillons und des Regiments erst am Abend des folgenden Tages vollends
zurückgebracht werden.ׅ“
aus:
„Das Württ. Infanterie-Regiment Nr. 180 im Weltkrieg 1914–1918“, Stuttgart 1921
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