„Trotz
des lebhaften feindlichen Artilleriefeuers mit Splitter- und Gasmunition konnte
die Bewegung unter geringen Verlusten ausgeführt werden. 1 Uhr nachts stand das Regiment mit I. Batl. rechts, II. Batl. links, mit Regimentsstab, 3. M.
G.-Komp., Inf.-Geschütz-Batterie und Werfer-Komp. in Monampteuil zum Angriff
bereit. Ange-schmiegt an den Bassindamm, der von Minenwerfern aller Kaliber
gespickt war, harrte man der Dinge, die da kommen sollten. Das feindliche
Störungsfeuer flaute allmählich ab. Es wurde ruhiger. Nur unsere Pulse schlugen
in Erwartung des Kampfes immer lauter. Traumhaft verstrich die Zeit in der
naßkalten Nacht. Ein Flüstern da und dort, das dumpfe Klappern eines Kochgeschirres
und weit in der Ferne verlorenes Wagengerassel. Ein Blitz, ein scharfer Knall
zerriß für Sekunden die Stille der Nacht, dann kehrte die Ruhe wieder. Langsam
rückten die Zeiger der Uhr auf 2 Uhr früh. Die Spannung steigerte sich. Nur
noch Minuten, dann öffneten sich tausend Schlünde zu rasendem Spiel.
Da
– ein Feuerstrahl, ein Krachen ringsum, die Hölle des Großkampfes hatte ihre
Pforten geöffnet. Der Boden zitterte unter den dröhnenden Schlägen der
feuerspeienden Rohre. Dicht neben uns stiegen schwere Minen wie schwarze
Schatten zum Himmel. Mit ohrenbetäubendem Getöse schlugen sie drüben ein.
Mächtige Erdfontänen schossen empor. Kein menschlicher Laut war mehr
vernehmbar. Wie gebannt stierte alles in den Feuerwirbel – bald verträumt, bald
erschrocken. Hatte der Franzose noch nicht geant-wortet oder hatte man es nur
nicht bemerkt? Wie sollte man auch in diesem Lärm noch Freund und Feind
unterscheiden? Doch kaum gedacht, kam schon die Antwort. Turmhoch stiegen die
Wassersäulen von den einschlagenden Granaten im Stausee und in der Ailette. Ein
Hagelwetter von Erdbrocken, Splittern und Rasenstücken prasselte auf uns
nieder. Der Franzose wußte offenbar, wo wir steckten. Schnell drückten wir uns
wie die Ratten in unsere Löcher im Damm. Diese schützten uns leidlich auch
gegen die Frühkrepierer der eigenen Minen. Allmählich verstrichen die Stunden
der Feuervor-bereitung. Die feindliche Gegenwehr ließ nach. Unser Gas hatte
gewirkt. 3.30 Uhr morgens rückten die Bataillone in die Sturmausgangsstellung:
das I. Batl. dicht westlich des Bassins über den Oise-Aisne-Kanal, das II.
Batl. östlich davon auf Schnellbrücken über die Ailette und den Kanal.
4.15
Uhr morgens arbeiteten sich die Kompagnien an die 500 m südlich des Bassins
beginnende Feuerwalze heran. Dem I. Batl. fiel dabei der Raum vom Nordrand
Pargny bis Nordwestrand Filain zu. Das II. Batl. hatte Befehl, mit 4. Komp. im
Anschluß an Inf.-Regt. 66 südlich gegen die sog. Russennase vorzugehen, um dann
nach Westen gegen die Royère-Ferme einzubiegen. Die 5. Komp. war zum Angriff
gegen den Süd-ostrand von Filain angesetzt, um von hier aus gegen die
Tauentziennase vorzustoßen und dann zusammen mit 2. M. G.-Komp. den Damenweg zu
erreichen. Die 6. Komp. sollte den Ostteil von Filain und die Tauentziennase
säubern. So lauteten die Aufträge. 4.30 Uhr morgens hatten sich die Kompagnien
der einsetzenden Feuerwalze genähert – der Sturm begann. Jetzt endlich löste sich die fast
unerträgliche Spannung – jetzt durfte man vorwärts, ran an den Feind. Mit
aufgepflanztem Seitengewehr wurde in die rau-chenden Ruinen von Pargny
eingebrochen, wo der Feind trotz des höllischen Feuers noch Widerstand
leistete. Doch nicht mehr lange, denn nach wenigen Minuten war die Ortschaft
genommen. Schon hemmten jedoch seine Maschinengewehre unser weiteres
Vorwärtskommen. Das unübersichtliche, mit Hecken und altem Mauerwerk
durchsetzte Gelände begünstigte die Abwehr, vor allem oben am Höhenrand. Dort
hielt sich der Gegner auch besonders zäh. Unter dem Schutze unserer
gutliegenden Feuerwalze wurde indes auch dieser Widerstand gebrochen. Im Kampf
Mann gegen Mann mußte der Feind seinen heimatlichen Boden räumen. Die 4. Komp.
