„Die
Bolschewiki bei Sinielnikowo verfügten nicht über Unterführer, welche imstande
gewesen wären, Vorstellungen gut anzuordnen und rechtzeitig zu räumen. Ihre
Mann-schaften und deren Disziplin genügte hiezu ebensowenig. Sie hatten eine
Vorstellung aufgebaut vorwärts von Marjinskaja, Front nach Südwesten, mit etwa
200 – 300 Mann. Das war an sich ganz gut, aber der Bahndamm erlaubte uns ein
gedecktes Vorgehen auf seiner Südseite und die Bolschewiki hatten versäumt,
dies durch eine starke Aufstellung von M.-G. südlich der Bahn zu verhindern.
Mit
Leutnant Breitling an der Spitze drang hier die 2. Kompagnie vor und kam den
Bolschewiki in die Flanke, ja bedenklich gegen ihre Rückzugslinie. Die
deutschen Geschütze sandten ihre Granaten in die Vorstellung, da liefen die
Bolschewiki eiligst zurück: Die 4. Kompagnie verfolgte sie nach Marjinskaja hinein.
Hier war nichts mehr von ihnen zu sehen, jedenfalls hatten sie sich in
friedliebende Bürger verwandelt. Auch war ein feindlicher Panzerzug von
Sinielnikowo her vorgefahren, brachte unsere Verfol-gung ins Stocken und
erleichterte so dem Gegner sein Verschwinden.
Noch
eine Anzahl kleinerer Vorstellungen befanden sich entlang der Bahnlinie, rein
frontal. Sie wurden von uns nach kurzem Widerstand zum Rückzug gezwungen, denn
sie mußten ja schon von vornherein mit deutschem Verfolgungsfeuer rechnen,
trotz der Unterstützung des Panzerzugs.
Dieser
brachte uns leider einige Verluste bei, darunter auch Leutnant Tränkle, nachdem
er im Augenblick vorher mit stürmender Hand ein M.-G. genommen hatte, dessen
Bedienung sehr tapfer ausgehalten hatte.
Die
ersten Schüsse der Bolschewikiartillerie saßen, wie häufig bei ihnen, nur ein
wenig vom Ziel entfernt. Ihre Geschütze
waren meist von der sehr gut ausgebildeten Matrosen-artillerie bedient. Aber es
erfolgte keinerlei weitere Berichtigung des Feuers, wahr-scheinlich mangels
einer guten Beobachtung. Schuß um Schuß schlug fortwährend am selben Fleck ein,
den man ja somit einfach umgehen konnte.
Unsere
eigenen Geschütze hatten anscheinend recht guten Erfolg.
Bei
unserem Vordringen waren die 2. und 3. Kompagnie in vorderer Linie gewesen, die
1. und 4. hinter beiden Flügeln in Reserve. Die 4. nahm später die Verfolgung
nach Marjinskaja auf und suchte das Dorf nach Waffen ab, die 1. wurde vom
rechten Flügel hinter die Mitte gezogen, als der Flügel infolge des
Herankommens vom III./L. 126 nicht mehr gefährdet war.
Unter
den gefallenen Bolschewiki war ein intelligent aussehender Mann mit guter
Kleidung und Wäsche. Rock und Stiefel hatten ihm seine Kameraden ausgezogen und
mitgenommen.. Die Einwohner erklärten, es sei der Bolschewikiführer. Ob aber
Führer der ganzen Schar von Sinielnikowo, oder nur einer vorgeschobenen
Abteilung, ließ sich, zumal bei den Sprachschwierigkeiten, nicht feststellen.
Die
Absicht des Detachements, heute in Marjinskaja und Petrowskaja in Quartiere zu
gehen, war jetzt nicht mehr durchzuführen. Trotz des Marsches von über 30
Kilometern mußte Sinielnikowo heute noch genommen werden. Das III. Bataillon
hatte von dem Marschweg entlang der Bahnlinie abgebogen, um nach Petrowskaja zu
kommen. Auf das Geschützfeuer hin ließ der Bataillonsführer halten, so daß das
Bataillon verwen-dungsbereit blieb und ritt selbst zum Regimentskommandeur vor.
Eine Kompagnie hatte das Bataillon befehlsgemäß als Bahnschutz weiter rückwärts
belassen.
Vom
Oberst Fromm erhielt Hauptmann Wiedemann folgenden Befehl:
„Der
Gegner dürfte mit seinen Hauptkräften 4 Kilometer westlich Sinielnikowo stehen.
das I./L 126 und die Artillerie drängen seine Vorstellungen zurück. Ich schätze
die feindliche Artillerie nach ihrem Feuer auf 8 – 12 Geschütze. Das III.
Bataillon rückt südlich der Bahn auf der Höhe des I. vor.“
Vom
I. Bataillon waren jetzt drei Kompagnien in erster Linie, die 1. noch in
Reserve. Mehrere M.-G. waren in den Vorstellungen von dem Bataillon genommen
worden.
Es
wurde vielleicht 4 Uhr nachmittags, bis das III. Bataillon anlangte. Sehr
geschickt hatte es ein dürftiges, dünnes Gehölz und ein paar Geländefalten ausgenützt.
Trotzdem der Gegner über etwa 60 Reiter verfügte, die wir ziemlich planlos in
dicht gedrängten Haufen herumreiten sahen, trotzdem erfuhr er anscheinend
nichts von dem Anmarsch des III. Bataillons; wenigstens handelte er, als ob
dieses nicht vorhanden wäre. Auch unsere behelfsmäßige Kavalleriespitze ließ er
unbehelligt in seiner Flanke erkunden.
