„Das
III. Bataillon war Kampfbataillon in vorderer Linie, die 11. Komp. lag mit
ihrer Hauptwiderstandslinie an der Straße Arras – Bapaume, mit den
Sicherungsposten des Vorfeldes 100 – 150 Meter weiter vorne, mit dem linken
Flügel am Cojeulbach, die 12. rechts an die 11. anschließend. Die 11. hatte um
2 Uhr nachts mit Arbeiten am neuen Drahthindernis begonnen und zur Sicherung
der Arbeitenden Posten vorgeschoben, bei der 12. standen Doppelposten in Abständen
von 20 – 40 Meter. „Die Nacht ist verdäch-tig ruhig; ich mein allweil, ʼs liegt
was in der Luft“`, sagt der in den Gewohnheiten des Gegners erfahrene alte
Unteroffizier zu seinem Posten. Kaum hatte er ausgesprochen, so setzte mit
einem Schlag etwa 3.30 morgens Trommelfeuer ein. Ein Trommelfeuer – die
geistloseste Erfindung des modernen Materialskriegs und Vernichtungswillens,
dieser Kampf der Materie gegen den Geist, des Eisens gegen den Menschenwillen –
ist schon für den Verteidiger einer wohlausgebauten Stellung eine gewaltige
Nervenprobe. Gerüt-telt und geschüttelt sitzt er drunten im finstern Unterstand
bangend, ob nicht im nächsten Augenblick die hereinstürzende Decke ihn unter
sich begräbt. Aber vollends auf freiem Feld, höchstens unter dünnem
Wellblechdach, dieses ohrenbetäubende und sinnenverwirrende Unwetter über sich
ergehen zu lassen und nicht in jähem Schreck davon zu laufen, das erfordert
übermenschliche Anspannung aller Willenskräfte. Nur höchste Zucht des Willens
und sittliche Kraft wird Herr über den Instinkt der Selbst-erhaltung. Darum hält
der feiner organisierte Gebildete häufig besser stand als der robuste
Bauernsohn.
Da
liegt nun der einsame Posten mittendrin im Lärm und Rauch der Hölle, geblendet
von den Blitzen der Schrapnells und Granaten, die Hand am Kolbenhals, lauernd
auf den Augenblick, da der Schwefeldampf die gelben Gestalten ausspeit. „Auf
sich selber steht er da ganz allein.“ Jetzt zeigt sich’s. was der Mann wert
ist. Nie ist er so auf sich selbst angewiesen, wie bei nächtlichem Überfall auf
eine dünne Postenlinie. ʼs ist gut, daß der alte Unteroffizier den Kopf nicht
verliert und eifrig seine Leuchtkugeln hinaufläßt. Überhaupt der alte
Unteroffizier! Unbezahlbar ist ein solcher Mann für seine Kompagnie, ein „Turm
in der Schlacht“. Einen Augenblick, beim Einsetzen des Trommelfeuers packt auch
ihn die allgemeine Aufregung. Aber wie er einmal den Feind vor Augen hat, da
kommt die alte Kampflust über ihn und das alte Selbstvertrauen ist wieder Herr.
Er hat’s doch oft genug erlebt, daß ein paar gut sitzende Handgranaten auch dem
überlegenen Feind gegenüber Wunder tun.
Und
überlegen ist diesmal der Gegner! Ein deutlich spürbarer Ruck des feindlichen
Artilleriefeuers nach hinten, und schon tauchen, unmittelbar der Feuerwalze
folgend, die flachen Stahlhelme und die gelben Gesichter auf. Mit unheimlicher
Schnelligkeit wälzt sich die schmutziggelbe Flut vor. In zwei Wellen kommen sie
heran, im Abstand von etwa 20 Meter, ein Haufe von 200 bis 250 Mann mit weißen
Armbinden. Sie schießen im raschen Vorgehen. Wo sie auf einen Gegner treffen,
stoßen sie ein teuflisches Gebrüll aus. Es ist kein ehrliches Hurra!, sondern
ein häßliches, gequetschtes „Urräh!“ Die ersten Handgranaten schlagen hinein.
Schon knattert das Maschinengewehr des Unterof-fiziers Frey (12.). Ein paar
Gegner schreien, stürzen. Die Nachbarn stutzen, der Strom spaltet sich am
Posten wie am steinernen Brückenpfeiler und flutet durch die leider viel zu
breiten Lücken unserer Postenlinie herein. Rasch wirft der Schütze sein
Maschinen-gewehr herum. Die schönste Gelegenheit zu vernichtendem Flankenfeuer!
Das Gewehr versagt! Nun gibt’s keine Wahl mehr. Zurück auf die
Hauptwiderstandslinie! ʼs ist eine schwere Arbeit durch das Gewimmel der
vorgehenden Engländer zum Kompagnie-führerstollen sich durchzuschlagen, der an
der Kreuzung der Straße Arras – Bapaume mit dem von Hénin her führenden Graben
B liegt. Den wenigsten Posten gelingt es, aus dem erbitterten Nahkampf sich vom
Feind zu lösen. Ein wackeres Grüpplein unter seinem jungen, mutigen Führer,
Gefreiter Wizemann (12.), kämpft in einer Sappe hart-näckig um jeden Schritt
Boden. Von beiden Grabenrändern herunter schießt und sticht die übermächtige
englische Meute auf das tapfere Häuflein junger Helden in den Graben hinein.