hatte in schnellem Vorstoß die Royère-Ferme genommen, während die 5. und 6.
Kompagnie in Filain und auf der Tauentziennase auf heftigen Widerstand gestoßen
waren. Jeder Fußbreit Boden mußte in dem zerwühlten, sumpfigen, von Drähten
durchzogenen Vorgelände von Filain erkämpft werden. Nur langsam kam hier das
II. Batl. vorwärts; hartnäckig sich verteidigende M. G.-Nester in den Ruinen
von Filain forderten blutige Opfer. Erst nach Überwinden dieses Widerstandes
ging es vorwärts über die Tauentziennase gegen den Chemin des Dames. Die von
Gräben durchfurchte Hochebene lag völlig im Nebel, so daß die Richtung mit dem
Kompaß gehalten werden mußte. Da jedoch Zug- und Gruppenführer vorher an Hand
guten Karten- und Lichtbildmaterials eingewiesen waren, glückte diese
schwierige Bewegung.
Die
2. Komp. und die 1. M. G.-Komp. waren durch das Weißbachtal gefolgt. Sie
scho-ben sich später, als der Nebel die Verbindung zwischen der 1. und 3. Komp.
unterbrach, in die Lücke ein.
6.30
Uhr morgens war der Kamm des Chemin des Dames stiegen und damit der erste
Schritt zum Sieg getan.
In
ungestümem Vorwärtsdrängen hinter dem sich immer wieder stellenden Feinde wurde
der Führer der 3. Komp., Leutnant d. R. Höflinger verwundet; Leutnant d. R.
Leuze übernahm die Kompagnie. Der feindliche Widerstand wurde nach Einsatz der
1. M. G.-Komp. und der Inf.-Geschütz-Batterie gebrochen und der Gegner über das
völlig umgewühlte Gelände südwärts geworfen. Kurz darauf wurde auch die
Hameret-Ferme im Sturme genommen. Auf der Hochfläche südlich der Ferme fielen
der 4. Komp. und 2. M. G.-Komp. 10 feuernde Feldgeschütze in die Hand, während
in der stark vergasten Schlucht, die sich von Hameret-Ferme nach Aizy hinzog,
10 schwere Geschütze und zwei 16-cm-Schiffskanonen von der 5. und 6. Komp.
erbeutet wurden. Nun aber sperrte das langsame Tempo der Feuerwalze den Weg.
Rasch entschlossen wurde diese Zeit dazu benützt, die Truppe für den weiteren
Angriff wieder in die Hand zu nehmen. Auf der Bergnase nördlich Aizy wurde
gesammelt. Weithin zogen durch Täler und Mulden die dicken, weißlichen Schwaden
unserer Gasgranaten. Immer noch dröhnten die Geschütze, während sich im Süden
der Nebel aus dem Aisne-Tal hob. Nach schwerem Kampf war eine Atempause
eingetreten, deren Freund und Feind gleichermaßen bedurf-ten.
Während
unsere Angriffskolonnen mit Sturmbeginn dem Gegner auf den Fersen blieben und
damit der feindlichen Artilleriewirkung großenteils entzogen waren, lagen alle
rückwärtigen Verbindungen unter
mörderischem Feuer. Der Gegner wollte das Nach-führen unserer Reserven
unterbinden, die Zufuhr abschneiden und damit den Angriff lähmen. Vergebens.
Nach
Eroberung der Höhen des Damenweges bot der Regiments-Gefechtsstand in
Monampteuil nicht mehr den nötigen Überblick. Der Regimentsstab folgte dem I.
Bataillon und geriet dabei unweit Pargny in das feindliche Abriegelungsfeuer.
Eine Gruppe schwerer Granaten schlug mitten in den Stab. Dem
Regiments-Kommandeur, Major Sproesser, wurde von zackigem Splitter die linke
Hand zerschmettert, der Regiments-Adjutant, Leutnant d. R. Kehrer, und der
stellvertr. M. G.-Offizier, Leutnant d. R. Calwer, sanken tödlich getroffen zu
Boden. Die siegreichen Bataillone ahnten nichts von dem schweren Verlust; sie
standen schon wieder im Angriff. 10.30 Uhr vormittags war das II. Batl. gegen
Aizy angetreten. Beim Durchschreiten der Trümmer des einst blühenden Dorfes
schlug plötzlich starkes M. G.-Feuer von der benachbarten Höhe her ein. Sofort
wurde die 4. Komp. dagegen entwickelt mit dem Erfolg, daß etwa 20 feindliche M.
G.-Schützen, die eben auf einem Lastkraftwagen zu entkommen suchten, als Gefangene
eingebracht wurden. Unaufhaltsam ging es gegen die Höhe 169 weiter, wobei am
Westrand von Jouy von der 4. Komp. 6 schwere Haubitzen genommen wurden. Beide
Bataillone rückten nunmehr über Südrand Aizy – Jouy entlang dem oberen Rande
der Westschlucht vor. Gegen 11.50 Uhr vormittags hatten die 5. und 6. Komp. die
Höhe 169, gegen 1 Uhr nachmittags das ganze Regiment den Südrand dieser
Hochfläche erreicht, von wo aus Sicherungen vorgeschoben wurden. Erst hier
drang die Kunde vom Schicksal des Regimentsstabes zu den Bataillonen. Von Mund
zu Mund eilte die Hiobsbotschaft und manch wetterhartes Gesicht verriet Trauer
und Schmerz. Bewegten Herzens übernahm der Führer des I. Bataillons, Hauptmann
d. R. Storch-dorph, die Führung des Regiments, Leutnant d. R. Grau die des I.
Bataillons.
4
Uhr nachmittags befahl die Brigade die Fortführung des Angriffs. Das
Gebirgs-regiment hatte links neben Inf.-Regt. 159 in Richtung auf Les Carrières
– Fort Condé anzugreifen. Wirksam unterstützt durch unsere Minenwerfer und
Infanterie-Geschütze wurde angetreten. Das I. Bataillon ging gegen Château de
Vauxelles vor, fand dieses vom Feinde geräumt, dagegen den Höhenrand bei
Ober-Celles und Celles stark besetzt. Der im Anschluß an Inf.-Regt. 66 geführte
Angriff blieb ohne Erfolg, da ein Vorwärtskommen ohne gleichzeitiges Vorgehen
des rechten Nachbars (Inf.-Regt. 159) nicht möglich war. Das Bataillon rückte
deshalb gegen Abend in die Schlangenmulde am Westhang der Höhe 169, wo es unter
Vorschieben von Sicherungen zunächst blieb. Inzwischen hatte auch das II.
Bataillon am Südwesthang der Höhe 169 den Vormarsch gegen Les Carrières
angetreten. Da jedoch auch hier die Unterstützung durch den Nachbarn ausblieb,
schob sich auch das II. Bataillon in die Schlangenmulde, um dort die Nacht zu
verbringen. Der große Tag neigte sich zu Ende. Das Ziel – die Wegnahme der
Höhen des Damenweges – war erreicht. Doch als es Abend wurde und man sich umsah
nach seinen Kameraden, da fehlte mancher, der noch vor kurzem in unsern reihen
stand. 2 Offiziere und 34 Schützen hatten den Ehrentod auf dem Schlachtfeld
gefunden; 6 Offiziere, 130 Unteroffiziere und Mannschaften waren verwundet.
Schwer die Verluste, aber groß der Erfolg! Die beherrschenden feindlichen
Stellungen waren unser. Über 1000 Gefangene, 49 Geschütze, 60
Maschinengewehrte, 2 Tanks, 8 Kraftwagen und 1 Funkstation waren der
Siegespreis.“
aus:
„Die Geschichte der Württembergischen Gebirgsschützen“ׅ, Stuttgart 1933
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