Das
Gelände südlich der Bahnlinie forderte die Bolschewiki geradezu heraus zu einem
Stoß gegen die rechte Flanke des I. Bataillons. Man sah aber auch einzelne
Reiter, offenbar erkundende Kompagnieführer, in höchst naiv bolschewistischer
Art dort her-umreiten, absitzen, sich hinlegen und wieder zurückreiten. Als das
III. Bataillon heran-kam, befahl Fromm diesem:
„Wir
stehen anscheinend vor der Hauptstellung des Gegners, der aller
Wahrschein-lichkeit nach einen Stoß in die rechte Flanke des I. Bataillons
beabsichtigt. Das III. Bataillon baut sich so auf, daß es diesen Stoß
seinerseits wieder flankieren kann. Eine Kompagnie bleibt hinter seinem rechten
Flügel als Regimentsreserve zu meiner Ver-fügung.“
Alles
ging, wie der Detachementsführer erwartete. Der Vorstoß der Bolschewiki gegen
die rechte Flanke des I. Bataillons kam, nicht gerade sehr sauber ausgeführt.
Er wurde vom III. Bataillon mit der entwickelten 9. und 11. Kompagnie, der
M.-G.-K. und dem M.-W.-Trupp samt seinem bei Nowo Ukrainka erbeuteten Gebirgsgeschütz
in der halben Flanke gefaßt und mit blutigem Schädel heimgeschickt. Die 12.
Kompagnie (Regi-mentsreserve) unterstellte Fromm in diesem Augenblick wieder dem
III. Bataillon, welches sie dann noch vorne rechts einsetzte. Der Feind flutete
zurück, das III. Bataillon drängte nach, das I. schloß sich dem Vorgehen an,
und Sprung auf Sprung, später mit schlagenden Trommlern, ging es vorwärts.
Trotz all seiner Artillerie, trotz der vielen M.-G. in seiner Stellung räumte
der Feind die Höhen auf der ganzen Linie. Irgendwie zur Verteidigung
eingerichtet waren sie nicht.
Bei
dem ganzen Gefecht konnte man sich in die Zeit ein halbes Jahrhundert früher
zurückversetzt denken, dank der geringen Fähigkeit der Bolschewiki, ihr
vorzügliches Waffenmaterial auszunützen. Aus ihrer beherrschenden Stellung,
besonders vom Wasserturm des Bahnhofs Sinielnikowo aus konnten sie alles, jeden
Anmarsch, jeden Aufbau bei uns einsehen. Ein guter Beobachter dort mit Telephon
zu der Führung konnte diese über jede Einzelheit rechtzeitig in Kenntnis
setzen.
Trotzdem
fuhren unsere Artilleriestaffeln, M.-G.-Fahrzeuge und dergleichen auf dem
Gefechtsfeld herum, kaum 2½ Kilometer vom Feind ab, dessen Artillerie die
Granaten planlos hinausjagte.
Der
Regimentsstab ritt vor, der Kommandeur zu allem hin auf einem Schimmelhengst,
Galopp von Bahnwarthaus zu Bahnwarthaus, die hierzulande alle zwei Werst
hinter-einander stehen. Dort saß man ab, manchmal in Höhe der Schützenkette, es
wurde beobachtet, oft fast ohne jede Deckung, Befehle wurden entsendet. Schüsse
pfiffen um die Bahnwärterhäuser und warfen Ziegel und Steine von den Dächern.
Ein Pferd erhielt einen Granatsplitter in die Brust und blieb tot liegen; unter
den Menschen wurde niemand im Stab getroffen. Den Kommandeur hatte ein
förmlicher Siegestaumel erfaßt über dem Gelingen all seiner Anordnungen: den
letzten Teil des Angriffs machte er zu Pferd mit, kaum 100 Meter hinter der
vordersten Schützenlinie.
Die
Nacht brach herein, rasch und fast ohne dämmernden Übergang. die einzelnen
Kompagnien unter ihren zum Teil wenig geübten Führern aus dem Beurlaubtenstand
befanden sich in den kreuz und quer laufenden Mulden zerstreut, eine hatte
offenbar die Richtung verloren und war weit seitlich abgekommen. Es lag Gefahr
vor, daß wir uns gegenseitig anschossen. Da mußte gehalten und das Ganze erst
wieder einmal einge-renkt werden. Dies brauchte Zeit; ein Nachstoßen, eine
Ausnützung des Sieges war nicht möglich. Dazu kam, daß die zurückgefahrene
feindliche Artillerie das Gelände dicht vor dem Westrand von Groß- und
Klein-Sinielnikowo heftig beschoß.
Erst
nach Aufhören dieses Feuers rückte das Detachement in die eroberten Quartiere,
und zwar das I. Bataillon und eine Batterie nach Klein-, der Regimentsstab, das
III. Bataillon und eine Batterie nach Groß-Sinielnikowo. Auf dem Bahnhof des
ersteren Ortes verknatterte ein Eisenbahnzug mit russischer Infanteriemunition,
den unsere Artil-lerie in Brand geschossen hatte.
Unser
eigener Verlust war verhältnismäßig nicht sehr schwer: 7 Tote und 28
Verwun-dete. Der Feind hatte viel mehr liegen lassen, besonders bei seinem
mißglückten Flan-kenstoß.“
aus: „Das
Württemberg. Landwehr-Infanterie-Regiment Nr. 126 im Weltkrieg 1914–1918“,
Stuttgart 1921
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