Einige sind schon verwundet und kämpfen doch weiter, bis sie der Übermacht
erliegen. Der durch Bajonettstiche verwundete Führer und ein unverwundeter
junger Soldat sind die beiden einzigen Überlebenden, die Kunde geben können von
diesem Heldenkampf unserer Jüngsten.
Von
der 12. Kompagnie war der linke Flügelzug angegriffen. Links drüben bei der 11.
war es ähnlich gegangen. Auch dort spaltete sich die Linie des vorgehenden
Gegners am Widerstand der Posten. In zwei Reihen von je etwa 50 Mann dringen
die Engländer rasch auf die Hauptwiderstandslinie vor. Ein Haufe kommt am
Cojeulbach herunter, wird dort vom Maschinengewehr des Unteroffiziers Knapp
eine Weile aufgehalten. Aber das Gewehr muß wegen Hemmung aufgegeben werden.
Der andere Haufe stürmt weiter rechts über das Vorfeld herein. Der Posten beim
Kompagnieführer (Gefreiter Queck) führt mit einigen Leuten, die sich dort
gesammelt hatten, noch einen verzwei-felten Handgranatenkampf gegen den von
Süden und Westen andringenden Gegner, zieht sich dann aber, weil schon vom
Rücken bedroht, zurück und meldet der 8. Komp. das Vorgefallene. Der
Kompagnieführer der 11., Leutnant d. R. Krauß, hatte sich kurz vor Beginn des
Trommelfeuers mit seiner Gefechtsordonnanz auf den Weg gemacht, um die Arbeiten
seiner Leute zu besichtigen. Drei Minuten war er gegangen, da wurde er vom
feindlichen Artilleriefeuer überrascht. Im Straßengraben, wo er anscheinend
Deckung gesucht hatte, traf ihn ein Granatsplitter in den Hinterkopf. Seine
Ordonnanz wurde nicht weit von ihm im Granatloch schwer verwundet.
Der
stellvertretende Kompagnieführer der 12. Leutnant d. R. Baur, wollte mit den
paar Leuten seines Kompagniestabs sich den rasch heranstürmenden Engländern
entgegen-werfen, stieg auf den Rand des an seinem Stollen vorüberführenden
Grabens (B) und stürzte sofort mit zerschmetterten Beinen in den Graben zurück.
Dem Unteroffizier Frey, der sich inzwischen mit wenigen Leuten bis zum Graben
durchgeschlagen hatte, gelang es, mit Handgranaten die Engländer von diesem
Grabenstück fern zu halten – links und rechts fluteten sie dem Graben entlang
weiter – und seinen stöhnenden Leut-nant zu verbinden. Dicht hinter der
Hauptwiderstandslinie stieß der Gegner auf 2 schwere Maschinengewehre. Das eine
wurde ohne Bedienung angetroffen und erbeutet, die Mannschaft des anderen durch
Handgranaten gezwungen, sich 50 – 100 Meter zu-rückzuziehen, von wo aus sie
weiterfeuerte.
Die
Engländer machten anscheinend nach Verabredung auf eine grün-rote Leuchtkugel
hin kehrt. „Die waren saufrech; mehr als Kurasche haben die gezeigt,“ meinte
nachher ein Unteroffizier und erkannte bei aller Übermacht des Gegners dessen stürmische
Tapferkeit an. Aber nun spielten sich Szenen ab, die dem Feind keine Ehre
machen. In alle Unterschlupfe und Granatlöcher, in denen sie Verwundete
vermuteten, schossen sie hinein! Wie durch ein Wunder kam Vizefeldwebel Ruoff,
der mit zerschmetterter Hand und durchschossenem Oberschenkel noch im Vorfeld
lag, mit einem Streifschuß über Kopf und Brust davon. Nur dadurch, daß man sich
tot stellte, entging man dem Meu-chelmord. Die Ordonnanz des Leutnant d. R.
Krauß beobachtete, wie zwei Engländer, die an ihm mit der Bemerkung: „Kaput!“
vorbeigegangen waren, noch einmal umkehr-ten und sich an der Leiche des Leutnant
d. R. Krauß zu schaffen machten, die später ohne E. K. I, ohne Revolver und
ohne Achselstücke aufgefunden wurde. Von den zwei einzigen Überlebenden der
Gruppe, von der oben erzählt ist, kam der eine dadurch mit dem Leben davon, daß
er bewegungslos und unbemerkt in einem Häuflein Toter lag, der Führer der
Gruppe dadurch, daß er mit einem Bajonettstich in der Brust in einem Unterstand
ein sicheres Versteck gefunden hatte. Die Unterschlupfe wurden von den
Engländern mit einer Brennflüssigkeit belegt und rauchten noch lange.
Inzwischen
war der Vizefeldwebel Stiehr* (8.) mit einigen zusammengerafften Leuten der 11.
Komp. und der 3. M. G. K. vorgekommen. Er stellte die Postenlinie, soweit
möglich, wieder her und erhielt das Kommando über die 11., die nur noch drei
Grup-penführer hatte – Fähnrich Berroth und Vizefeldwebel Kahles waren vermißt –
bis am andern Morgen der neue Kompagnieführer, Leutnant d. R. Kramer, bei
hellem Tag herauskam und die Führung der furchtbar mitgenommenen Kompagnie
übernahm.“
aus:
„Das Württ. Infanterie-Regiment Nr. 180 im Weltkrieg 1914–1918“, Stuttgart 1921
*Stier
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen